Nervosität lag am Samstagmorgen in der Luft, als sich die angereisten 70 Europaabgeordneten von vier Fraktionen (Progressive Allianz der Sozialdemokraten, Renew Europe, Die Grünen und Die Linke) sowie zahlreiche Vertreter nationaler Parlamente aus ganz Europa versammelten. Unter ihnen auch die luxemburgischen EU-Abgeordneten Tilly Metz und Marc Angel, die zu dieser Pressereise eingeladen hatten. Von den Politikerinnen und Politikern war bei dieser und weiteren Veranstaltungen am Morgen immer wieder dieselbe Botschaft zu hören: Viktor Orbans Verbot der Pride sei ein Verstoß gegen das Europarecht, ein Angriff auf die Zivilgesellschaft und eine Untergrabung der Menschenrechte. Die EU-Kommission und Ursula von der Leyen müssten endlich gegen Orban vorgehen.

Doch trotz allem politischen Mut und dem Willen, klare Kante zu zeigen, stellen sich am Morgen immer wieder dieselben Fragen: Wie sicher wird die Pride sein? Was ist mit den angekündigten Gegendemos? Und: Wie viele Menschen werden tatsächlich teilnehmen? Die Veranstalter der Pride geben sich zurückhaltend, sie hoffen auf 35.000 bis 50.000 Teilnehmende.

Die unterschwellige Angst kommt nicht von ungefähr: In den vergangenen Wochen und Tagen gab es immer wieder Drohungen von Orban und seiner Regierung gegen die Pride. Seit März 2025 gilt in Ungarn ein Gesetz, das LGBTQIA+-Veranstaltungen wie die Pride verbietet. Als Grundlage diente ein sogenanntes „Kinderschutzgesetz“ aus dem Jahr 2021. Teilnehmern der verbotenen Pride in Budapest drohen Geldstrafen von bis zu 500 Euro. Für die Organisatoren steht sogar eine einjährige Haftstrafe im Raum. Die Polizei ist befugt, Gesichtserkennungstechnologie einzusetzen, um Teilnehmer zu identifizieren. Die vier angemeldeten Gegendemos – darunter zwei von Neonazi-Gruppen – wurden hingegen „legal“ zugelassen.
Als sich die Menschen gegen 14.30 Uhr rund um das Rathaus versammeln, wird schnell klar, dass Orbans Verbot und seine Einschüchterungsversuche das genaue Gegenteil dessen bewirken, was er beabsichtigt hatte – und dass die Erwartungen der Veranstalter übertroffen wurden. Zehntausende füllen den Platz vor dem Rathaus. Plötzlich liegt eine eigentümliche Euphorie in der Luft, laute Musik hallt durch die Straßen. „Das ist wunderbar“, freut sich Marc Angel.

Dann setzt sich der Zug in Bewegung – und das Ausmaß der Bewegung wird deutlich. Laut Veranstaltern nahmen zwischen 180.000 und 200.000 Menschen teil. Berichten zufolge erstreckte sich der Zug über 2,5 Kilometer: Während die Spitze des Protests bereits am Ziel ankam, setzten sich die letzten Teilnehmenden erst in Bewegung. Amnesty Ungarn teilt mit, dass die Veranstaltung „mit Leichtigkeit die größte“ Pride-Parade in der Geschichte Ungarns gewesen sei – und „vielleicht sogar die größte Demonstration überhaupt“. „Ich lebe seit 21 Jahren hier und war noch nie auf einer Pride-Parade“, erzählt Gary, einer der Teilnehmenden. Wir treffen ihn zu Beginn des Zugs in unmittelbarer Nähe zum Rathaus. „Ich denke, die Menschen haben einfach genug. Diese Regierung ist so korrupt.“

Es wäre kaum überraschend, wenn Orban in den kommenden Tagen die große internationale Unterstützung für die hohe Teilnehmerzahl verantwortlich machen würde. Immerhin hat er den „Einfluss“ Brüssels in Ungarn bereits mehrfach scharf kritisiert. Doch der Eindruck vor Ort ist ein anderer: Die überwältigende Mehrheit der Demonstrierenden sind ungarische Bürgerinnen und Bürger. Unter ihnen sollen sich sogar mehrere Leitende staatlicher und halbstaatlicher Einrichtungen befunden haben, denen ihr Protest den Arbeitsplatz kosten könnte.

