Greta, Oma und der Autokrat: Luxemburgs lascher Umgang mit Finanzethik

Greta, Oma und der Autokrat: Luxemburgs lascher Umgang mit Finanzethik

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Greta Thunbergs Generation will guten Gewissens Geld verdienen. Ältere Semester sind in Luxemburg weniger zimperlich: Sie profitieren laut einer neuen Vereinigung oft unbewusst vom Business autokratischer Regimes und von Ausbeutung.

Der Wind bläst in Richtung menschenrechtskonforme und umweltfreundliche Wirtschaft. Die junge Schwedin Greta Thunberg hat dem Klimaschutzaktivismus in Luxemburg Leben eingehaucht. Was oft übersehen wird: Viele der Jugendlichen fordern neben grüner Nachhaltigkeit ein ethisch korrekteres Wirtschaften. Jüngere Verbraucher akzeptieren es nicht mehr, wenn am Anfang der Lieferketten Kinderarbeit steht oder Hungerlöhne gezahlt werden. „Das ist der große Unterschied zwischen den Millennials und den Babyboomers“, meint Markus Löning im Gespräch mit dem Tageblatt.

Der ehemalige Menschenrechtsbeauftragte der deutschen Bundesregierung hat mit dem luxemburgischen Rechtsanwalt Charles Muller die Asbl „Finance and Human Rights“ gegründet. Beide beobachten ein tiefgreifendes Umdenken bei den heranwachsenden Generationen. „Die älteren Semester sind eher auf Rendite fokussiert“, sagt Löning. Die Generation Greta Thunberg fordere im Gegensatz zu ihnen fairere Lieferketten. „Die Arbeiter am Anfang der Produkte sollen an der Wertschöpfung teilhaben“, beschreibt Löning die Haltung der Jugendlichen. Dieser Wertewandel werde sich auf andere auswirken und letztlich zu „einem ethischeren Anlegerverhalten“ führen.

Wie groß der Unterschied zwischen der Generation Greta und den Großeltern ist, beschreibt Charles Muller am Beispiel einer älteren Dame. „Sie hat mir gesagt: ‚Man hat mir diesen Fonds gekauft. Er läuft nicht gut. Kannst du einen Blick darauf werfen?‘ Das habe ich getan.“ Muller muss schmunzeln. Die Frau hatte ein kleines Detail übersehen: Sie lieh per Fonds Geld an den türkischen Staat. Muller erklärt ihr, dass ihre Rendite so tief ist, weil die Währung der Türkei in den Keller gefallen ist. „Sie hat mir geantwortet: ‚Was habe ich getan?‘ Ich habe ihr gesagt: ‚Der Großteil des Geldes in deinem Fonds geht an Herrn Erdogan.“ Die Frau ist außer sich. Muller erinnert sich: „Sie rief: ‚Mein Geld für Herrn Erdogan?!‘ Sie hatte sich aber nicht darüber erkundigt, wie der Fonds funktioniert.“
Während des Gesprächs habe sie nur nach der Rendite gefragt. Als Muller sie darauf aufmerksam gemacht habe, dass sie auch mit sozial nachhaltigen Investitionen Geld verdienen könne, sei sie offen gewesen. „Und das war eine Oma. Ich präzisiere das wegen der Generationsfrage.“ Muller lacht.

Unternehmen reagieren auf öffentlichen Druck

Er sei einverstanden, dass die Generation Greta offensichtliches Staatsversagen, das zu Menschenrechtsverletzungen und zur Klimakrise geführt habe, am stärksten hinterfrage. Allerdings fehle es älteren Generationen nicht an schlechtem Willen. „Sie sind es ganz einfach nicht gewöhnt, weil das für sie nicht dazugehört. Finanzprodukt ist gleich Rendite – dann ist alles gut.“ Dies bedeute jedoch nicht, dass ältere Generationen nicht für Menschenrechte sensibilisiert werden könnten. „Am Ende muss sie selbst entscheiden, was sie will. Ich bin kein Finanzberater, sondern Anwalt. Mir ist wichtig, dass die Frau weiß, was los ist.“

Löning teilt Mullers Ansicht. „Ich glaube, viele Menschen wissen nicht, dass sie auch Renditen erzielen können, ohne Menschenrechte mit den Füßen treten zu müssen.“ Er macht sich jedoch nichts vor. Unternehmen würden vor allem auf öffentlichen Druck reagieren. Es wäre utopisch, zu glauben, dass Menschenrechtsverletzungen vollkommen der Vergangenheit angehören würden. „Menschen sind Menschen. Es kann immer etwas schiefgehen. Aber die Frage ist, ob ich ein 90-prozentiges Risiko habe oder ein viel geringeres.“ Spricht man Löning auf die hochkomplexe, intransparente Situation auf den Finanzmärkten an, nickt er ruhig mit dem Kopf. Was er denn vom Beispiel der in Luxemburg eingefrorenen Milliarden des getöteten libyschen Diktators Muammar Gaddafi halte? Hier spielten sich unterschiedliche Finanzministerien in Europa die Bälle zu und es werde um die Interpretation der Sanktionen gestritten.

