Dass US-Präsident Joseph Biden die Invasion der Ukraine durch Russland bereits für den 16. Februar vorhergesagt hatte, hat teilweise höhnische Kommentare hervorgerufen: Viele klammerten sich wohl an die Hoffnung, dass Putins Strategie sich als doch nicht so plump und brutal entpuppen würde. Das konnte aus Sympathien für den russischen Machthaber so geschehen sein oder aus der Überzeugung heraus, dass er doch zumindest nicht so irrational sein könne, sich in eine Position zu bringen, die schließlich für alle Beteiligten zur Zwickmühle werden könnte.
Seit Donnerstag wissen wir, dass alle recht behalten haben, die lange nicht mehr an ein Säbelrasseln glaubten. Der Modus Operandi, mit dem Putin nach der strategischen Aufstellung zum Schlag ausholte, hat, so weit der erste Tag der Invasion das erkennen lässt, ein Kommentator erstaunlich gut im Vorfeld eingeschätzt: der Politanalyst, Autor und ehemalige portugiesische Staatssekretär für Europafragen Bruno Maçães. Für das Time Magazine hat der 1974 geborene Harvard-Absolvent bereits Ende Januar eine Analyse verfasst mit dem Titel „Was als Nächstes in der Ukraine geschieht, könnte Europa für immer verändern“.
Der Autor sah es da längst als „Konsens“, dass ein Krieg „unvermeidlich“ sei: Der Grad der rhetorischen und militärischen Vorbereitung, die Russland getroffen habe, lasse jedenfalls keinen Rückzug mehr zu ohne einen totalen Gesichtsverlust: „Die in den letzten zehn Jahren erworbene Schlagkraft und Glaubwürdigkeit – die von Kreml-nahen Kreisen als Rückkehr zur Supermacht gefeiert werden – würden sich plötzlich in Luft auflösen“, zeigte sich Maçães überzeugt.
Hellsichtiger Analyst
Geradezu hellsichtig zeigte sich der Analyst in der Frage, wie Russland am ehesten konkret in den Waffengang einsteigen könnte: per „punitive strike“, was nur mittelgut mit dem deutschsprachigen Begriff „Strafexpedition“ übersetzt werden kann, wörtlich mit „bestrafenden Zuschlagen“. Damit werde praktisch amerikanische Praxis nachgeahmt – „wie beispielsweise die Luftangriffe, die Bill Clinton gegen den Irak anordnete, nachdem der sich geweigert hatte, mit den Waffeninspektionen zu kooperieren“, erinnert Maçães. Das faktische US-Monopol auf den Einsatz militärischer Macht werde damit nach Syrien weiter gebrochen: „In den kommenden Tagen könnten neue Zwischenfälle produziert werden, nach denen Putin sich an Russland und die Welt wenden und erklären würde, dass er keine andere Wahl habe, als eine Reihe von Luftangriffen und begrenzten Bodenoperationen gegen Ziele in der Ukraine anzuordnen, um eine Bedrohung für russische Interessen zu beseitigen“, hatte Maçães Ende Januar gemutmaßt – und bisher damit Recht behalten. Damit könne Putin die ukrainische Verteidigungsmacht schwächen, eine politische Krise provozieren und einen neuen Präzedenzfall schaffen – nicht nur vor Ort. Damit stehe der militärische Übergriff als „Symbol imperialer Macht anstelle eines hässlichen Kampfes um ein Gebiet“.
* Bidens Fauxpas
Zum Entsetzen vieler Beobachter hatte US-Präsident Joseph Biden (79) vor einigen Wochen die Uneinigkeit der transatlantischen Partner ausgeplaudert, wie mit der Causa Ukraine umzugehen sei, da ja immerhin kein NATO-Mitglied direkt bedroht werde: Nach einem „geringfügigen Einfall“ Russlands müsse man „am Ende darüber streiten, was wir tun und was wir nicht tun sollen, und so weiter“. (fgg)
Denn die eigentlichen Kämpfe könnten von kurzer Dauer sein, denkt Maçães: „Wenn die Angriffe nach etwa einer Woche enden und eine große Zahl von Opfern unter der Zivilbevölkerung vermieden wird, könnten sie dann als der ‚mindere Zwischenfall‘ (original: minor incursion*) bezeichnet werden, mit der man nach Ansicht von US-Präsident Biden möglicherweise leben könnte?“
Jedenfalls würde das hinterlassene Chaos Putin erst mal in die Karten spielen, glaubt der Analyst: Die über Sanktionen sowieso „tief gespaltenen“ Europäer könnten die westliche Reaktion in gewissen Grenzen halten – während „weder die Ukraine noch die Weltpolitik unverändert bleiben würden“.
In der Washington Post macht sich der einflussreiche Kommentator, Redner und Politikberater Robert Kagan Gedanken, was nach der „Eroberung“ der Ukraine an strategischen und geopolitischen Konsequenzen erwartet werden könne – denn für ihn sieht es durchaus danach aus, dass die Russen gekommen sind, um zu bleiben – mehr als langfristig: Zunächst einmal könne Russland seine militärischen Kräfte ganz nah an die Ostgrenze Polens und die Grenzen der anderen NATO-Staaten verlegen: Dazu stünde dann schließlich die ganze Ukraine zur Verfügung, neben Belarus, das längst faktischer Statthalter Russlands sei. Dann könnte das strategisch besser aufgestellte Russland weitere Kipp-Punkte anstoßen und etwa auch die Republik Moldau unter Kontrolle gebracht werden können – „falls eine Landbrücke von der Krim zur abtrünnigen moldawischen Provinz Transnistrien geschlagen werden könne“, mutmaßt der Kommentator.
