Sonntag16. November 2025

Demaart De Maart

JahrestagKosovos 15-jähriges Unabhängigkeitsjubiläum wird von den Dauerspannungen mit Serbien, Armut und Abwanderung überschattet

Jahrestag / Kosovos 15-jähriges Unabhängigkeitsjubiläum wird von den Dauerspannungen mit Serbien, Armut und Abwanderung überschattet
Serbische Fahnen in den Straßen der nordkosovarischen Stadt Mitrovica: nördlich des Flusses Ibar, der die Stadt durchfließt, geben die Serben den Ton an Foto: AFP/Armend Nimani

Jetzt weiterlesen!

Für 0,99 € können Sie diesen Artikel erwerben:

Oder schließen Sie ein Abo ab:

ZU DEN ABOS

Sie sind bereits Kunde?

Mit großen Hoffnungen und dem Segen der Westmächte hatte Kosovo vor 15 Jahren seine Unabhängigkeit erklärt. Doch die damalige Partystimmung ist längst der Ernüchterung gewichen. Dauerspannungen mit dem Ex-Mutterland Serbien hemmen noch stets die Entwicklung von Europas Staatenneuling.

Der Einreise folgt die unfreiwillige Kniebeuge. „Unsere Schuld ist das nicht“, versichert am nordkosovarischen Grenzübergang Jarinje ein älterer Zollbeamter. Schulterzuckend begutachtet der Kosovo-Albaner, wie ein Reisender aus Belgrad vor seinem Vehikel knieend das serbische Wappen auf den Autokennzeichen mit weißer Abziehfolie überklebt: „Es sind die Politiker da oben, die die normalen Leute mit solchen Schikanen quälen. Es wird Zeit, dass das Abkommen kommt – und dieser Unsinn endlich endet.“

15 Jahre liegt die Unabhängigkeit von Europas jüngstem Staatsneuling bereits zurück. Voller Stolz hatte der damalige Premier und frühere Rebellenchef Hashim Thaci am 17. Februar 2008 im Parlament in Pristina den Vollzug der endgültigen Abnabelung von Serbien verkündet. „Der Tag ist gekommen: Von diesem Moment an ist Kosovo stolz, unabhängig und frei.“

Böllerschüsse und ein vielstimmiger Jubelchor waren der Auftakt für eine ausgelassene, tagelange Unabhängigkeitsparty. 350 Kilometer weiter im Norden sollten wenige Tage später Flammen lodern und Fenster klirren: Unter den Augen von Serbiens tatenloser Polizei steckte ein wütender Mob aus Protest gegen Kosovos Eigenstaatlichkeit mehrere Botschaften in Brand.

15 Jahre später ist in Pristina die einstige Party-Stimmung längst verflogen. Müde trotten zwei Straßenhunde durch die Fußgängerzone des Mutter-Theresa-Boulevard. Nur noch ein Poster an einer Hausfassade erinnert an den wegen des Verdachts von Kriegsverbrechen in Den Haag vor Gericht stehenden Thaci.

Nur noch als Poster präsent: Bildnis von Kosovos früherem Premier Hashim Thaci am Mutter-Theresa-Boulevard in Pristina 
Nur noch als Poster präsent: Bildnis von Kosovos früherem Premier Hashim Thaci am Mutter-Theresa-Boulevard in Pristina  Foto: Thomas Roser
Doch das größte Problem für Kosovo bleibt das ungeklärte Verhältnis zu Serbien: Es behindert die volle Integration in die internationale Gemeinschaft.

Lulzim Peci, Analyst und früherer Botschafter

Was Rechtsstaat und Demokratie angehe, stehe Kosovo besser da als andere Staaten auf dem Westbalkan, sagt der Analyst und frühere Botschafter Lulzim Peci: „Doch das größte Problem für Kosovo bleibt das ungeklärte Verhältnis zu Serbien: Es behindert die volle Integration in die internationale Gemeinschaft.“ Mit dem Segen der USA und fast aller EU-Staaten, aber gegen den Willen Serbiens hatte der seit dem Kosovokrieg 1999 zunächst unter internationaler Verwaltung stehende Staatenneuling seine Unabhängigkeit erklärt. Seitdem behindert das schmollende Ex-Mutterland die Nachbarn in der internationalen Arena auch mit der Veto-Hilfe Russlands und Chinas nach Kräften.

