„Kommt mit“, begrüßt Julie Wagener das Tageblatt am Eingang. Die Co-Präsidentin der „Association des artistes plasticiens“ (AAPL) und freischaffende Künstlerin schließt die Tür zum Sitz des Verbands auf. Ein helles Treppenhaus führt in den Versammlungsraum, in dem bereits mehrere Mitglieder des Verwaltungsrats zusammensitzen. Wagener teilte Mitte April ihren Unmut über den Artikel „Artists in Luxembourg find inspiration and financial support in their day jobs“ (Luxembourg Times) auf Facebook, in dem Zweitberufe als Inspiration und finanzielle Unterstützung für freischaffende Künstler*innen gepriesen wurden. Wagener erhielt Zuspruch für ihre Kritik, u.a. von ihrer Kollegin Justine Blau (ebenfalls Co-Präsidentin der AAPL). „Für die Leser*innen, die den Beitrag nicht kennen, müssen wir unbedingt den Kontext erklären“, betont Wagener, bevor sie auf ihren Post eingeht. „Ich prangere gewisse Praktiken und Umstände des Luxemburger Kultursektors an, die den Künstlerberuf erschweren können.“
Toxische Dynamiken im Kultursektor
In ihrem Beitrag ist von „back-stabbing“, „blackmailing“ oder auch „gate-keeping“ die Rede. Wagener verneint, auf konkrete Vorfälle anzuspielen. „Die Schlagwörter beziehen sich auf dieses undurchsichtige, widerspenstige Geäst, durch das sich Kulturarbeiter*innen ständig durchkämpfen müssen“, stellt sie klar. „Es ist eine persönliche Abrechnung mit den Gegebenheiten im Kultursektor, die es meiner Meinung nach zu ändern gilt.“

Doch in welche Richtung? Für Wagener braucht es eine solidarische und gemeinschaftliche Kulturszene, in der Erfahrungen und Expertise geteilt sowie Missstände kollektiv bekämpft werden. „Und das ist es, was ich zusammen mit der AAPL tun will“, sagt sie. Der Verband, 2008 von Jean-Pierre Adam gegründet und 2013 von Trixi Weis, Catherine Lorent und Bruno Baltzer neu lanciert, setze sich für die Vernetzung von Künstler*innen ein. Darüber hinaus vertrete der Verband die Interessen und sozialen Rechte seiner Mitglieder.
Ein Blick über den Schirm des Laptops hinaus bestätigt an dem Tag, dass es sich um ein engagiertes Netzwerk handelt: Am Tisch sitzen – neben Wagener – die Kunstschaffenden Tine Krumhorn (Administration AAPL), Cristina Picco (Koordinatorin Workshops AAPL), Charles Vincent (Mitglied) und Gerry Oth (Mitglied). Sie alle tragen zum Gespräch bei und repräsentieren eine große Gemeinschaft, wie die Studie „L’emploi dans le champ culturel“ (2023) im Auftrag des Kulturministeriums offenbart.
Arbeitsbedingungen der Freischaffenden
Der Anteil der Selbstständigen ist im Kulturbereich besonders hoch: Jede fünfte Person, die in dem Sektor arbeitet, ist freischaffend – in der Gesamtwirtschaft betrifft dies nur einen von zwanzig Arbeitsplätzen. Der Großteil (29 Prozent) der 2.400 Freischaffenden im Kulturbereich entfallen auf die bildende Kunst und auf das Kunsthandwerk: Dort sind 63 Prozent der Arbeitsplätze von Freischaffenden belegt. Ein Wert, der sich im letzten Jahrzehnt verdoppelt hat und 700 Stellen (Stand: 2020) entspricht.
Die meisten waren oder sind über ihre Karriere hinweg auf Zweitjobs angewiesen. Eine Standard-Laufbahn gebe es jedoch genauso wenig wie einen musterhaften Tagesablauf, so die Mitglieder der APPL. Allgemein gelte: Der Beruf verlangt hohe Flexibilität und Multitasking. Kein Monat gleiche dem anderen, sagen die anwesenden Verbandsmitglieder. Langfristige Auftragsarbeiten oder Projekte seien selten und Zukunftspläne zu schmieden eher schwierig. „Die manchmal unregelmäßige finanzielle Situation von Künstler*innen treibt sie in die Prekarität“, so die AAPL weiter. „Im Gegensatz zu anderen Berufssparten, gibt es bei uns keine finanzielle Kontinuität. Es gibt Phasen, in denen man über längere Zeit arbeitet, ohne konkrete Geldeinnahmen.“

