Klangwelten: Von Chai, Jazz und koreanischen Boybands

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K-Pop-Größen kehren zurück

BTS – Map Of The Soul: Persona

BTS sind die momentan wohl bekanntesten Künstler aus dem Bereich des koreanischen Pop. Bestehend aus sieben jungen südkoreanischen Männern – RM, Jin, Suga, J-Hope, Jimin, V und Jungkook – und 2013 gegründet, machte das Septett vorerst rapzentrierte Songs zu einer Zeit, als Hip-Hop gerade erst begann, die koreanische Musikszene zu erobern. 2018 war ihr Studioalbum „Love Yourself: Tear“ das erste koreanische Album, das jemals die US-Billboard-200- Charts erreichte und internationale Anerkennung erntete. Nun wurde ihr neues Album „Map Of The Soul: Persona“ veröffentlicht.

Das Musikvideo zum Track „Boy With Luv“ hat laut Guinness World Records kürzlich Geschichte geschrieben. Die Gruppe hatte in einem Zeitraum von 24 Stunden nicht nur einen, sondern gleich drei Weltrekorde in Bezug auf die Views bei YouTube aufgestellt. Es ist kein Geheimnis, dass K-Pop sich schnell auf der ganzen Welt etabliert und BTS als wichtiger Vorreiter gelten.

Mit dem neuen Album liefern sie eine actiongeladene EP, die zwischen Genres wie Hip-Hop, Rock, R&B wechselt und eine facettenreiche Erkundung im Leben und Herzen einer der größten Boybands der Welt ermöglicht. Den Auftakt macht das Album mit „Intro: Persona“, in dem sie mit schnellen Raps punkten und mit „Who the hell am I?“ eine Frage in den Raum werfen, die sich wohl jeder zumindest einmal im Leben gestellt hat. Es handelt sich um ein Album mit einer beeindruckenden Auswahl an Features, das jedem ihrer sieben Mitglieder die Chance gibt, zu glänzen.

Die EP bewegt sich auf verschiedenen Themenfeldern wie beispielsweise Liebe, Ruhm und Ehrgeiz. Hörbar werden die Gedanken durch beeindruckende und intensive Gesangseinlagen, welche die Spannungen des Teenagerdramas kanalisieren. Vom Downbeat Groove von „Mikrokosmos“ bis zum raplastigen Partyrock von „Dionysus“ haben sie alles in petto.

Die Texte sind auf Koreanisch und Englisch – wobei ein Beispiel für nahtlose Übergänge das hochkarätige Halsey-Feature auf „Boy With Luv“ ist. Einmal wird sich sogar eines zarten Hauchs von Spanisch im Song „HOME“ bedient.

„Make It Right“, co-komponiert von Ed Sheeran, ist einer der schwächeren Songs. Eine einzelne Hornlinie wird geloopt. Statt ein Drama zu vermitteln – darum geht es nämlich im Song –, kann man gesellig dazu tanzen. Wiederum besser kommt das melodische „Jamais Vue“ weg, in dem BTS nach einem „remedy“ (eng. Heilmittel) gegen Herzschmerz fragen. Bei diesem Song hat die Band die richtige Balance zwischen Gesang und Rap gefunden.

Mit all ihren Tracks hat die Gruppe einen Blick in ihre Vergangenheit geworfen und ist ihren Wurzeln noch einmal näher gekommen. In dem letzten Song „Dionysus“ wird die Frage gestellt: „Are you ready for this?“ Dies könnten sie sich auch selbst fragen. Sind sie bereit, sich von der Vergangenheit zu lösen und sich in neue Abenteuer und neue Erfahrungen zu stürzen? „Map Of The Soul: Persona“ lässt vermuten, das genau das der Fall ist.

Von Cynthia Schmit

Wertung:  9/10

Anspieltipps: Intro: Persona, HOME, Dionysus


Back to normal

Branford Marsalis Quartet – The Secret Between The Shadow And The Soul

Nachdem es über einen längeren Zeitraum mit Sänger Kurt Elling im Studio und auf Tournee Standards des Vocal Jazz zum Besten gegeben hat, sind beim Quartett des Saxofonisten Branford Marsalis nun wieder hochkomplexe Songstrukturen und rasanter Bebop angesagt, die dem Zuhörer so manches abverlangen.

Menschen, die Musik als Hintergrund zu einer anderen Aktivität begreifen und demnach den Jazz lieben, zu dem man sich besonders ungestört mit seinen Mitmenschen unterhalten kann, sollten einen großen Bogen um das neueste Werk des ältesten der vier Marsalis-Brüder machen. Okay, sie könnten vielleicht Joey Calderazzos Komposition „Cianna“ in eine dementsprechende Playlist aufnehmen, die in der Tat so ein bisschen altbacken daherkommt und nach Cocktailbar klingt, bei den restlichen Stücken würden sie hingegen das Gesicht verziehen, sich vielleicht sogar die Ohren zuhalten.

Das Album beginnt mit einer heftigen Komposition von Bassist Eric Revis, der man anhört, dass alle Bandmitglieder große Ornette-Coleman-Verehrer sind, denn die Nummer ist nah am Free Jazz. Auch die raffinierten (Dis-)Harmonien von Andrew Hills „Snake Hip Waltz“ und die etwas ruhigere Eigenkomposition des Bandleaders „Life Filtering From The Water Flowers“ ist nichts für ungeschulte Ohren, für veritable Jazzliebhaber, die sich darauf einlassen, jedoch ein wahrer Genuss. Bei der letztgenannten Nummer fügt Pianist Calderazzo während seines Soloausflugs so viele neue Melodien ein, dass es für zwei weitere Stücke gereicht hätte.

