Verkehrspolitik In Bascharage protestieren Waldbesetzer gegen Umgehungsstraße: „Ich mache mir Sorgen um das Klima“ 

Verkehrspolitik  / In Bascharage protestieren Waldbesetzer gegen Umgehungsstraße: „Ich mache mir Sorgen um das Klima“ 
Friedlicher Widerstand eines intergenerationellen Kollektivs, das sich „Bobi bleift“ nennt. Sie protestieren gegen die 139 Millionen Euro teure geplante Umgehungsstraße in Bascharage.  Foto: Editpress/Tania Feller

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Es hat was von einer Ferienkolonie mitten im Wald, wäre der Anlass nicht so ernst. Die Mitglieder des intergenerationellen Kollektivs „Bobi bleift“ haben den Bobësch zwischen Sanem und Bascharage besetzt. Sie protestieren damit gegen die geplante Abholzung eines großen Teils des Waldstücks für das rund vier Kilometer lange „Contournement“ Bascharage. So lange die Pläne für das inzwischen rund 139 Millionen Euro teure Projekt existieren, so lange gibt es Widerstand. Ein konspirativer Besuch.

Nach dem Bahnhof Bascharage-Sanem geht es in den Wald. Susie, die ihren wirklichen Namen nicht nennen will, geht voran. Die Luft ist trotz tropischer Hitze herrlich kühl und rein und zeigt einmal mehr, welch wichtige Funktion Bäume haben. Irgendwann kommt ein Banner in Sicht: „Bobi bleift“. Dahinter sind Zelte auf dem Boden und in den Bäumen installiert, eine Ökotoilette und liegende Baumstämme als Sitzgelegenheit – einfacher geht es nicht.

Es gehört Durchhaltevermögen dazu, hier dauerhaft zu campieren. Fragen zur Person: nicht gewollt. Im Wald herrscht absolute Diskretion, die meisten der Teilnehmer sind vermummt. Raven*, Marc* und Susie* aber wollen reden. Reden über das, was sie bewegt und warum sie hier sind. „Ich mache mir Sorgen um das Klima und meine Zukunft, es wird mich direkt betreffen“, sagt Raven. „Ich lebe noch länger auf dieser Welt.“

Die junge Frau besucht das Lycée. Susie treiben ähnliche Gedanken um. Auch sie plagen Zukunftsängste. „Hier soll noch ein Wald gerodet werden, obwohl wir genau wissen, dass das kontraproduktiv ist und zum Klimawandel beiträgt“, sagt sie. Sie hat gerade die Schule beendet. Da nur zwischen Oktober und März gerodet werden darf, war jetzt der richtige Zeitpunkt zu handeln. Das werden die Anwohner in Bascharage, die durch die Umgehung entlastet werden sollen, anders sehen.

Verständnis und nachträglicher Naturschutz

„Wir verstehen deren Sorgen“, sagt Susie stellvertretend für die anderen. „Aber das Contournement löst die Verkehrsprobleme nicht. In der avenue du Luxembourg, die dadurch entlastet werden soll, ist ein großer Supermarkt und die Schule, der Verkehr wird bleiben“. Sie zitiert die seit mehr als fünf Jahrzehnten immer wieder gehörte These von Bürgerinitiativen und Umweltverbänden: „wer Straßen sät, erntet Verkehr“. Die Diskussion um das Contournement dauern schon lang.

2016 konnte Mobilitätsminister François Bausch („déi gréng“) verkünden, dass der Regierungsrat sich für „Variante 2“ entschieden hat. Sie führt durch Bobësch und durch den benachbarten Zamerbësch, der Natura- 2000-Zone ist. Es ist eine von drei Varianten. Als Argumente für Nummer 2 gelten laut Politik: die „Möglichkeiten für die Stadt- und Verkehrsentwicklung“, die „Verfügbarkeit des Geländes“ (88 Prozent der Trasse befinden sich auf öffentlichem Grund) und die „Ausweitung des Natura-2000-Gebiets bzw. des Erholungsgebiets zwischen Bascharage und Sanem“.

Letzteres ist für die Besetzer eine der Absurditäten in dem Projekt. „Es wurde versprochen, den Bobësch auch zum Natura-2000-Gebiet deklarieren zu wollen, wenn die Trasse fertig ist“, sagt Marc, der mit dem Geburtsjahr 1961 den intergenerationellen Anspruch des Kollektivs erfüllt. Dann steht aber vielleicht nur noch die Hälfte oder noch weniger von dem Wald – von der verschlechterten Luftqualität gar nicht zu reden. Die „Biergerinitiativ Gemeng Suessem“ (BIGS), die seit 20 Jahren gegen das Contournement kämpft, bestätigt Aussagen wie diese. 

Bascharager Bürgermeister schaltet Umweltministerin ein

„Der Bobësch wurde 2008 bei der Klassierung des Zamerbësch vergessen“, sagt Patrizia Ahrendt, Sekretärin der BIGS und „déi Lénk“-Gemeinderätin in Sanem. Der Zamerbësch ist 275,59  Hektar groß und liegt in unmittelbarer Nachbarschaft des Bobësch. Für die Besetzer ist das alles nicht zu begreifen. Es gibt schon vergleichsweise wenig Wald im Süden. Außerdem werden die beiden Waldstücke seit langem als Naherholungsraum genutzt.  Auch der gerade erst präsentierte Mobilitätsplan ändert an den Abholzungsplänen nichts.

Die Parallelen zum Waldwiderstand in Trier liegen auf der Hand. Dort halten Aktivisten schon über ein Jahr lang einen Wald besetzt, um gegen den geplanten Moselaufstieg bei Igel (D), eine vierspurige Straße, zu protestieren. In Luxemburg sagt Raven: „Ich finde es schön, bei einer so konkreten Aktion mitzumachen, und das hier ist mehr als konkret.“ Wie lange sie durchhalten, wird sich zeigen. An Unterstützung mangelt es nicht.