Hier kommt der Nebenerwerb erneut ins Spiel. Natürlich würden einige sich aus Überzeugung für einen Brotjob entscheiden, aber: „Andere sind aufgrund ihrer Lebenssituation darauf angewiesen. Das hat nichts mit ‚Inspiration im Zweitjob‘ zu tun, sondern hat pragmatische Gründe: der Auszug aus dem Elternhaus, die Familiengründung, der Aufbau einer eigenen Existenzgrundlage, Kreditabzahlungen.“ Gewiss gehe die Freiberuflichkeit immer mit Risiken einher. Die schlechte Bezahlung künstlerischer Dienstleistungen verschärfe diese allerdings. Hinzu kämen die hohen Mietkosten für Lebens- und Arbeitsräume in Luxemburg.
Mangel an Infrastruktur
Pop-up-Strukturen, wie sie Kunstschaffenden derzeit in Einkaufszentren oder leerstehenden Lokalen in Innenstädten angeboten werden, sind für die AAPL keine Lösung. Die Mitglieder fordern langfristig verfügbare Ateliers und Ausstellungsräume, die für künstlerische Praktiken gedacht sind. „Oft werden Pop-ups genutzt, um einen Ort zu beleben und auf günstige Weise Events oder Happenings zu organisieren, statt ein langfristiges Kulturprogramm auszuarbeiten“, hebt die AAPL hervor. Ein Publikum anzulocken und freie Flächen zu nutzen sei legitim, doch müssten solche Initiativen für alle Beteiligten einen Mehrwert haben. „Hier stellt sich die Frage nach den Beweggründen der Gemeinden: Wollen sie dem Publikum etwas bieten oder den Künstler*innen?“ Die Anwesenden heben das „1535 Creative Hub“ in Differdingen als positives Gegenbeispiel hervor und erwähnen ein weiteres Projekt: „Hoffentlich geht mit dem Umbau des Skateparks in Hollerich die Entstehung dauerhafter, erschwinglicher Ateliers einher. Wir benötigen solche Strukturen, um die Szene zu professionalisieren.“
Die Prioritäten der AAPL
– Angleichung der Sozialversicherung an die Berufsumstände
– Anpassung der Sozialversicherung und des Steuersystems für luxemburgische Künstler*innen im Ausland
– Adaption der Gesetzgebung im Hinblick auf das Urheberrecht visueller Kunstschaffender und ihrer Vergütung
– Anwendung der Tariftabelle von der AAPL, vom Kulturministerium unterstützt und in Zusammenarbeit mit dem Kultursektor
Ein weiterer Baustein dafür ist die angemessene Bezahlung kultureller Arbeit. In der Theorie verpflichtet sich der Großteil von Luxemburgs Kulturinstitutionen zur fairen Bezahlung der Kulturschaffenden: Fast alle haben die „Charte de déontologie“ des Kulturministeriums (eingeführt 2022) unterzeichnet, die dies vorschreibt. Während in anderen Kreativsparten bereits – unverbindliche – Tarifempfehlungen gelten, steckt die AAPL noch in den Verhandlungen mit dem Kulturministerium. Umso wichtiger ist es für den Verbund, die Tarifverhandlungen zu beenden und ihre eigenen Richtlinien zu veröffentlichen.
Von Tanson zu Thill
Der Verband nahm diese 2022 auf, also noch unter der Kulturministerin Sam Tanson („déi gréng“). Unter Tanson wurden zahlreiche Reformen zugunsten der Kulturschaffenden umgesetzt, darunter die Anpassung der Sozialmaßnahmen und die Wiedereinführung des „congé culturel“. Der amtierende Kulturminister Eric Thill (DP) verspricht in Interviews immer wieder, in dem Sinne weiterzuarbeiten. Wie nimmt die AAPL das wahr?
„Unter Sam Tanson und durch den Kulturentwicklungsplan wurde ein Momentum geschaffen, doch wie immer müssen die entsprechenden Konzepte auch in der Praxis umgesetzt werden“, sagen die Mitglieder, „und das erweist sich als schwieriger und langwieriger als anfangs gedacht.“ Die AAPL hält einen transparenten und regelmäßigen Austausch aller Beteiligten für unerlässlich, genauso wie die gemeinsame Problemanalyse und die berufsspezifische Lösungsfindung. Die Verantwortlichen erinnern daran: „Wir brauchen die volle Aufmerksamkeit und das Engagement des Kulturministeriums, um das volle Potenzial der beschlossenen und noch anzugehenden Maßnahmen auszuschöpfen.“
De Maart

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