
Seit Jahren experimentiert das DKollektiv zwischen den rostigen Rippen der alten Düdelinger „Schmelz“ mit Themen, die aus dem Boden wachsen, auf dem sie stehen. Nach „Cicatrice urbaine“ und „Sols et sous-sols“ heißt das diesjährige Kapitel „Destropia – Entre création et destruction“. Eine Wortfusion aus „Destruction“ und „Utopia“, aus Zusammenbruch und Vision. Der Titel klingt nach Endzeit – tatsächlich aber geht es hier ums Gegenteil: um Transformation.
Wie Phönix aus der Asche
„Destropia ist entstanden, weil der ,Fonds du logement‘ in diesem Jahr alles abgerissen hat, was nicht unter Denkmalschutz steht“, sagt Eric Marx, Mitorganisator und langjähriges Mitglied des DKollektivs. „Wir haben gesehen, wie alles dem Erdboden gleichgemacht wurde. Und deshalb haben wir uns mit diesem Thema beschäftigt: Zerstörung und Utopie. Aus dem Alten wächst dann etwas Neues, wie ein Pilz. Nicht alles, was zerstört wird, ist automatisch etwas Negatives.“
Lebendige Erde
In diesem Sinne haben Künstler*innen aus Luxemburg und der Region einen Monat lang die Werkstätten des VEWA-Gebäudes in Besitz genommen und mit recycelten Materialien ihre Ideen zum Thema Destropia in Kunstwerke umgewandelt. „Wir haben die Leute ermutigt, nichts Neues zu kaufen“, erklärt Marx. „Jeder bekam zwar ein Budget, das er oder sie behalten durfte, wenn es nicht gebraucht wurde. Doch es ging vor allem darum, das zu nutzen, was schon da ist. Die Zerstörung selbst wird zum Material.“

Unter den Künstler*innen ist Dijana Engelmann, eine kroatische Bildhauerin, die seit sechs Jahren in Luxemburg lebt. Sie arbeitet mit Ton – aber nicht so, wie man es aus der Werkstatt kennt. Ihr Material ist wild, eigenwillig, voller Leben. „Ich sammle meinen Ton selbst in der Natur“, erzählt sie. „Ich möchte keine Spuren hinterlassen. Ich nehme nur kleine Mengen, sodass es unbemerkt bleibt, dass ich dort war.“
Ihre Arbeit ist somit ein stiller Dialog mit der Erde. Ton, Wasser, Zeit. Sie beschreibt, wie sich die Moleküle voneinander lösen, wenn der Ton feucht wird – wie er zerfällt, aber nie ganz verschwindet. „Wenn er dann wieder trocknet, kehrt er in seine natürliche Form zurück“, sagt sie. „Es ist ein Kreislauf.“

Aus genau diesem Prozess hat Engelmann für „Destropia“ die Videoinstallation „Wer gibt hier den Ton an?“ kreiert, die den Zerfall des Materials zeigt. Daneben steht ein kleines Aquarium, ein fragiles Setting aus Ton, Wasser und Mikrofonen. Die Besucher*innen können die Tonstücke nacheinander in das mit Wasser gefüllte Becken legen und lauschen, wie sie klingen, wenn sie sich verwandeln. „Es hört sich fast so an, als würde der Ton schreien“, sagt sie. „Es ist erstaunlich laut. Er zwitschert, kracht, verändert sich.“
Zwischen Beton und Blüte
Vor dem Fotolabor des Düdelinger Fotoclubs im ersten Stock des VEWA leuchtet ein rotes Licht. Das bedeutet: Nicht eintreten! Hier arbeitet Fotografin und Künstlerin Muriel Wagener – genannt Murel: „Ich habe Fotos vom Schmelz-Gelände gemacht, als sie dabei waren, alles abzureißen. Da sieht man Metall, Steine, Ziegel, Beton. Als Kontrast habe ich dann Blumen und Pflanzen fotografiert, die sich durch den Beton kämpfen. Die lassen sich nicht unterkriegen. Sie sagen: Wir leben weiter.“
Ihre Schwarz-Weiß-Fotos hängen an alten Kleiderständern, die früher in der Fabrik benutzt wurden. Wagener hat die Fotos in Workshops mit Besucher*innen entwickelt. „Wir haben Menschen eingeladen, mitzumachen und selbst Fotos zu entwickeln“, erzählt sie. „Es geht uns als Fotoclub darum, das Labor mit Leben zu füllen, denn es ist kein Museum.“
Die Rache der Tauben

Und dann ist da noch Tom Waldbillig, der mit einem Hauch von Ironie in der Stimme von seinen Tauben erzählt. „Mein Kunstwerk heißt ‚Die Rache der Tauben‘“, sagt er. „Als das Gebäude nebenan abgerissen wurde, war es voller Tauben, die dann alle zu uns herübergekommen sind. Den ganzen Sommer lang war die VEWA-Halle voller Vögel, die wir versucht haben, zu verscheuchen.“
Seine Arbeit – mehrere Taubenfiguren aus recyceltem Material, die er teilweise sogar aus dem Müll gefischt hat – ist eine Reaktion, eine Art Exorzismus. „Ich wollte zeigen, dass der Geist der Tauben noch immer hier ist“, sagt er. „Die roten Lichter, die ich als Augen benutze, schauen dich an. Ein wenig vorwurfsvoll, ein wenig zornig.“
„Destropia“ ist keine klassische Ausstellung, sondern ein Ausschnitt aus einem Prozess. Zwischen Beton, Staub und Metall entsteht etwas Neues – unfertig, aber lebendig. Düdelingen selbst verändert sich mit: Aus dem ehemaligen Industrieareal wächst das neue Viertel „Neischmelz“. Hier wird sichtbar, wie Verfall zum Ausgangspunkt für Neues werden kann.
Events, Besuchsmöglichkeiten, Kunstschaffende
Permanence: Mittwoch, 15. Oktober, 16.00-21.00 Uhr
Finissage & Total Destruction Jam Session: Samstag, 18. Oktober, 17.00-22.00 Uhr
Die teilnehmenden Künstler*innen sind Georges Allenbach, Dijana Engelmann, Nicolas Graf, Claude Keup, Ayse Kovaaslan, Eric Marx, Camille Reiter, Erwin Reiter, Daria Rotko, Hektor Theoulakis, Yoann Vlaiconi, Murielle Wagener, Tom Waldbillig und Rico Winandy.
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