EditorialKulturkampf um Europa: Wie rechtsextreme Positionen legitimiert werden

Editorial / Kulturkampf um Europa: Wie rechtsextreme Positionen legitimiert werden
Ein Plakat mit der Aufschrift „*Innen“ ist an der Hochschule für Fernsehen und Film München (HFF) zu sehen. In Bayerns Schulen, Hochschulen und Behörden ist die Verwendung von geschlechtersensibler Gendersprache ausdrücklich verboten. Foto: Sven Hoppe/dpa

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Einen Rechtsruck in Europa verhindern: Das haben sich viele linksgerichtete Parteien für die kommenden Europawahlen auf die Fahne geschrieben. Und auch viele Politiker aus konservativen Milieus wollen Gruppierungen und Parteien mit rechtsextremem oder faschistischem Anstrich möglichst eindämmen. Nur wie das gelingen soll, darüber sind sich die Akteure uneins.

Jüngste Beispiele sind etwa die wieder aufgeflammte Diskussion um die Atomkraft oder das jüngst im deutschen Bundesland Bayern durchgesetzte Genderverbot in öffentlichen Verwaltungen und Schulen. Sie sind nicht nur Ausdruck einer politischen Ohnmacht gegenüber den gesamtgesellschaftlichen Umwälzungen und technischen Fortschritten der vergangene Jahre. Sie müssen ebenfalls als der hilflose Versuch einer Antwort auf die von rechten Parteien aufgeworfenen Polemiken verstanden werden.

Wenn im Rahmen der Atomkraftdebatte Technologieoffenheit eingefordert wird, wird damit nichts anderes als eine bereits abgeschlossene Debatte neu heraufbeschworen, um vor allem konservative Mitstreiter in der politischen Arena vor sich herzutreiben. Denn: Die alten Probleme sind immer noch die alten Probleme, wie Tageblatt-Kollege Julian Dörr in seinem Editorial bereits festgehalten hatte. Zumal die Debatte keineswegs eine technologieoffene ist: Meist werden nachhaltige Formen der Energiegewinnung als wenig zuverlässig oder nicht ausgereift diffamiert. Spätestens wenn es um eine Lösungsfindung geht, entpuppen sich die Heraufbeschwörer solcher Kontroversen meist als Antagonisten eines konstruktiven Dialogs.

Sehr ähnlich laufen die Debatten um den sogenannten „woken Genderwahn“ ab. Mit dem ehemaligen ADR-Parteipräsidenten Fred Keup hat es diese Begrifflichkeit als Kampfbegriff der selbsternannten rechten Kulturbewahrer in den öffentlichen Diskurs geschafft. Wenig innovativ wurde sich an den amerikanischen Rechten inspiriert – mit Erfolg. Vereinzelt haben solche Denkweisen auch schon in Luxemburg Schule gemacht. Abzuwarten bleibt, ob und inwiefern diese Politik salonfähig wird.

Wer aber diese Denkweise aufgreift und – wenn auch in abgeschwächter Form – in seine Politik mit einfließen lässt, wehrt sich nicht etwa gegen Rechtsextremismus, sondern ermöglicht diesem erst, in der gesellschaftlichen Mitte Fuß zu fassen. Trotz oder gerade aufgrund der anstehenden Europawahlen sollten sich Parteien und Politiker am bürgerlich-konservativen Rand die Frage stellen, inwiefern sie eine solche Politik erst legitimieren wollen.

Und wenn die Wahrung des gesamtgesellschaftlichen Friedens nicht Ansporn genug ist: Nicht zuletzt die Umfragewerte in Frankreich und Deutschland zeigen, dass der Wähler im Zweifelsfall eher das Original als die Kopie wählt. Ein elektoraler Erfolg ist also auch bei Vereinnahmung solcher Themen nicht gewiss. Im Gegenteil: Wer sich mit den Rechten auf diesen Kulturkampf einlässt oder versucht diesen zu gewinnen, hat bereits verloren.