GastbeitragGrausam zu Tode gequält – George Floyds Tod aus einer Kampfsportperspektive

Gastbeitrag / Grausam zu Tode gequält – George Floyds Tod aus einer Kampfsportperspektive
Hatte Derek Chauvin eine rudimentäre Kampfsportausbildung erhalten und wusste er, was die Folgen seiner angewandten Technik sein würden? Foto: AFP

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Wusste der Polizist Derek Chauvin, was er tat, als er auf George Floyd kniete? Starb Floyd bei einem Unfall im Rahmen einer etwas grob durchgeführten Festnahme? Polizisten erhalten gewöhnlich nicht nur eine Schieß-, sondern auch eine rudimentäre Kampfsportausbildung. Es könnte deshalb hilfreich sein, aus der Perspektive des Kampfsports auf das Geschehen in Minneapolis am 25. Mai zu blicken.

Der aus Dagestan stammende russische Mixed-Martial-Arts-Kämpfer Chabib Nurmagomedow ist bekannt für seinen effizienten Bodenkampf, wobei seine Kampfstrategie darin besteht, seine Gegner zunächst zu Boden zu ringen, um sie dann dem sogenannten „Ground and Pound“ auszusetzen. Er ist zurzeit der amtierende und ungeschlagene Leichtgewicht-Weltmeister der größten und beliebtesten MMA-Organisation: Ultimate Fighting Championship (UFC). Schaut man nun genauer hin, so fällt auf, dass Nurmagomedow häufig einen Halsvenenwürgegriff als Technik benutzt, den sogenannten „Rear Naked Choke“, der sich sehr gut am Boden anwenden lässt. Beim Rear Naked Choke umschlingt der eigene Arm (naked) von hinten (rear) den gesamten Hals des Gegners. Je mehr der gesamte Hals umschlungen wird, desto einfacher ist es, Druck auf die seitlich am Hals verlaufenden Venen auszuüben, um die Blutzufuhr zwischen Gehirn und Herz zu unterbinden. Ist der Griff richtig ausgeführt, wird der Gegner innerhalb weniger Sekunden bewusstlos. Wird der Griff nicht gelöst, kann binnen weniger Minuten der Tod eintreten.

Als dem am Boden gefesselten George Floyd am 25. Mai vom Polizisten Derek Chauvin für fast neun Minuten das Knie in den Hals gedrückt wurde, ist das gleiche Prinzip wie beim Rear Naked Choke angewandt worden: Die Sauerstoffzufuhr zum Gehirn wurde über Minuten deutlich verringert, bis Floyd schließlich bewusstlos wurde. In den schockierenden Bildern ist nicht nur klar zu sehen, wie der Polizist mit Gewalt das Knie in eine Seite des Halses seines Opfers hineindrückt, Floyd selbst äußert mehrfach, dass er nicht atmen kann.

Floyd hatte „abgeklopft“

Beim Vergleich zwischen Polizisten und Kampfsportlern möchte manch einer nun einwenden, dass Nurmagomedow im Ring kämpfe, diese Situation sei künstlich von Veranstaltern organisiert und der Kampf sei durch feste Regeln kontrolliert. Der Einsatz von Polizisten spiele sich dagegen in einer Stresssituation auf der Straße ab, wo es keine wirklichen Regeln außer denen des Dschungels gibt. Dem ist aber nicht so. Wenn Nurmagomedow, oder sonst ein Kampfsportler, einen Rear Naked Choke an seinem Gegner anwendet, hat dieser immer die Möglichkeit, durch ein Zeichen, beispielsweise des Abklopfens, aufzugeben. Nurmagomedow ist dann gezwungen, loszulassen – so will es die Regel –, und wird dieser Regel nicht Folge geleistet, hat der Ringrichter die Pflicht, zu intervenieren.

„Abgeklopft“ hat in diesem Sinne auch George Floyd. Nur wurde seinem Abklopfen nicht Folge geleistet. Minutenlang hat er unter Schmerzen versucht, den Polizisten darauf aufmerksam zu machen, dass er unter Atemnot leidet. Doch dieser ignorierte den Hilfeschrei. Wer bei der Videoaufnahme genauer hinhört, muss keine Kampfsporterfahrung haben, um nach Luft ringende Töne des sprechenden Floyd zu erkennen. Die Abwesenheit des Ringrichters auf der Straße ist bei diesem Vergleich umso zentraler, denn gerade sie zeigt die Verantwortung, die Polizisten bei ihren ggf. körperliche Gewalt einschließenden Handlungen wahrnehmen müssen. Es hätte Derek Chauvin also gutgetan, ein wenig mehr Kampfsportgeist zu zeigen, um die Lage von Floyd einzuschätzen und zu respektieren.

Klopft ein Kampfsportler ab, so muss der Gegner von ihm ablassen. So will es die Regel.
Klopft ein Kampfsportler ab, so muss der Gegner von ihm ablassen. So will es die Regel. Foto: AFP

Denn mit großer Wahrscheinlichkeit hat Derek Chauvin eine zumindest rudimentäre Kampfsporterfahrung während seiner Ausbildung gehabt, in der das Prinzip des Halsvenenwürgegriffs einerseits erklärt wird und er ihn andererseits üben konnte. Es ist aufgrund der Beliebtheit dieses Griffes fast undenkbar, dass er in einer verantwortungsvollen Polizeiausbildung nicht durchgenommen wird. Sollte das nicht für die Polizei von Minneapolis gelten, handelt sie gegenüber ihren Polizeischülern verantwortungslos und gefährdet Polizisten und Bürger durch die Gefahr unprofessioneller Gewaltausübung. Doch selbst wenn man annimmt, dass Chauvin den Halsvenenwürgegriff nicht gekannt haben sollte, weil er schlecht ausgebildet worden ist, hätte ihm spätestens nachdem Floyd Atemnot signalisiert hat, bewusst werden müssen, in welcher Situation er sich selbst und vor allem sein Gegenüber gerade befindet.