So ist Kosovo der Zutritt zur UN, dem Europarat, der Unesco oder Interpol noch immer verwehrt. Zwar konnte das Land 2015 ein Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnen. Aber es sind gerade die fünf EU-Staaten, die Kosovo noch immer nicht anerkannt haben, die dessen West-Integration gehörig bremsen. Von einem „virtuellen Veto“ spricht Peci: „Werden wir auch von diesen Staaten anerkannt, wird dies Stabilität bringen. Falls nicht, hält die Instabilität an.“

Nur auf dem Papier gleichberechtigt

Rote Albanerflaggen und Kosovos blau-gelbe Landesfahne knattern am Südufer des Ibar im frostigen Winterwind. Am Nordufer der geteilten Stadt Mitrovica sind rot-blau-weiße Banner über die entvölkerte Fußgängerzone gespannt. „Dies ist Serbien“ verkünden trotzig vergilbte Plakate.

Nur noch knapp 100.000 Serben leben nach jüngsten Schätzungen in dem 1,7 Millionen Menschen zählenden Kosovo. Fast die Hälfte von Kosovos größter, aber schwindender Minderheit lebt im serbisch besiedelten Nordwestzipfel des Landes. Der Rest in isolierten Siedlungsenklaven südlich des Ibar. „Nur auf dem Papier sind wir Serben gleichberechtigt“, seufzt im Café „Bebop“ der Jurist Marko Jaksic: „Doch mit der Realität hat das leider nichts zu tun.“ Die Lage der Kosovo-Serben habe sich seit der Unabhängigkeitserklärung „zum Schlechten verändert“, klagt er. Genauso wie Serbiens Autokrat Slobodan Milosevic in den 90er Jahren die Kosovo-Albaner mit Waffengewalt zur Loyalität mit Belgrad habe nötigen wollen, versuche nun Kosovos Premier Albin Kurti, „die Serben mit Gewalt und der Polizei zuliebe zum Kosovo zu zwingen“: „Seit Kurti 2021 die Macht übernommen hat, ist die Diskriminierung der Serben zum Alltag geworden.“

So seien in Kosovos Justizsystem zwar Stellen für Serben ausgeschrieben, aber sei nun ein „in Kosovo gültiger“ Hochschulabschluss vonnöten: „Unsere Studenten, die in Nord-Mitrovica studieren, müssten dafür ihre serbischen Hochschulabschlüsse verifizieren lassen. Aber die Regierung hat die dafür nötige Kommission nie gebildet.“ Selbst von serbischen Gerichten vollzogene Scheidungen würden nicht mehr anerkannt: „Wenn vor 2008 geschiedene Serben ihr Eigentum verkaufen wollen, müssen sie auch Scheidungen von längst verstorbenen Ex-Partnern vor einem Kosovo-Gereicht neu vollziehen lassen.“

Russisches „Z“ in Kosovos Serbenhochburg Nord-Mitrovica
Russisches „Z“ in Kosovos Serbenhochburg Nord-Mitrovica Foto: Thomas Roser

Die Serben im von Kosovo-Albanern dominierten Süden haben sich notgedrungen mit dem neuen Staat arrangiert. Im Norden stößt hingegen selbst die von Pristina forcierte Einführung von Kosovo-Autoschildern auf erbitterten Widerstand. Doch es ist weniger das Verhältnis zwischen Kosovo-Albanern und Serben als die Dauerspannungen zwischen Pristina und Belgrad, die der Minderheit zu schaffen machen – und Kosovos Schutzmächte beunruhigen.

Der von der EU moderierte „Dialog“ zwischen den Dauerstreithähnen zum Abschluss eines Nachbarschaftsabkommen ist seit Jahren völlig ins Stocken geraten. Als Belgrad in dem zeitweise zum Barrikadenkampf eskalierten Autoschilderstreit in Nordkosovo zu Jahresbeginn gar Truppen an der Grenze aufziehen ließ, machte in westlichen Medien gar das Szenario eines neuen, von Russland angezettelten Waffengangs die Runde.

