Samstag1. November 2025

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PolenKaczynski entledigt sich regierungskritischer TV-Station

Polen / Kaczynski entledigt sich regierungskritischer TV-Station
Die Präsidentin des Sejm, des polnischen Parlaments, ließ gestern Abend eine bereits durchgeführte Abstimmung wiederholen. Die PiS-Politikerin Elzbieta Witek verging sich damit an der Parlamentsordnung. Foto: PAP/dpa/Wojciech Olkusnik

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Der Bruch von Jaroslaw Kaczynskis rechtspopulistischer Regierungskoalition rettete den unabhängigen, aber regierungskritischen Fernsehsender TVN nicht. Mit Unterstützung rechter und parteiloser Abgeordneter gelang es Kaczynski in der Nacht zum Donnerstag das neue TV-Gesetz mit 228 zu 216 Stimmen durchzuboxen. Hand boten dazu auch die zehn Abgeordneten der rechtsextremen „Konföderation“, die sich der Stimme enthielten.

Kaczynski gelang das Husarenstück gegen die Medienfreiheit in Polen dank einer Vergewaltigung der Parlamentsordnung. Parlamentspräsidentin Elzbieta Witek (PiS) ordnete am späten Mittwochabend nämlich eine Wiederholung einer von der Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) knapp verlorenen Abstimmung an. Zuerst war das höchst umstrittene Sachgeschäft nämlich überraschend unter großem Applaus der liberalen und linken Opposition auf September vertagt worden. Bei der Wiederholung änderten drei Parlamentarier der rechtsextremen Kleinpartei „Kukiz’15“ des gleichnamigen Rockmusikers ihre Meinung und stimmten mit der PiS. Parteigründer Pawel Kukiz hatte kürzlich mit Kaczynski eine lose Zusammenarbeit vereinbart, blieb aber de facto irgendwo zwischen Opposition und Regierung.

Laut dem neuen TV-Gesetz dürfen keine Fernsehstationen in Polen senden, die einen Besitzer außerhalb der EU, Norwegens, Islands und Liechtensteins haben. Das Gesetz soll sich laut Kaczynski gegen nicht-demokratische Einflüsse aus China, Russland und arabischen Ländern richten. De facto aber ist es haargenau auf den regierungskritischen TV-Sender TVN und dessen vor allem in den Städten beliebtem Nachrichtensender TVN24 gerichtet. Beide gehören dem amerikanischen Discovery-Channel. Ende September läuft die Konzession von TVN24 aus. Deshalb war es für Kaczynski derart wichtig, das Gesetz möglichst rasch zu verabschieden. Dazu kommt, dass nach dem Rückzug der Juniorregierungspartnerin „Verständigung“ des am Dienstagabend geschassten Wirtschaftsministers Jaroslaw Gowin unklar ist, wie lange PiS als Minderheitsregierung mit Unterstützung von Splitterstimmen weiterregieren kann. Kommt es zu vorgezogenen Neuwahlen, lassen sich diese leichter gewinnen, wenn es keine Gegenrede mehr zum von PiS gleichgeschalteten Staatsfernsehen TVP gibt.

Brüssel reagierte am Donnerstag scharf auf das neue polnische Fernsehgesetz. Demokratische Regierungen würden die Medienpluralität fördern und nicht gegen sie vorgehen, sagte die für Rechtsstaatlichkeit zuständige EU-Vize-Kommissionsvorsitzende Vera Jourova. Aus Washington meldete sich Außenminister Antony Blinken gleich doppelt besorgt. Neben dem klar gegen eine bekannte US-Investition in Polen gerichteten TV-Gesetz hatte der Sejm am Mittwoch auch eine Verjährung von Rückgabeklagen von während des Kommunismus nationalisierten jüdischen Eigentums beschlossen. Große Teile der Kaczynski-Anhänger hegen Theorien einer jüdischen Weltverschwörung. Auch dieser Wählerschaft will PiS vor vorgezogenen Neuwahlen entgegenkommen.

Senat darf Änderungen vorschlagen

„Das Abstimmungsresultat stellt das Eigentumsrecht in Polen infrage. Auch gefährdet es zweifelsohne das Fundament des in den letzten 30 Jahren errichteten Fundaments des polnisch-amerikanischen Bündnisses“, ließ TVN in der Nacht zum Donnerstag verlauten und forderte Staatspräsident Andrzej Duda (einst PiS, von Amts wegen nun parteilos) zum Veto gegen das Gesetz auf. Ob es sich für Kaczynski innenpolitisch auszahlt, sich nach dem über fünfjährigen Dauerstreit mit der EU auch noch gegen die USA als letzten Verbündeten zu wenden, werden die künftigen Wahlresultate zeigen. Einstweilen kam es in der Nacht zum Donnerstag vor dem Sejm zu teils gewalttätigen Demonstrationen der Opposition. Auch in weiteren Städten wurde demonstriert, jedoch nicht besonders zahlreich.

Das „TVN-Gesetz“ kommt nun vor den Senat, Polens kleine Kammer, wo die Opposition über eine knappe Mehrheit verfügt. Von dort dürfte es innerhalb von 30 Tagen mit Änderungswünschen an den Sejm zurückgegeben werden. In der damit nötigen zweiten Abstimmung muss Kaczynski eine absolute Mehrheit von 231 Ja-Stimmen für die umstrittene Vorlage erreichen. Es fehlen ihm im Moment also noch 3 Stimmen, die er mit lukrativen Jobversprechen in Staatsfirmen zusammenkaufen muss. Der vor 20 Jahren mit seiner neugegründeten PiS als strammer Anti-Korruptionskämpfer angetretene Kaczynski dürfte keine Hemmungen haben, alle Register zu ziehen, um an der Macht zu bleiben und den illiberalen, nationalkonservativen Staatsumbau in Polen zu vollenden.