Krisenmanagement selbst gemachtLucien Reger von „Naturwelten“ verkauft seine Ware per Videochat

Krisenmanagement selbst gemacht / Lucien Reger von „Naturwelten“ verkauft seine Ware per Videochat
Um kommenden finanziellen Verlusten so gut es geht vorzubeugen, hat sich das Bonneweger Geschäft „Naturwelten“ etwas einfallen lassen Foto: Editpress/Alain Rischard

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Wer als Betrieb während der Corona-Krise überleben will, der muss kreativ werden. Das hat sich ebenfalls „Naturwelten Bio&Fair“-Besitzer Lucien Reger gedacht. Gemeinsam mit seinem Team handhabt der 59-Jährige den Verkauf seiner Ware während der Quarantäne auf innovative Weise und berät seine Kundschaft via WhatsApp. Das System hinter seiner Idee will der Bonneweger Geschäftsführer nun ebenfalls anderen präsentieren, denn die Krise trifft vor allem kleine Läden besonders schwer.

„Als wir von der Schließung sämtlicher Geschäfte hörten, lief es mir erst einmal kalt den Rücken runter.“ Wie Lucien Reger ging es Mitte März wohl zahlreichen Ladenbesitzern, denn geschlossene Türen bedeuten auch: keine Einnahmen. Doch der Besitzer des Bonneweger Shops „Naturwelten Bio&Fair“ will die Situation nicht einfach so hinnehmen und entwickelt prompt ein Verkaufsmodell. „Ich war schon immer jemand, der sich gerne Herausforderungen stellt, deshalb war auch hier schnell klar, dass wir was unternehmen müssen, um den Betrieb am Laufen zu halten“, sagt der 59-Jährige. Trotz finanzieller Hilfen vom Staat sind die Verluste besonders für kleine Geschäfte enorm. Auch im seit 1985 bestehenden „Naturwelten“ sind die Frühjahrs- und Sommerkollektionen schon bezahlt und hängen am Bügel.

Die Idee von Reger ist simpel, darauf gekommen ist er durch das Internet: „Wir haben unseren Onlineshop schon seit Jahren, aber wenn ich ehrlich bin, haben wir diesen nie wirklich geplfegt.“ Die Referenzen der 10.000 zu verkaufenden Artikel inklusive Fotos und Informationen vom Hersteller allesamt hochzuladen, hätte das fünfköpfige Team von „Naturwelten“ auf die Schnelle nicht geschafft. Doch Rechnungen online setzen, das geht auch kurzfristig. „Die Leute können uns per WhatsApp anrufen. Wir schalten dann die Kamera an und zeigen ihnen, was da ist“, erklärt Reger das Konzept. Braucht ein Kunde beispielsweise ein T-Shirt für ein vierjähriges Mädchen, wird das gesamte Sortiment dieses spezifischen Artikels via Videochat vorgestellt, sodass leicht und schnell eine Kaufwahl getroffen werden kann.

Die Rechnung in den Warenkorb

„Der Kunde erhält dann von uns eine Rechnungsnummer, nach etwa einer Viertelstunde kann er diese auf unserer Homepage wiederfinden und seine Einkaufsliste verifizieren.“ Ist die Liste korrekt, wandert die Rechnung in den Warenkorb – genau so, als wäre es ein Produkt. Ab da läuft alles ganz normal: Bezahlung via Paypal oder Kreditkarte, Bestätigung durch das Geschäft und schon ist das Wunschobjekt bestellt. „Natürlich kaufen Kunden weniger über WhatsApp als vor Ort und das Ganze ist für uns relativ anstrengend, aber der Aufwand ist so weitaus geringer als bei der gesamten Aktualisierung des Onlineangebots und so kommen wir wenigstens nur mit einem blauen Auge davon“, meint Reger. Die Infos zum spontanen Verkaufsmodell stehen in Großbuchstaben auf dem Schaufenster des Geschäfts, auf der Webseite von „Naturwelten“ verweist ein grünes Banner sowie der Button „Interaktiver Video-Einkauf mit Whatsapp“ darauf.

Über WhatsApp können sich Kunden während der Quarantäne die Ware von „Naturwelten“ zeigen lassen und diese anschließend bestellen
Über WhatsApp können sich Kunden während der Quarantäne die Ware von „Naturwelten“ zeigen lassen und diese anschließend bestellen Foto: Naturwelten

„Eigentlich ist das System extrem einfach. Das Schwierigste dabei ist, den Kunden zu erklären, wie es geht. Deshalb haben wir auf unserer Seite einen Anleitungstext in drei Sprachen veröffentlicht und ein kurzes Erklärvideo gedreht“, präzisiert der Ladenbesitzer. Und das Modell scheint zu funktionieren. Zwar sind Lucien Reger und sein Team nicht den ganzen Tag über voll ausgelastet, doch lieber etwas weniger Ware verkaufen als gar keine. „Unser Mitarbeiter sind alle mega motiviert und helfen, den Laden über Wasser zu halten. Dadurch werden ja auch ihre Arbeitsplätze gesichert, einer hilft also dem anderen.“ Für den Verkauf via Instant-Messaging-Dienst ist jeweils nur einer vom Personal vor Ort, der die Kunden dann persönlich beraten kann. „Das ist der große Vorteil gegenüber einem regulären Onlineshop“, meint Reger.

Als Inspiration für andere

Sein Modell will der 59-Jährige auch anderen zur Verfügung stellen: „Wer die Idee aufgreifen will, kann dies gerne tun. Schließlich sitzen wir alle im selben Boot.“ Als einziger Naturkleider-Verkäufer im Land fühlt sich der Besitzer von „Naturwelten“ aber auch seinen Kunden gegenüber verpflichtet – Krise hin oder her: „Wir wollen zeigen, dass wir für unsere Klientel da sind, vor allem da es keinen in dem Bereich gibt, der naturbelassene Kleidung anbietet.“ Parallel zum WhatsApp-Business soll nun aber ebenfalls das Sortiment von „Naturwelten“ im Internet geupdatet werden, schließlich soll die Quarantäne wenigstens für etwas zu gebrauchen sein. Die Basics an Bettwäsche, Pantoffeln, Schlafsäcken und Co. werden so eines nach dem anderen digital verfügbar gemacht und für zukünftige Käufe vorbereitet.

Persönlich erhofft sich Reger von der Krise allerdings einen Wandel im Konsumverhalten: „Ich hoffe, dass sich bei den Menschen nach einem Tief wie diesem etwas bewegt und in Zukunft wieder nachhaltiger und vernünftiger konsumiert wird. Man sieht ja, wie fragil unsere Märkte heute sind.“ Bis dahin heißt es für das Team von „Naturwelten“ allerdings fleißig weiter-whatsappen und hoffen, dass die Ausgangssperre nicht mehr allzu lange dauert. „Wenn die Sommersachen liegen bleiben, dann fehlt uns die Liquidität, um die Winterkollektion zu kaufen. Das sind große Summen, die da verloren gehen und dem wollen wir, so gut es nur geht, vorbeugen.“ Ein Unterfangen, das bisweilen den Umständen entsprechend gut zu klappen scheint, wie der Ladenbesitzer auf die Frage nach einem Foto vom Krisenverkauf verrät: „Im Moment sind wir bei Rechnung Nummer 52 und es wäre heute der erste Tag, an dem das Handy nicht klingelt.“

Lucien Reger ist seit 1985 im Bio- und Naturwarenhandel tätig und setzt generell auf Alternativen
Lucien Reger ist seit 1985 im Bio- und Naturwarenhandel tätig und setzt generell auf Alternativen Foto: Editpress/Alain Rischard