Laurent Rutili ist ein geduldiger Lehrer. Der Weinbergarbeiter schneidet eine Fruchtrute ab, erklärt mir warum und fragt mich dann, wie ich beim nächsten Rebstock vorgehen würde. Die eisige Kälte, die an diesem Morgen durch den Weinberg der Domaine Tageblatt bläst, scheint dem 51-Jährigen nichts auszumachen. Er mag seinen Beruf – vor allem die Arbeit unter freiem Himmel. „Ich habe die Natur schon immer geliebt“, erzählt Laurent. Das regelmäßige Surren der elektrischen Gartenschere begleitet seine Antworten. Er muss nicht lange überlegen, weder beim Schneiden noch beim Sprechen. Seine Handgriffe wirken geübt, fast natürlich.

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Seit 30 Jahren arbeitet Laurent bei „Domaine L&R Kox“. Auch wenn er meistens nicht alleine im Weinberg arbeitet, geht er normalerweise für sich durch die Reben. „Ich genieße die Ruhe“, sagt er, schaut sich um und beobachtet die Tageblatt-Mannschaft, die sich in der Parzelle verteilt hat. „Heute sind zehn Leute hier: Das ist nicht das, was ich am liebsten habe“, meint er lachend.

Laurent ist Franzose, kommt aus Breistroff-la-Grande nördlich von Cattenom – und beantwortet meine Fragen auf Deutsch. Der Weinbergarbeiter wollte ursprünglich Deutschlehrer werden und hat Deutsch in Metz studiert. Zu seinem jetzigen Beruf ist der 51-Jährige durch Zufall gekommen. „Meine Mutter hat immer bei der Lese für Domaine L&R Kox ausgeholfen. Sie hat mich gefragt, ob ich nicht einmal mitmachen will“, erzählt Laurent. Das hat ihm dann so gut gefallen, dass er mit 21 Jahren halbtags im Weinberg ausgeholfen hat. Sechs Monate später hat er das Studium nach zwei Jahren abgebrochen, um sich Vollzeit den Trauben zu widmen.
Allwettertauglich
Am Anfang war die Arbeit anstrengend. „Abends hatte ich keine Energie mehr, um überhaupt eine Serie zu schauen. Ich bin sofort eingeschlafen“, erklärt Laurent. Aber nach 30 Jahren ist er erfahrener, kennt die Arbeit und geht sie anders an. Mittlerweile macht es ihm nichts mehr aus, den Tag im Weinberg zu verbringen. „Ist es kalt, ziehst du dich warm an. Ist es warm, kannst du oben ohne arbeiten. Büroarbeiter schwitzen hingegen im Sommer in ihren Anzügen.“ Im Winter wärmen sie sich an einem Feuer – oder grillen. Trotzdem: Bei richtig schlechtem Wetter bleiben sie im Trockenen. „Wenn ich im Regen den ganzen Tag draußen sein muss, bin ich natürlich nicht so glücklich“, gibt Laurent lächelnd zu.
Doch es gibt auch eine Aufgabe, die ihm überhaupt nicht gefällt: „Ich hasse Traktorfahren – das mache ich auch nicht mehr. Es ist zu gefährlich. Ich bin mehrmals gerutscht“, sagt Laurent. Er zeigt mit dem Finger auf den gegenüberliegenden Weinberg, wo unser Fotograf Julien Garroy gerade hochkraxelt. „Da ist die Steigung etwa 30 bis 40 Prozent und da fährst du dann auch bei nassem Boden manchmal hoch. Ich bin ein paar Mal mit dem Traktor von oben bis unten gerutscht. Ich hatte noch Glück.“ Bisher hat er sich noch nie schlimm bei der Arbeit verletzt, aber jedes Jahr würde es zu tödlichen Unfällen kommen. „Die zehn Finger sind noch dran“, sagt er zufrieden und schwingt die elektrische Gartenschere durch die Luft.

Treu
„Treu. Ausdauernd. Überlegt. Mitdenkend.“ So beschreibt Corinne Kox den 51-Jährigen. „Laurent hat den Überblick, denkt mit und ist auch bereit, Neues zu lernen“, sagt die Winzerin. Wenn Corinne eine Idee hat, bringt er sich ein und schlägt Verbesserungen vor. „Er bringt seine Meinung ein, um das Produkt zu verbessern“, sagt die Geschäftsführerin von Domaine L&R Kox. Und sie schätzt seine Treue. „Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass Mitarbeiter so lange bei einem Arbeitgeber bleiben.“

Seit drei Jahren arbeitet sogar der Sohn von Laurent, Théo Rutili, im selben Winzerbetrieb. Wie ist das als Vater? Laurent lacht: „Ganz schwierig – für uns beide. Deshalb arbeite ich meistens draußen und er drinnen.“ Es sei am Anfang nicht immer einfach gewesen, ihm etwas vorzuschreiben. „Ich habe öfter gesagt: Hier bin ich nicht dein Vater, hier bin ich dein Chef.“
Mit dem Privatleben vermischt sich die Arbeit allerdings nicht, meint Sohn Théo. „Das, was auf der Arbeit passiert, bleibt auf der Arbeit.“ Die Zusammenarbeit funktioniert insgesamt also gut. „Es ist nicht immer alles rosarot, aber es funktioniert und er kennt sich natürlich besser aus als ich“, gibt der 23-Jährige zu.
Genau wie seinem Vater gefällt Théo die körperliche Arbeit im Freien – und die Vielfalt an Aufgaben: Wein abfüllen, Flaschen etikettieren, ausliefern, Rebstöcke schneiden und binden. Die Arbeit in einem Winzerbetrieb hat viele Facetten und ist aufwendig, betont Laurent: „Die Menschen glauben, die Weinflasche wächst an der Rebe.“ Doch Wein wird mit viel Mühe und Herzblut hergestellt, wie das Tageblatt-Team immer wieder lernen muss – und das von engagierten Menschen wie Laurent Rutili.
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