Sonntag26. Oktober 2025

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Moskau an der DonauIn Belgrad treffen russische Putin-Flüchtlinge auf serbische Putin-Fans

Moskau an der Donau / In Belgrad treffen russische Putin-Flüchtlinge auf serbische Putin-Fans
Zwei nach Belgrad geflüchtete Russen fotografieren ein Putin-Wandbild in der serbischen Hauptstadt Foto: AFP/Vladimir Zivojinovic

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Der Krieg in der Ukraine, die Folgen der Sanktionen und die autoritären Verhältnisse in ihrer Heimat lassen stets mehr Russen ihr Exilglück in Serbien suchen. In Belgrad steigen die Immobilienpreise – und treffen russische Putin-Flüchtlinge auf einheimische Putin-Fans.

Ein Polizeikordon schützt vor dem Belgrader Café „Russischer Zar“ die Mahnwache der Kriegsgegner. „Stoppt den Krieg in der Ukraine!“, „Putin = Kriegsverbrecher“ oder „Stoppt die Okkupation der Ukraine“ lauten die serbischen, russischen und ukrainischen Aufschriften auf den schwarzen Protestplakaten: Neben den Friedens-Aktivistinnen der Belgrader „Frauen in Schwarz“ sind es vor allem russische Immigranten, die in Serbiens russophiler Hauptstadt gegen den Krieg in der Ukraine auf die Straße gehen.

Es sei „interessant“, dass ausgerechnet Russen „an der Front“ von Serbiens eher schwachen Antikriegsprotesten stünden, sagt Sasa Seregina, die aus Samara stammende Mitbegründerin der Gruppe „Russen, Ukrainer, Weißrussen und Serben gemeinsam gegen den Krieg“: „Wir trafen uns am Tag des Kriegsausbruchs bei einem spontanen Protest vor der russischen Botschaft.“

Job weg nach Kritik am Krieg

Wenige Tage nach Kriegsausbruch hatte der blonde Musiker Sergej (Name auf Wunsch geändert) in dem 1.800 Kilometer Luftlinie von Belgrad entfernten Sankt Petersburg seinen Job in einem Orchester verloren: „Ich wurde gefeuert, weil ich mich gegenüber Kollegen kritisch über den Krieg geäußert hatte.“ Die Familie seiner Mutter stamme aus Lwiw, die seiner Frau aus Odessa, erzählt der Cellist: „Wir wollten eigentlich schon nach der Annexion der Krim vor acht Jahren aus Russland emigrieren. Der Ukrainekrieg war der letzte Tropfen, der für uns das Fass zum Überlaufen brachte.“

Eine Frau hält in Belgrad ein Bild des russischen Präsidenten Putin während eines Protests gegen die serbischen Behörden, die für die Aussetzung der Mitgliedschaft Russlands im UN-Menschenrechtsrat gestimmt haben
Eine Frau hält in Belgrad ein Bild des russischen Präsidenten Putin während eines Protests gegen die serbischen Behörden, die für die Aussetzung der Mitgliedschaft Russlands im UN-Menschenrechtsrat gestimmt haben Foto: dpa/Darko Vojinovic

Eigentlich will Sergej nach Wien. Doch nicht nur, weil ihm Belgrad von einem früheren Orchestergastspiel „vertraut“ ist, hat er wie tausende von Landsleuten vorläufig die Donaustadt angesteuert. Russen benötigen bei der Einreise nach Serbien kein Visum. Da der zwischen Ost und West lavierende EU-Anwärter die EU-Sanktionen nicht mitträgt, fliegt die staatliche Air Serbia als eine der wenigen europäischen Airlines noch immer Moskau und Sankt Petersburg direkt an.

Wie das türkische Istanbul, das armenische Eriwan und das georgische Tiflis ist Belgrad seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs zu einem beliebten Auswanderungsziel von oft hoch qualifizierten Russen geworden. Über 300 Firmen, vor allem aus dem IT-Sektor, haben seit Anfang März ihren Sitz von Russland, aber auch aus der Ukraine nach Serbien verlegt. Mehr dürften noch folgen.

Viele Leute hier haben wegen der NATO-Bombardierung im Kosovo-Krieg eine vereinfachte und absurde Sicht des Ukrainekriegs

Sergej, aus Russland nach Serbien geflüchteter Musiker

„Viele Russen eröffnen nun ein Konto bei uns“, berichtet in der Raiffeisenbank-Filiale am Befreiungs-Boulevard eine Angestellte. Tatsächlich ist Russisch im Zentrum des neuen „Moskau an der Donau“ immer häufiger zu hören. In manchen Medien sei von 20.000 bis 30.000 Neuankömmlingen die Rede, berichtet die seit 2010 in Belgrad lebende Seregina: „Aber offizielle Angaben gibt es nicht.“ Ein ihr bekannter Physiker in Moskau habe nach Tiflis emigrieren wollen, doch nun habe er Angst, dass sich in Georgien das ukrainische Szenario wiederholen könnte: „Er plant jetzt die Übersiedlung nach Belgrad.“

Schon nach der sowjetischen Oktoberrevolution hatten tausende russischer Künstler, Architekten, Geschäftsleute und Wissenschaftler, die in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts nach Belgrad emigrierten, der Hauptstadt des damaligen Königreichs Jugoslawien einen Entwicklungssprung beschert. Auf einen ähnlich „positiven Effekt“ für ihr Gastland durch die russischen, „meist zur Mittelklasse oder der gehobenen Mittelklasse“ zählenden Einwanderer hofft Seregina. Doch leider gebe es „auch negative Folgen“: „Es ist in Belgrad noch schwerer geworden, eine bezahlbare Wohnung zu finden.“