Die baltischen Staaten könnten bald ebenfalls konkret bedroht werden – und eine Forderung nach einem Landkorridor nach Kaliningrad sei nur eine Frage der Zeit. Derzeit ist das Hauptquartier der russischen Ostseeflotte komplett vom Mutterland abgeschnitten.
„Wenn Polen, Ungarn und fünf weitere NATO-Mitglieder eine gemeinsame Grenze mit einem neuen, erweiterten Russland haben, wird die Fähigkeit der USA und der NATO, die Ostflanke des Bündnisses zu verteidigen, ernsthaft beeinträchtigt werden“, befürchtet Kagan – und weitere Instabilität: Putins fixe Idee, Russlands einstige Einflusssphäre wiederherzustellen, komme schließlich zu einer Zeit, „in der China droht, das strategische Gleichgewicht in Ostasien zu stören, vielleicht durch einen Angriff auf Taiwan“, der wiederum eine Kettenreaktion im Pazifik auslösen würde in Form von panischen Hilferufen an die USA.
Kagan erinnern diese Herausforderungen auf zwei weit entfernten Schauplätzen an die 1930er Jahre, als „Deutschland und Japan versuchten, die bestehende Ordnung in ihren jeweiligen Regionen umzustürzen“. Obwohl beide weder in Vertrauen noch in Strategie wirklich verbunden waren, profitierten sie gegenseitig von den Aktionen des anderen. Auf eine Zweifronten-Konfrontation seien aber speziell die USA längst nicht mehr vorbereitet. Es sei jedenfalls, so glaubt der Washington-Post-Analyst, „sich eine Welt vorzustellen, in der Russland einen Großteil Osteuropas und China einen Großteil Ostasiens und des westlichen Pazifiks kontrolliert“. Dem Rest der Welt bliebe nur, zu entscheiden, ob dies ein erträglicher Zustand ist.
Nach der Expansion der US-Macht und der Implosion der russischen Macht von den 1980er Jahren bis heute ist für Kagan eine erneute Umgestaltung der Karte Europas unausweichlich – und damit komme „eine Ära globaler Unordnung und Konflikte, in der sich jede Region der Welt wackelig auf eine neue Machtkonfiguration einstellt“.
De Maart
Finnland und Schweden sind wie die Ukraine ein EU Staat und nicht in der Nato, oder? Jetzt hab ich mich aber" bei gearbeitet"!
ralf.miersch
"Russen in der Ukraine! Die Nato schaut zu! Was ist, wenn sie in Finnland oder Schweden einmarschieten?schaut die Nato dann auch nur zu? "
Weder Finnland noch Schweden sind in der NATO, da haben Sie in der Schule nicht aufgepasst.
"Ukraine ist ein EU Staat, "
Auch falsch, die Ukraine ist nicht in der EU.
Sie waren wohl länger krank in der Schule, vielleicht sollten Sie sich raus halten bis Sie sich bei gearbeitet haben?
@ ralf.miersch
Die Ukraine ist kein EU-Staat, sondern ein europäischer. Und - Putin hat sich vorbereitet, indem er gute diplomatische Beziehungen mit China und Indien, den beiden bevölkerungsreichsten Ländern der Welt eingegangen ist. Was würden beide Länder tun, wenn Europa eingreifen würde?
@ JJ
Es gab keinen "Keine-Osterweiterungs-Vertrag". Also auch keinen Vertragsbruch. Höchstens den Bruch eines Versprechens. Aber war dieses Versprechen überhaupt legal? Und Russland wurde ins Boot gebeten.
Putin geht den psychischen Weg eines Stalin. Je machtvoller, desto einsamer und irrationaler - und desto mehr Angst, vom Thron gestoßen zu werden.
An Stelle von Waffen sollte mann der Ukraine weisse Flaggen empfehlen und den Präsidenten ausliefern!Vaterland verteidigen gegen eine so grosse Übermacht ist genauso wahnsinnig wie Putins Angriff!
Vielleicht hätte die Nato ihr Versprechen(damals an Jelzin) halten müssen keine Osterweiterung zu betreiben ( Ungarn,Polen,Tschechien). Vertragsbruch muss keine Einbahnstraße sein.Vielleicht sogar Russland mit ins Boot nehmen für eine weltweite Friedenssicherung? Zusammenarbeit statt Kopfeinschlagen? Eine Utopie? Und...Russland hätte sein Gesicht bewahrt.
" Die Russen sind gekommen, um zu bleiben, denn sie stehen erst am Anfang ihres Plans." Nein. Nicht die Russen sind gekommen. Putin und das System sind gekommen. Erste Demonstranten gegen den Krieg wurden bereits abgeführt. Das russische Volk kennt keine Demokratie,nicht heute und nicht in den 1000 Jahren davor. Es waren die Lenins,Stalins & Co die russisches Blut vergossen haben.Putin ist das russische Volk so egal wie die Erde der Sonne.
Aber die Nato ist nicht ganz unschuldig.Hat nicht einst ein Putin in München für einen Beitritt Russlands in die Nato geworben? Und,er wurde in die Wüste geschickt. Das entschuldigt aber nicht sein Verhalten.
Russen in der Ukraine! Die Nato schaut zu! Was ist, wenn sie in Finnland oder Schweden einmarschieten?schaut die Nato dann auch nur zu? Ukraine ist ein EU Staat, und müssen alleine kämpfen. Armutszeichen der Franzosen, Engländer,Deutschen...