Die BIGS, natur & ëmwelt, Mouvement écologique und Youth for Climate signalisieren schon lange Solidarität mit Stimmen gegen das Mammutprojekt. Fakt ist aber auch: Außer der Presse interessiert sich bislang niemand für die Waldbesetzer. Kein Politiker sucht das Gespräch. Im Gegenteil: Der Bascharager CSV-Bürgermeister, der den Umweltaktivisten als strikter „Contournement-Befürworter“ gilt, hat es gerade vorgezogen, lieber die Umweltministerin einzuschalten.

Kollektiv mahnt den Klimawandel an 

Nachdem die Naturverwaltung bei der Besetzung keine Verstöße gegen das Naturschutzgesetz festgestellt hat, legt Bürgermeister Michel Wolter jetzt offiziell nach. Es wird ihm und Parteikollegin Martine Hansen aufgestoßen haben, dass die Förster zugeben, Sympathien für die jungen Leute zu hegen. In einer parlamentarischen Anfrage an das Umweltministerium, die am 23. Juli und damit kurz nach anderen Medienberichten rausging, fragen die beiden CSV-Politiker, ob die Aktivisten für die Besetzung überhaupt eine Genehmigung hätten.

Und wenn sie keine hätten, ob es dann reiche, dass die Naturverwaltung die Aktion nur „im Auge behalte“? Spannend ist, dass sie in der Begründung für die parlamentarische Anfrage angeben, das Ganze fände in einer Naturschutzzone statt. Damit hat sich schon eine der Erwartungen des Kollektivs erfüllt. Sie wollen das Thema „Contournement“ einmal mehr ins Gespräch und in die Medien bringen. 

Denn es geht um viel mehr. „Es nutzen weit mehr Menschen als vorher den öffentlichen Transport“, sagt Marc. „Warum werden diese Fortschritte in der Mobilitätspolitik nicht konsequent weiterverfolgt?“ Die Konsequenzen, die die Umgehung provoziert, enden bei einer deutlichen Kritik an der Landesplanung. Ein Beispiel, dass sich dafür anführen lässt, ist der „Ban de Gasperich“. Mit dem Ausbau der Cloche d’Or, ihren vielen neuen Arbeitsplätzen und dem Einkaufszentrum, ist der Verkehr so angeschwollen, dass im benachbarten Hesperingen ebenfalls eine Umgehung im Gespräch ist.

Auch dort regt sich Widerstand. „Die Wirtschaft kann machen, was sie will, und ‚Planung’ darf es nicht geben“, sagt Marc. „Das ist die Politik hier im Land – seit Jahrzehnten.“ Darüber hinaus gibt es grundsätzliche Fragen: „Das Auto wird seit Jahrzehnten als einziges Fortbewegungsmittel gepriesen“, fügt er hinzu. „Warum geht das nie in eine andere Richtung?“ 

* Name von der Redaktion geändert 

Unstimmigkeiten am Rande des „Contournement“ 

2008 erkennt die EU-Kommission den Zamerbësch mit seinen 275,59 Hektar als Natura-2000-Gebiet an. Der Bobësch geht leer aus. Als die Anerkennung in luxemburgisches Recht umgesetzt wird, werden nur  258,44 Hektar als Naturschutzzone definiert. Die Differenz erklärt sich aus dem Gelände, das für die Trasse gebraucht wird. Der damalige Europaabgeordnete Claude Turmes („déi gréng“) protestiert und der damalige luxemburgische Umweltminister Marco Schank (CSV) verspricht, den Fehler durch ein „réglement grand-ducal“ nachzuholen. Das ist bis heute nicht geschehen. Eine zweite Absurdität sind nach Angaben der BIGS die Schadstoffmessungen in der betroffenen avenue de Luxembourg. Vor 2016 werden sporadisch Messungen gemacht. 2012 und 2015 ergeben sich bei diesen Messungen relativ hohe Werte, die aber als Basis von Studien zur Umgehung dienen. Die seit 2016 installierte, gemäß EU-Standards homologierte permanente Messstation wirft hingegen andere, wesentlich niedrigere Werte aus. Sie waren zum Zeitpunkt der Gesetzesabstimmung über die Kosten von 139 Millionen Euro (Steuergelder) nicht öffentlich. Sie sind es aber jetzt und liegen, außer im März 2022, deutlich unter der kritischen EU-Marke von 40. Drittens: Gegen die geplante Wildbrücke, die in den Augen der Bürgerinitiative BIGS eine ökologische Tarnung ist, um auf weitere Begründungen nach der europäischen Flora-Fauna-Habitatdirektive verzichten zu können, lief eine Dringlichkeitsklage der BIGS und von elf Klägern aus Sanem und Bascharage. Die Dringlichkeitsklage wurde abgelehnt, nicht aber der Fond der Sache. Eine endgültige Entscheidung soll am 19. September fallen. Zu guter Letzt muss sich die Politik die Frage gefallen lassen, warum die im „Plan national de mobilité“ erwähnten Konzepte wie öffentlicher Transport und „Mobilité douce“ (Fußgänger und Radfahrer) nicht in der avenue de Luxembourg umgesetzt wurden. Intelligente Ampeln, priorisierte Busspur oder Radwege sind seit 2016 auf der betroffenen Straße im Gespräch, passiert ist nie etwas. In einer Unterschriftenaktion fordern BIGS, natur & ëmwelt, Mouvéco Régionale Sud und Youth for Climate Lëtzebuerg einen Aufschub der Umgehungsstraße.