Zweiter Krieg eher irreal

Graffitis mit dem russischen „Z“ prangen auch im Zentrum von Nord-Mitrovica an Häuserwänden. Die von Belgrad gerne gezeichnete Gefahr eines zweiten Kosovo-Kriegs scheint zwar eher irreal. Laut Miodrag Milicevic von der Bürgerrechtsgruppe „Aktiv“ verfehlt der „sich wiederholende Krisenzyklus“ seine Wirkung aber dennoch nicht: Ob im Süden oder im Norden – immer mehr Serben würden den Kosovo verlassen, auch im eigenen Bekanntenkreis.

Laut einer Umfrage „sehen über 50 Prozent der Serben ihre Zukunft in den nächsten fünf Jahren nicht mehr im Kosovo“, sagt Milicevic. Das „sehr geringe Vertrauen“ in Pristina macht er für deren Abwanderung ins Mutterland oder nach Westeuropa verantwortlich. Kosovo habe zwar „gewisse Fortschritte“ erzielt: „Aber keine einzige Regierung in den letzten 15 Jahren hat das Leben der serbischen Gemeinschaft in irgendeiner Form verbessert.“

„Auffällig“ sei, dass ausgerechnet die bisher progressivste Regierung in Pristina den Exodus der Kosovo-Serben beschleunige: „Kurtis Vetevendosje hatte im Wahlkampf mehr Offenheit gegenüber den Minderheiten gelobt. Und nun macht sie an der Regierung genau das Gegenteil von dem, was sie versprochen hatte.“ Nicht nur für Pristina, sondern auch für Belgrad seien die Kosovo-Serben „nur ein Objekt“, klagt Jaksic: „Wir befinden uns zwischen dem Amboss von Serbiens Präsident Vucic, der hier nur seine eigenen Interessen verfolgt, und dem aggressiven Hammer von Kurti. Und das ist keine gute Position.“

Bruder, glaube mir: Ob Albaner oder Serben, normale Leute kommen überall normal miteinander aus – und haben keine Probleme.

Asafi, Taxifahrer

Mit einer Hand steuert der stämmige Asafi seinen VW durch das Zentrum von Peja (Pec). „Bruder, das sind nur die Politiker, die Ärger machen“, versichert der redselige Taxifahrer. Ob Kosovos Premier Kurti oder Serbiens Präsident Vucic – „die sind doch alle gleich“. Er fahre jedes Jahr nach Montenegro in den Urlaub, erklärt der Kosovo-Albaner seine auffällig guten Serbisch-Kenntnisse: „Bruder, glaube mir: Ob Albaner oder Serben, normale Leute kommen überall normal miteinander aus – und haben keine Probleme.“

Emigration macht Regionen zu schaffen

Tief hängen die Wolken über den schneebedeckten Gipfeln des Prokletije-Gebirges. Nein, Ärger mit den Anwohnern hätten die Klosterbewohnerinnen keine, berichtet die fröstelnde Nonne mit Nickelbrille in dem zum Weltkulturerbe erklärten Gemäuer des serbisch-orthodoxen Patriarchats von Pec: „Die Zeiten sind zum Glück vorbei.“ Mehr zu schaffen scheint ihr die Größe des Anwesens zu machen: „Wir sind eigentlich zu wenig Frauen, um dieses große Kloster zu bewirtschaften. Aber unser Beistand ist Gott.“

Nach dem Kosovo-Krieg sei die Stadt zu 85 Prozent zerstört gewesen, erzählt in Peja der Bürgerrechtsaktivist Veton Mujaj. Der Hass auf die Serben sei damals groß, der Neubeginn für alle Volksgruppen „nicht leicht“ gewesen. Erst nach 2004 habe sich die Lage zu beruhigen begonnen und seien auch geflüchtete Serben wieder zurückgekehrt: „Die meisten von ihnen leben heute in den umliegenden Dörfern, manche auch in der Stadt.“

