27. November 2025 - 7.01 Uhr
Siebter Tag des Bommeleeër-ProzessesInstitutionen zum Narren gehalten: Staatsanwaltschaft fordert fünf Jahre Haft für Ex-Polizeichef
Meineid ist eine Straftat. Auf die vorsätzliche Falschaussage vor Gericht unter Eid stehen in Luxemburg fünf bis zehn Jahre Haft, selbst unter mildernden Umständen sind es mindestens drei Monate. Eine Geldstrafe und diverse Verbote können hinzukommen. Darauf weist die stellvertretende Staatsanwältin Dominique Peters hin, bevor sie ihr Plädoyer hält und die Strafforderungen für die fünf Angeklagten hält. Und sie klärt über den Unterschied darüber auf, wann es sich bei einer Aussage unter Eid vor Gericht um eine Falschaussage oder um widersprüchliche Aussagen – oder wenn ein Zeuge etwas verschweigt.
Das „höchste Niveau an Dreistigkeit“ würde bei Pierre Reuland vorliegen, so Peters. Laut Staatsanwaltschaft hat der einstige Leiter der Brigade mobile der Gendarmerie (BMG) und spätere (bis 2008) Generaldirektor der Polizei mehrfach gelogen. Unter anderem gilt dies die Frage betreffend, ob er im Oktober 1985 in die Beschattung des damals in der Affäre um die Serie von Sprengstoffanschlägen Hauptverdächtigen Ben Geiben involviert gewesen sei. Reuland hatte dies verneint. Sechs Personen hätten ihm jedoch widersprochen. „Es war eine klare Falschaussage“, betont Peters. Auf eine überhebliche Art habe Reuland die Institutionen zum Narren gehalten und die Ermittlungen in der Bommeleeër-Affäre nach Kräften behindert. „Er stand nicht hinter den Ermittlern“, sagt Peters, „sondern hinderte sie an der Wahrheitsfindung.“ Sich selbst habe er als unantastbar betrachtet. Peters fordert für Reuland darüber hinaus unter anderem den Entzug politischer Rechte und das Verbot öffentlicher Ämter.
Dreist und ohne Reue
Überhaupt habe keiner der Angeklagten Reue gezeigt, so die Staatsanwältin, weshalb sie nicht auf eine Bewährungsstrafe plädiere. Auch habe sich keiner dafür entschuldigt, zum Lügen gezwungen worden zu sein. Die Wahrheit sollte verschwiegen werden. Der frühere Sûreté-Chef Armand Schockweiler habe als Verantwortlicher für die Ermittlungen häufig auf die Art und Weise geantwortet, dass er nicht auf dem Laufenden gewesen sei, falsche oder ausweichende Antworten gegeben habe oder gesagt habe: „Ich weiß nicht mehr.“ Zudem sei er für das Verschwinden einiger Beweismittel, wie etwa einer Zündvorrichtung verantwortlich. Die stellvertretende Staatsanwältin fordert für ihn drei Jahre Haft. Für den früheren Gendarmerie-Chef Aloyse Harpes, der aufgrund seiner Gebrechlichkeit nur am ersten Tag des Prozesses vor Gericht treten konnte, sieht das Parquet zwei Jahre vor. Er sei nicht weniger stark impliziert gewesen, so Peters, aber sein hohes Alter von 97 Jahren müsse berücksichtigt werden. In der Affäre sei er unumgänglich gewesen, hatten eine Reihe von Zeugen im Bommeleeër-Prozess bestätigt.