Das absolute Highlight der Platte haben sich die Musiker allerdings für das Ende aufgespart: die Coverversion von Keith Jarretts „The Windup“, das dieser 1973 mit dem Norweger Jan Garbarek am Saxofon aufnahm. Hier gelingt dem Quartett das Kunststück, eine Jazznummer, die im Original bereits genial war, noch genialer zu machen. Zu Beginn bleiben sie ganz nah an der Vorlage und man wartet vergeblich auf Jarretts Stöhnen oder Schreien, das die ursprünglichen Klavierparts begleitete. Doch dann wird das Arrangement über den Haufen geworfen und die Nummer um satte vier Minuten verlängert.

Erneut ist es Calderazzo, der zeigt, dass er trotz seiner bescheidenen Körpergröße von knapp 160 Zentimetern zu den ganz großen Jazzpianisten gehört; sein Solo ist atemberaubend. Beim Einsatz des Saxofons schwebt dann erneut der Geist Ornette Colemans über der Musik, da Marsalis irgendwie taktversetzt spielt, während ganz am Ende auch noch Schlagzeuger Justin Faulkner ausflippt, der seit geraumer Zeit die Institution Jeff „Tain“ Watts ersetzt, der vor genau zehn Jahren ausstieg. Diese großartige Band klingt 2019 besser denn je!

Von unserem Korrespondenten Gil Max

Wertung:  9/10

Anspieltipps: Life Filtering From The Water Flowers, The Windup


Feministischer Zuckerrausch

Chai – PUNK

Chai ist eine vierköpfige Disco-Punk-Band, die danach strebt, die Funktionsweise von Schönheit und Niedlichkeit in Japan zu destabilisieren. Das japanische Quartett widmet sein zweites Album enthusiastischem, maximalistischem Pop mit einer geradezu feministischen Botschaft.

Die Band besteht seit 2012. Ihre vier Mitglieder – die Zwillingsschwestern Mana und Kana (Leadsängerin/Keyboarderin bzw. Gitarristin), Yuki (Bass) und Yuna (Schlagzeug) – haben sich bei einem lokalen Musikwettbewerb durchgesetzt und zielen darauf ab, auf Schritt und Tritt zu fesseln. Der Name der Band, Chai, ist absichtlich kurz, eine Subversion japanischer Trends, lange Bandnamen zu haben, die dann von den Fans verkürzt werden. Der Name soll kurz und eindringlich sein, wie einer der vielen Ausrufe in ihren Liedern. Das zweite Album der in Nagoya ansässigen Band, „PUNK“, ist überaus vielversprechend. Trotz des gewählten Albumtitels bewegt sich die Platte im Bereich des Indie-Rocks. Die Songs sind von schweren Themen wie Verlust und Sehnsucht geprägt, doch Chai schreien „Ja!“ und zeigen Optimismus.

Die Texte handeln davon, seine Freunde zu lieben, herauszufinden, wer man selbst ist und sich nicht darum zu kümmern, was andere vom eigenen Lebensstil halten. „I don’t know about the world but I know me/I don’t hide my weight“, singt Sänger Mana in „I’m Me“. „PUNK“ ist voll von derartig unverblümtem feministischem Songwriting. Wenn Empowerment uncool ist, würden die Frauen von Chai sich dafür entscheiden, jedes Mal uncool zu sein.

Die neue Scheibe von Chai besticht durch ansteckende Melodien und Hooks. Hier hat man es mit starken, modernen Popsongs zu tun, in denen sowohl Gitarren als auch Schlagzeug und Tasten zur Geltung kommen. Leicht verzerrte Vocals, mehrere konkurrierende Synth-Lines und Drums werden mit Texten wie „Rosa Arschbacken sind mein Charme / Funkeln, Schmuck, Perlen, Prinzessin, Twilight!“ (aus dem Japanischen übersetzt) gemischt und herauskommt „I’m Me“, ein Zuckerrausch von Bubblegum-Pop.

Bei „Fashionista“ richten sie sich gegen moderne Schönheits-Standards, die viele Produkte erfordern, um „Perfection“ zu erreichen. Man sieht sich einem pulsierenden Synthesizer-Sound in „Great Job“ gegenüber, wobei Yunas Drums den Energieschub des Songs ergänzen. „This Is Chai“ ist eine Tanznummer, die auf einem eindrucksvollen Sample basiert, abgestimmt auf hämmernde Synths und Drums, die auch in „Great Job“ im Mittelpunkt stehen.

Die Gitarre und der Bass von Kana und Yuki sind auch für die Musik von entscheidender Bedeutung, mit ihren Sprüngen von Funk-Grooviness zu Heavy-Post-Punkiness. „Winetime“ ist womöglich der ruhigste Song des Albums. Neben den genannten Songs gibt es dann noch „Choose Go!“, „Family Member“, „Curly Adventure“, „Feel the BEAT“ und „Future“, die alle einzigartig sind und eine vielsagende Message vermitteln. Man wird bei keinem Lied enttäuscht und bekommt die volle Ladung „PUNK“. Pralle 30 Minuten Musikgenuss. Cynthia Schmit

Von Cynthia Schmit

Wertung:  7/10

Anspieltipps: This is Chai, I’m Me