Fast alle zerstörten Häuser seien mittlerweile wieder aufgebaut – oft mit Hilfe von ins Ausland emigrierten Verwandten: „Unsere Diaspora ist der wichtigste Donator im Kosovo.“ Wie anderen Regionen mache Peja der Aderlass in die Emigration jedoch auch zu schaffen: „Fast jeden Tag ziehen hier Menschen fort, meist jüngere Fachkräfte aus dem Gesundheitssektor.“

Doch auch für seine Stadt sei die ausgebliebene „Klärung“ des Verhältnisses zu Serbien das größte Entwicklungshemmnis: „Unser Premier behauptet zwar, dass der Dialog mit Serbien für ihn keine Priorität habe. Aber an 200 von 365 Tagen im Jahr ist er genau damit beschäftigt.“ Ausländische Investoren wollten „Sicherheit“. Aber Kosovos gespannte Beziehungen zu Belgrad, der Ukraine-Krieg und Serbiens „unklare“ Haltung zu Russland sorgten für „eine Unsicherheit, die langfristige Planungen erschwert“: „Es ist höchste Zeit, dass wir uns mit Serbien verständigen, auch wenn das nicht leicht ist.“

Sicherheitsfrage muss gelöst werden

Achtlos hasten die Passanten in Pristina an dem mit Friedenstauben bemalten „Newborn – neugeboren“ Lettern des Unabhängigkeitsdenkmal vorüber. Die Unabhängigkeit sei „eine großartige Leistung von uns allen“ gewesen, sagt Lumir Abdixhiku, der Chef der oppositionellen LDK. Doch nicht nur die fünf EU-Staaten, die Kosovo noch immer nicht anerkennen, hätten die Westintegration Kosovos „wesentlich schwerer gemacht als erwartet“: „Die Spannungen mit Serbien bestimmen noch immer die Schlagzeilen, während die junge Generation hier völlig andere Probleme hat.“

Nur mit einer „Lösung der Sicherheitsfrage“ und einem schnellen Beitritt zur NATO ließe sich das Umfeld für mehr Investitionen, mehr Arbeitsplätze und die Verbesserung des Gesundheits- und Bildungssektors schaffen, so der Ökonom. Der Ukraine-Krieg habe die Aufmerksamkeit des Westens erneut auf den Westbalkan gelenkt und Kosovo „ein historisches Momentum“ für ein Abkommen mit Serbien beschert: „Doch dafür wäre eine verantwortungsvolle Politik und enge Abstimmung mit unseren westlichen Partnern nötig. Die Regierung nutzt diese Chance nicht, sondern tritt mit ihrer populistischen Politik der Konfrontation in die Falle der Provokationen von Vucic.“

Wo wird Kosovo in fünf Jahren stehen? Er hoffe, dass die serbische Gemeinschaft bis dahin „wirklich“ im politischen und sozialen Leben integriert sein werde, sagt Analyst Peci. Er hoffe, dass Kosovo in fünf Jahren von allen EU-Staaten anerkannt und auf dem Weg in die NATO sei, sagt der Politiker Abdixhiku: „Ich erwarte, dass wir dann endlich nicht mehr über Konflikte reden, sondern über dieselben Probleme wie alle anderen europäischen Staaten.“

Der serbische Jurist Jaksic fürchtet indes, dass „wir auch in zehn Jahren noch immer dieselben Debatten führen, selbst wenn Serbien Kosovo anerkennen sollte“. Wenn Kosovo ein idealer Ort für die Serben zum Leben wäre, würde auch niemand wegziehen: „Milosevic hat hier den Krieg geführt, nicht ich. Milosevic ist tot, ich lebe – und will wie alle Europäer auch als Serbe im Nordkosovo ein normales Leben führen. Wir müssen eine echte Lösung finden, die sowohl den Interessen der Albaner als auch der Serben gerecht wird.“

Kosovos Premierminister Albin Kurti 
Kosovos Premierminister Albin Kurti  Foto: AFP/Armend Nimani