Closener und „Mulles“

„Man kann die Ausrede ‚Das Geschäft ist zu komplex‘ nicht gelten lassen“, stellt Löning fest. Und weiter: „Man sollte nicht in die Diskussion gehen und ‚Was sind die Ausreden? Was ist zu komplex?‘ fragen, sondern eher: ‚Was wollen wir? Was ist unsere Verantwortung als Bank?'“

Auf die Kritik, dass Banker nicht gerade die eigenverantwortlichsten Wesen im Universum sind, kontert Löning: „Mal im Ernst. Da kommt jemand und sagt: ‚Sie kriegen ein tolles Produkt mit klasse Rendite – aber wir überblicken es nicht.‘ Das ist doch kein Argument.“ Kunden und Bürger würden faule Ausreden mittlerweile ablehnen. „Ich sage nicht, dass es einfach ist. Es ist sicher sehr komplex, aber fangen wir mal mit einem ersten Schritt an.“
Charles Muller sieht das Ganze ein wenig pragmatischer. Die Wirtschaftswelt funktioniere stets im Rahmen von Gesetzen, die ausgereizt würden. „Ohne Gesetze gibt es keine Sanktionen.“ Deswegen sei es wichtig, dass die Generation Greta Druck auf Unternehmen, Banken und Fonds ausüben könne. „Der Kunde kann zum Anbieter sagen: ‚Geh spazieren, ich will dein unethisches Produkt nicht.'“ Damit dies geschehe, müsse der Verbraucher jedoch seine Mentalität anpassen.

„Das passiert nur, wenn es Gesetze gibt, Sie Geld verlieren oder weil Sie eine positive Motivation haben“, beschreibt Muller die Kundenlogik. Man müsse Unternehmen mittels positiver Motivation davon überzeugen, dass die Generation Greta die Zukunft sei.
Wie weit man in Luxemburg davon entfernt ist, den Finanzplatz ohne Schönmalerei darzustellen, zeigt eine kurze Unterbrechung des Gesprächs mit Löning und Muller. Die Nation-Branding-Verantwortliche Francine Closener (LSAP) spaziert mit Ex-Tennisprofi Gilles Muller in der „Brasserie Guillaume“ vorbei. Sie sieht Charles Muller und bleibt stehen. „Mulles“ grüßt freundlich, wartet jedoch lieber beim Ausgang. Charles Muller stellt Francine Closener Markus Löning vor.

Charles Muller: Frau Francine Closener kümmert sich für die luxemburgische Regierung um „Nation Branding“.

Markus Löning: Ja, die Bundesregierung macht Ähnliches.

Muller: Das sind unter anderem die Flugzeuge, auf denen das Logo draufsteht.

Francine Closener: „Ja, da steht zum Beispiel „Luxembourg for Finance“ drauf.

Löning: (murmelt etwas Unverständliches)

Closener: Es gibt noch andere Sachen in Luxemburg als nur „Finance“

Löning: Ich weiß.

Closener: Gut, dann sind wir schon einen Schritt weiter, wenn Sie das wissen.


Die Asbl

Markus Löning (59) und Charles Muller (54) haben die Asbl „Finance and Human Rights“ gegründet. Die Initiative verfolgt den Zweck, Unternehmen, Banken und Fonds dazu zu bewegen, ihre menschenrechtliche Sorgfaltspflicht zu erfüllen. Löning (FDP) war von 2002 bis 2009 Mitglied des Deutschen Bundestags und von 2010 bis 2014 Beauftragter der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe. Er ist in Luxemburg aufgewachsen. Muller ist luxemburgischer Rechtsanwalt mit 30 Jahren Erfahrung in der Fondsindustrie. Er war unter anderem von 2011 bis 2018 Partner beim Beratungsunternehmen KPMG. Er ist seit 2018 selbstständiger Berater.