Als ein weiterer früherer hoher Verantwortlicher der Gendarmerie und früherer Generalsekretär der Polizei hat sich auch Guy Stebens vor Gericht verantworten müssen. „Er stand zurzeit der Bommeleeër-Attentate als junger Offizier unter den Fittichen von Reuland, der alles absegnete“, erklärt Peters. Ihm seien zwar keine Falschaussagen, aber zumindest widersprüchliche Aussagen nachzuweisen, etwa in Bezug auf seine Agenda respektive sein Notizbuch aus dem Jahr 1985, das anscheinend verschwunden ist. Er soll für 18 Monate ins Gefängnis, ebenso der ehemalige Sûreté-Beamte Guillaume Büchler, der bestritten hatte, Ben Geiben gesehen zu haben. „Dabei war es klar, dass er ihn gesehen hatte“, sagt die stellvertretende Staatsanwältin. Dagegen soll Marcel Weydert, ein ehemaliges BMG-Mitglied, freigesprochen werden. Er hatte behauptet, auf einem Foto zu sein und später zugegeben, dass dies nicht der Fall gewesen sein konnte, weil er zur selben Zeit im Italien-Urlaub war.
Bühnenreifer Auftritt
Bereits eine Woche zuvor haben die Anwälte Thierry Hirsch und Maximilien Lehnen, welche die Nebenkläger Marc Scheer und Jos Wilmes vertreten, eine Schadensersatzklage in Höhe von jeweils einer halben Million Euro gegen die sechs Angeklagten angekündigt. In der ersten Hälfte des Verhandlungstages legen sie einen denkwürdigen Auftritt in durchaus bühnenreifer Manier hin. „Unsere Klienten sind gestandene Männer“, beginnt Hirsch, „doch für sie ist die Affäre Bommeleeër eine Tragödie – auch für die Angehörigen der beiden. Seit elf Jahren schwebt ein Damoklesschwert von 30 Jahren Gefängnis über ihnen, seit elf Jahren, also seit der Bommeleeër-Prozess ausgesetzt wurde, warten sie darauf, dass der Prozess weiter geht und zu Ende geführt wird. Es schwebt immer noch über ihnen“.
Der Anwalt, Nachfolger von Me Gaston Vogel als Verteidiger von Scheer, lobte Reuland für dessen Mut, gesagt zu haben, dass die beiden nicht die Bombenleger seien. Scheer und Wilmes seien die eigentlichen Opfer der Affäre. Die Falschaussagen der Angeklagten im Jahr 2013/14 hätten ihr Leid nur um elfeinhalb Jahre verlängert. Sie würden in der Öffentlichkeit gebrandmarkt. Es sei endlich Zeit, die Omertà über die Affäre aufzuheben, ein direkter Bezug auf den Vergleich seines Vorgängers Vogel mit dem Schweigegebot der Mafia. Lehnen und Hirsch hätten ihre Hoffnung darin gesetzt, dass dies nicht zuletzt mit diesem Prozess geschehe. Doch es sei nichts dabei herausgekommen. Hirsch drückt seine Enttäuschung mit den Worten aus „Faust I“ von Johann Wolfgang von Goethe aus: „Da steh‘ ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor!“
Es ist eine qualvolle Warterei. Ohne die Falschaussagen der Angeklagten wäre der Hauptprozess längst zu einem Ende gekommen.
Der Antrag der beiden Anwälte, drei Zeugen zu hören, unter anderem Ben Geiben, sei abgelehnt worden. Dies hätte vieles geklärt. „Alles wurde abgelehnt“, sagt Hirsch, „auf Fragen der Zivilpartei hieß es immer wieder ‚njet‘.“ Er wiederholt das Goethe-Zitat und sagt daraufhin: „Das gibt uns das Gefühl, dass der Prozess unwichtig ist.“ Der Prozess habe in der Tat nichts gebracht. Am vergangenen Sonntag sei es genau 18 Jahre her gewesen, dass Scheer und Wilmes verhaftet wurden. Dann der Mammutprozess über anderthalb Jahre respektive 177 Verhandlungstage. 177 Tage, das sei wie jeden Tag einen Eimer Scheiße über den Kopf, wie es mal ein berühmter Anwalt ausdrückte. Seit 4.160 Tagen müssten die beiden auf die Fortsetzung des Prozesses warten. „Es ist eine qualvolle Warterei. Ohne die Falschaussagen der Angeklagten wäre der Hauptprozess längst zu einem Ende gekommen“, sagt derweil Lehnen und betont: „Die Interessen, unsere Mandanten zu verteidigen, ist nicht nur unser Recht, sondern unsere Pflicht.“
Zu der Frage, wie hoch der Schaden für ihre Mandanten ist, weisen die beiden darauf hin, dass der Bommeleeërprozess sie finanziell ruiniert hat, aber der immaterielle Schaden noch ungleich höher sei: „Die beiden sitzen nicht in einem Gefängnis in Suessem oder Schrassig, sondern in einem Glaskäfig auf der Place d’Armes“, benennt Lehnen die Stigmatisierung von Scheer und Wilmes. Er erzählt, wie ihm einer der beiden den Besuch in einem Restaurant schilderte, wie die Leute ihn und seine Angehörigen anstarrten. „Es ist ein kolossaler Schaden, in einem Glaskäfig gefangen zu sein, nicht mal mehr ungestört Kaffeetrinken zu gehen“, appelliert Lehnen ans Gericht und all die anderen Anwesenden.
Scheer und Wilmes würden „in einer juristischen Warteschleife festhängen“, sagt Hirsch. Er spricht aus, was ihm die Angeklagten gesagt haben, „dass sie nicht mehr die Tageszeitung lesen können, weil es ihnen, wenn sie von der Affäre lesen, den Magen herumdreht“. Dazu die ständigen Anrufe selbst von Wildfremden, das Angesprochenwerden à la „Ich kenne Sie doch irgendwoher, sind Sie nicht der Bombenleger?“ Dass die beiden längst nicht mehr unbeschwert auf die Straße gehen oder ihre Hobbys ausüben können. „Mit der Affäre endete gleichzeitig meine Tätigkeit als Monitor im Kampfsport“, habe Wilmes gesagt, der ein begeisterter Kampfsportler gewesen sei. Und Scheer, der sagt: „Ich habe Angst, dass die Leute auf mich zeigen. Man beginnt, sich zurückzuziehen.“ Alles sei wie ein Albtraum, eine „symphonie diabolique sans fin“. In einem äußerst emotionalen Finale zitieren die beiden noch die Worte des früheren obersten Staatsanwaltes Robert Biever: „Et war net keen.“ Dann zeigt jeder auf seinen Mandanten. Hirsch sagt, auf Scheer zeigend: „Et war net hien.“ Und Lehnen auf Wilmes: „An et war net hien.“
Der Prozess wird am Montag, 1. Dezember, mit den Plädoyers der Verteidigung fortgesetzt.

De Maart

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