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Forum / Liz Truss gegen die Bank of England
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Nach einer turbulenten Woche an den Finanzmärkten sah sich die britische Premierministerin Liz Truss gezwungen, ihren Plan, den Spitzensteuersatz von 45 Prozent für Gutverdienende abzuschaffen, aufzugeben. Diese Kehrtwende war ein nötiger Schritt zur Stabilisierung der Wirtschaft. Dennoch drohen der Insel noch weitere Turbulenzen.

Die Kehrtwende war nicht zuletzt ein Versuch von Truss, einem massiven Ausverkauf an den Märkten entgegenzuwirken, der zu einem Crash des Pfundes geführt und die Bank of England (BOE) veranlasst hatte, ein massives Anleihenkaufprogramm zu starten, um die „erhebliche Gefahr für die Stabilität des britischen Finanzwesens“ abzuwenden. Sollte Truss aber dabei bleiben und weder weitere Steuererleichterungen rückgängig machen, noch Rentner schützen oder notleidenden Hypothekenschuldnern helfen, werden sich die Marktturbulenzen fortsetzen. Tatsächlich könnte sich die Lage sogar noch verschlimmern.

Der „Mini-Haushalt“, den Truss und ihr Finanzminister Kwasi Kwarteng Ende letzten Monats vorgestellt haben und der enorme Steuersenkungen für Konzerne und Reiche vorsieht, würde vermutlich die Inlandsnachfrage steigern, die britische Wirtschaft weiter überhitzen und die bereits hohe Inflation zusätzlich beschleunigen. In der Woche von 23. bis 27. September fielen die Preise für britische „gilts“ (Staatsanleihen), da die Investoren erwartet hatten, die BOE werde, um den Inflationsdruck auszugleichen, die Zinsen schneller erhöhen als geplant.

Finanzielle Kernschmelze

Aber anstatt Anleihen zu verkaufen, begann die BOE, sie zu kaufen, um die Zinsen zu senken. Wie kann dieses Manöver erklärt werden? Staatsanleihen sind ein wichtiger Bestandteil vieler Renten- oder Pensionsfonds, und in den letzten Jahren haben viele britische Fonds dieser Art sogenannte verbindlichkeitsorientierte Anlagestrategien verfolgt, um sich gegen Risiken abzusichern. Als die Erträge der britischen Staatsanleihen plötzlich durch die Decke gingen, hatten die Pensionsfonds Probleme, ihre Sicherheitsanforderungen zu erfüllen. Der Versuch der BOE, die Preise lang laufender Anleihen zu stabilisieren, sollte also verhindern, dass die Probleme im Pensionssektor andere Bereiche anstecken und eine komplette finanzielle Kernschmelze auslösen.

Aber wahrscheinlich hatte die BOE für ihre Intervention auf dem Staatsanleihenmarkt noch ein weiteres Motiv: Im Gegensatz zum US-Immobilienmarkt, auf dem Festzinshypotheken mit 15- bis 30-jähriger Laufzeit üblich sind, sind die britischen Hypotheken häufig variabel verzinst. Und etwa ein Drittel der Hypotheken des Landes sind zwar fest verzinst, werden aber in den nächsten zwei Jahren auslaufen. Dies bedeutet, dass Zinserhöhungen – sofort oder sehr bald – auch zu höheren monatlichen Hypothekenzahlungen vieler britischer Hauseigentümer führen würden. So würden Hypotheken weniger erschwinglich, was viele mögliche Hauseigentümer davon abhalten würde, eine Immobilie zu kaufen. Also könnte die Intervention der BOE eine Krise der Hypotheken- und der Immobilienmärkte gleichzeitig verhindert haben.

Aber dieser Schritt wird auch die Inflation anheizen. Die Steuersenkungen von US-Präsident Ronald Reagan Anfang der 1980er – die Truss und Kwarteng zu ihrem Programm inspiriert haben – führten zwar auch zu einem Aufwärtsdruck auf die Preise, aber dieser wurde dadurch ausgeglichen, dass damals keine US-Staatsanleihen gekauft, sondern verkauft wurden. Durch das Anleihenrückkaufprogramm der BOE wird das Feuer der Inflation hingegen weiter angefacht.

Da die BOE verpflichtet ist, die Inflation zu bekämpfen, wird sie nun vermutlich nach Wegen suchen, die Folgen ihres Markteingriffs rückgängig zu machen oder zumindest abzumildern. Aber Geldpolitiker sitzen immer zwischen zwei Stühlen: Sie können entweder die Zinsen erhöhen, um die Inflation zu bekämpfen – und dabei sinkende Anleihekurse in Kauf nehmen und Hypothekenprobleme riskieren – oder die Zinsen senken, um Hypothekenschuldner sowie Anleiheninvestoren zu retten und dabei eine steigende Inflation zu akzeptieren.

Truss kann und muss der BOE dabei helfen, einen Weg aus diesem Dilemma zu finden. Angesichts dessen, dass sie offensichtlich bereit ist, die Staatsverschuldung zu erhöhen, um eine zweijährige Obergrenze für die Energiekosten der Haushalte zu finanzieren, sollte sie auch die Hypothekenzahlungen für zwei Jahre begrenzen und Maßnahmen zum Schutz von Rentnern hinzufügen.

Populistische Logik

Natürlich sind Preisdeckel nicht die effektivste Art, um mit steigenden Energiepreisen oder höheren Hypothekenzahlungen umzugehen. Ist die Regierung aber bereit, die Energiekosten der Haushalte zu begrenzen, könnte sie genauso gut die Hypothekenzahlungen deckeln, da beide Maßnahmen derselben „populistischen” Logik folgen. Sicherlich würde damit das Defizit erhöht – aber es würde der BOE auch ermöglichen, die Inflation zu bekämpfen, ohne sich zu viele Sorgen über Renten- oder Hypothekenkrisen machen zu müssen.

Die beste Art für die Regierung, die britische Wirtschaft zu stabilisieren und die Inflation zu bekämpfen, besteht darin, weitere geplante Steuererleichterungen rückgängig zu machen, die Energiekosten-Obergrenze durch eine feste monetäre Unterstützung pro Haushalt zu ersetzen und die meisten ihrer angekündigten Ausgabenkürzungen tatsächlich umzusetzen.

Bereits vor dem neuen Haushaltsplan waren die britischen Unternehmens- und Einkommensteuersätze unter den niedrigsten aller OECD-Länder, also lässt sich schwer argumentieren, dass weitere massive Steuersenkungen nötig sind, um die britische Wirtschaft wettbewerbsfähiger zu machen. Würde man darüber hinaus gering verdienende Haushalte statt mit einer Obergrenze durch feste Energiepreissubventionen unterstützen, wären dafür weniger staatliche Ausgaben erforderlich. Außerdem würde dies mehr Anreize zum Energiesparen geben und die Gesamtkosten der Preiserleichterungen verringern.

Senkt die Regierung die Ausgaben und verzichtet dazu noch auf einige der angekündigten Steuersenkungen, würde dies der Inflation entgegenwirken – ähnlich wie eine Zinserhöhung. Dies würde es der BOE erleichtern, die Inflation mit geringeren Zinserhöhungen in den Griff zu bekommen. So könnte die Regierung indirekt auch das Pfund für die Währungshändler attraktiver machen – und so der britischen Währung wieder zu mehr Stärke verhelfen.

* Shang-Jin Wei, ehemaliger Chefökonom der Asiatischen Entwicklungsbank, ist Professor für Finanzwesen und Ökonomie an der Columbia Business School und an der School of International and Public Affairs der Columbia University.

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff. Copyright: Project Syndicate, 2022.

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