Jetzt steigen die Mieten

Die vermehrte Nachfrage der relativ begüterten Neuankömmlinge hat die Mieten und Wohnungspreise auf dem ohnehin überhitzten Immobilienmarkt in Serbiens Hauptstadt kräftig klettern lassen. „Die Russen treiben die ohnehin schon sehr hohen Immobilienpreise nach oben“, klagt die Belgrader Steuerberaterin Ana: „Ich fürchte, dass sich Leute mit einem normalen Einkommen hier bald kaum mehr eine Wohnung leisten können.“ „Okkupieren die Russen Belgrad und Novi Sad?“, fragt sich besorgt die Zeitung Blic: „Sie kaufen Wohnungen und Wochenendhäuser und scheren sich nicht um den Preis.“

Dennoch stoßen die Neu-Immigranten im russophilen Serbien im Gegensatz zu westeuropäischen Exil-Zielen generell kaum auf Vorbehalte – und haben sich auch nicht für den von ihnen ohnehin meist abgelehnten Krieg von Putin zu rechtfertigen. Stattdessen macht ihnen ein anderes Phänomen zu schaffen: In Belgrad treffen die russischen Putin-Flüchtlinge auf einheimische Putin-Fans.

Anhänger des Belgrader Fußballclubs Partizan schwenken eine serbische Flagge mit aufgemaltem „Z“, dem Symbol der Unterstützung für Putins Krieg in der Ukraine
Anhänger des Belgrader Fußballclubs Partizan schwenken eine serbische Flagge mit aufgemaltem „Z“, dem Symbol der Unterstützung für Putins Krieg in der Ukraine Foto: AFP/Andrej Isakovic

Einerseits sei er „erleichtert“, dass er in Serbien „offen über den Krieg sprechen und dagegen demonstrieren“ könne, sagt Sergej: „In Sankt Petersburg wurden unsere Friedensdemonstrationen schon nach 15 Minuten von der Polizei brutal auseinander geprügelt und die Leute verhaftet.“ Andererseits sei er „schockiert“, dass an den Belgrader Souvenirständen Putin-T-Shirts verkauft und willig getragen würden: „Viele Leute hier haben wegen der NATO-Bombardierung im Kosovo-Krieg eine vereinfachte und absurde Sicht des Ukrainekriegs. Für sie ist der Feind des Feindes ein Freund. Sie unterstützen Putin als Gegner der NATO und seinen Krieg in der Ukraine als eine Art Konterattacke gegen die NATO.“

Nicht nur im Westen haben die Solidaritätsdemonstrationen rechtsextremer Gruppen mit den russischen Aggressoren und die Mauerbilder zu Ehren von Putin in Belgrad für Befremden gesorgt. Sie lebe seit 2010 in Belgrad und die serbische Sicht der russischen Politik sei ihr durchaus bekannt gewesen, sagte die studierte Architektin Seregina: „Aber ehrlich gesagt war ich mir nicht bewusst, wie groß und wie tief verwurzelt die Zustimmung zu Putins Politik ist.“

Der serbische Umgang mit der eigenen Kriegsvergangenheit in den 90er Jahren sei „nicht von einem ausreichenden Maß an Reflexion geprägt“, so die Erfahrung von Seregina. Gleichzeitig sei die „russische Propaganda“ in Serbien „sehr stark – und dominant“: „Die Leute hier können darum leider nicht sehen, was derzeit in der Ukraine und Russland eigentlich passiert. Es geht nicht um einen Krieg zwischen zwei Staaten. Die Ukraine kämpft für die Freiheit von ganz Europa.“

Auf russischsprachigen Facebook- oder Telegram-Sites wie „Serbia in my mind“ tauschen sich tausende russischer Neu-Belgrader jedoch weniger über den Krieg oder Putin, sondern vor allem über praktische Alltagsfragen wie Behördengänge, die Eröffnung von Bankkonten, Schulen oder Sportclubs für die Kinder, empfehlenswerte Ausflugsziele oder Restaurants in ihrer neuen Heimat aus. Die überwältigende Mehrheit ihrer Landsleute, die nun nach Belgrad gelangten, sei gegen den Krieg und gegen Putin, ist sich Seregina sicher: „Aber sie kommen in ein neues Land und sind hier immer noch ein wenig verloren. Sie wissen nicht, was hier in Serbien politisch eigentlich passiert, und ob und welche Konsequenzen es hat, wenn man seine Meinung zum Ausdruck bringt.“

Stress wegen Facebook

Die auf den Sites russischer Facebookgruppen zu Monatsbeginn lancierte Falschmeldung, dass Russen in Serbien „deportiert und nach Russland ausgeliefert“ werden könnten, falls sie ihr Heimatland „in den Schmutz ziehen“, sorgte für zusätzliche Verunsicherung. Ihre Gruppe habe umgehend ein Dementi der Polizei eingeholt, so Seregina: „Es war gut, dass wir diesen Einschüchterungsversuch sofort widerlegen konnten. Denn die Leute sind eingeschüchtert genug.“

Bei der Frage, wie lange er mit dem Verbleib im Exil rechne, zuckt Sergej mit den Schultern: „Es gibt keine dauerhaftere Sache als eine vorübergehende Lösung: Niemand weiß, wie lange das alles noch dauern wird.“ Als Musiker lebe er ohnehin in einer „globalisierten Welt“: „Ich kann meinen Beruf überall ausüben. Das Leben wird schon irgendwie weitergehen.“ Sankt Petersburg sei eine „schöne Stadt, die ich sehr liebe“, versichert er: „Aber ich werde sicher nicht nach Russland zurückkehren, solange Putin an der Macht ist.“