Protest gegen „korrupte“ Orban-Regierung
Immer wieder sieht man in der Menge Menschen, die versuchen, sich der Identifikation durch Überwachungskameras zu entziehen – mit kreativem Make-up, auffälligen Hüten, Perücken oder sogar einem T-Rex-Kostüm. Andere zeigen ihr Gesicht mit Stolz. So etwa Anna: „Selbst wenn ich eine Strafe bekomme – das ist mir egal.“ Die junge Frau ist in Budapest geboren und aufgewachsen, lebt inzwischen aber in Schweden. „Ich war mir eigentlich die ganze Zeit sicher, dass ich hingehen werde. Aber als die Gegendemos auf der Strecke angekündigt wurden, da wurde ich schon etwas nervös. Trotzdem – wir sind vorbereitet, um mit möglichen Konflikten umzugehen.“

Während des Pride-Marsches begegnen uns nur zwei Gegendemos. Einmal tragen zwei Pride-Gegner ein Kreuz und eine Bibel durch die Menge, begleitet von mehreren Polizisten. Sie werden von den Tausenden einfach umlaufen. Kurz nach der Elisabethbrücke, wo der Umzug nach links abbiegt, steht eine zweite Gruppe Gegner. Es sind vier Personen, die ein Banner hochhalten. Davor stehen rund 20 Polizisten und zwei Polizeifahrzeuge, die sie beinahe vollständig abschirmen. Doch die Pride-Teilnehmenden bleiben friedlich und verweigern jegliche Reaktion. Stattdessen winken sie lieber den Unterstützenden zu, die von der St.-Gerard-Sagredo-Statue aus das Ausmaß des Zugs beobachten.

Auf der Elisabethbrücke kommen wir mit Victoria ins Gespräch. „Ehrlich gesagt: Ich habe noch nie an einer Pride teilgenommen – noch nie in meinem Leben. Aber im Moment geht es um unsere Rechte. Wir müssen zeigen, dass wir dafür einstehen. Und wir müssen akzeptieren, dass wir mit anderen Menschen zusammenleben.“ Sie gestikuliert in Richtung ihrer Kinder: „Das will ich auch ihnen zeigen – sie sollen wissen, dass es unterschiedliche Menschen auf der Welt gibt. Für mich geht es vor allem um die Demokratie in diesem Land. Es ist ein Protest gegen die politische Partei, nicht nur eine Feier der Pride.“
Sie ist nicht die Einzige, die so deutlich formuliert, warum sie gekommen ist. Für Orban dürfte der Pride-Protestmarsch als Warnung verstanden werden – insbesondere mit Blick auf die Wahlen im Jahr 2026. Viele Wähler scheinen nach Alternativen zur langjährigen Fidesz-Herrschaft zu suchen. Oder, wie es einer der jüngsten Teilnehmer der Pride ausdrückt, als er darauf besteht, uns ein Interview zu geben: „Mein Lieblingsverein ist Manchester City. Scheiß auf Orban.“
„Mein Lieblingsverein ist Manchester City. Scheiß auf Orban.“
De Maart


























@ HeWhoCannotBeNamed -nee, éierlech gesot, gefält mir dat ganzt Gedeessems net. Ech hunn näischt géint divers Orientéierungen, mä mech nervt et gewalteg dass een dat ganzt LGBTS Gedeessems duerch EU sponsoriséiert NGO's opgedrängt kritt. All Mënsch soll seng Präferenzen ausliewe kennen, a seng Léift genéissen, soulaang et am Legalem Beräich bleift, mä et soll een doduerch déi aner net beanträchtegen. LGBT Persoune sinn et nach ëmmer ginn, an et ass ni eng Affaire gewiescht - just bis EU decidéiert huet fir een Trend draus ze maachen.
OK, manchmal sieht doch nicht alles so übel aus für die Menschheit. Die Diversität der menschlichen Spezies zu akzeptieren sollte eigentlich selbstverständlich sein...
@Jeff : ihr Kommentar zeugt von einer lächerlich anmutenden Pikiertheit. 180.000 sind eine gewaltige Zahl, die nicht mit der EInwohnerzahl Ungarns, sondern mit der Handvoll Gegendemonstranten aufgewogen werden soll. Tss... gefällt Ihnen die Pride etwa nicht?
Höchst erfreulich, dass so viele Menschen sich solidarisieren, sich für Diversität einsetzen, und sich der faschistoiden Orban-Politik entschlossen widersetzen.
Solidarität ist das Schlagwort unserer Zeit, Gemeinsam können wir vieles schaffen, lassen wir uns hingegen auseinander dividieren sind wir schwach.
180.000 vu 9,6 milliounen, dat ass net déck