Unnötige Schmerzen und Qualen

Wie auch immer man es drehen mag: Chauvin hat Floyd bewusst und grausam gequält – das zeigen nicht nur die Bilder. Dies wird umso deutlicher, wenn man sieht, wie, aus der Perspektive des Kampfsports betrachtet, der Polizist die Würgepraktik bei Floyd nur halb effizient einsetzt: Weil er nur eine der beiden Halsvenen mit dem Knie zudrückt, konnte Floyd noch einigermaßen atmen und ist erst im Krankenhaus gestorben. Der mit den Armen an beiden Venen durchgeführte Rear Naked Choke hingegen erlaubt nicht nur mehr Kontrolle, sondern auch bei Bedarf durch mehr Druck die sofortige Bewusstlosigkeit des Gegners. Der von Chauvin angewandte Würgegriff mit dem Knie auf dem Nacken ist also nicht nur unkontrollierter als der Rear Naked Choke, er fügt dem Gegenüber zusätzlich unnötige Schmerzen und Qualen zu. Weshalb Polizeiakademien jene Technik zukünftigen Polizisten überhaupt beibringen, ist also äußerst fragwürdig.

Aus Sicht des deutschen Strafrechts bedeutet grausam zu handeln, einem Opfer bewusst Schmerzen und Qualen zu bereiten. Dass der auf dem harten Asphalt liegende und gefesselte Floyd unter der Last des Gewichtes von drei auf ihm sitzenden Polizisten und dem zusätzlichen Würgen nicht zwingend Schmerzen und Qualen empfunden haben muss, ist kaum vorstellbar. Dass alle drei Polizisten, wie schlecht auch immer sie ausgebildet sein mögen, nicht wussten, was sie taten, ist ebenso unvorstellbar. Für alle drei und den zuschauenden Polizisten muss gelten, dass sie in dieser Situation hätten wissen müssen, dass das Würgen von Floyd erstens die Bewusstlosigkeit und zweitens den möglichen Tod nach sich zieht. Eine Person, die den Griff kennt und nachvollziehen kann, was er für denjenigen bedeutet, der ihn erfährt, muss die Situation folgendermaßen beurteilen: Floyd ist nicht verunfallt und wurde nicht fahrlässig getötet, sondern bewusst zu Tode gequält. Eine größere Grausamkeit ist schwer vorstellbar.

Überall, wo Leben ist, gibt es auch Gewalt, und Leiden (wenn man Michael Hampe in seiner Dritten Aufklärung folgt). Gewalt anzuwenden oder zu leiden, bedeutet aber nicht automatisch, grausam zu sein oder Grausamkeit zu erfahren. Ein Tiger, der einen Mensch frisst, weil er sich ernähren will, ist gewalttätig, aber nicht grausam. Wenn Nurmagomedow seine Gegner leiden lässt, ist er nicht grausam, sondern übt Gewalt aus. Es sind konkrete Intentionen und konkrete Situationen, die definieren, ob eine Handlung gewaltsam oder grausam ist. Der Tiger frisst, weil er sich ernähren muss, Nurmagomedow übt Gewalt aus, weil er in einem Kampfsport gewinnen will. Weil nicht jede gewaltsame Handlung als grausam bezeichnet werden kann, ist Grausamkeit nicht abstrakt definierbar, sondern nur situativ und kontextabhängig zu erkennen.

Umstände führten zur Grausamkeit und zum Tod

Es sind also die Umstände, in denen Floyd Chauvin und den anderen Polizisten begegnet ist, die nach und nach zur Grausamkeit und zu seinem Tod geführt haben. Der omnipräsente Waffengebrauch und -konsum in den USA, die soziale Segregation zwischen Weißen und Afroamerikanern und der sich daraus erschließende Rassismus sind nicht zu vernachlässigende Rahmenbedingungen – insbesondere dann, wenn sich die Lage der Polizeigewalt in den USA verbessern soll. Doch all das verdeckt, was passiert ist. Denn die Situation zeigt, dass Chauvin Floyd bewusst hat leiden lassen. Leiden zu erzeugen, war, mit Hampes Worten, der Endzweck seiner Handlung und damit grausam, weil er als kampferfahrener Polizist wissen musste, was Floyd gerade erlebt.

Carl von Clausewitz hat die Kriegssituation zwischen zwei Gegnern mit der von zwei Ringern verglichen. Clausewitz ging davon aus, dass es keine Kampfsituationen gibt, die frei von Regeln sind, weder im Krieg noch im Ringen. Ziel eines Kampfes sei es immer, einem Gegner seinen Willen aufzuzwingen. Der Kampf zwischen Polizisten und Drogendealern, zwischen Taliban und US-Soldaten im Krieg, zwischen Nurmagomedow und Conor McGregor findet immer unter bestimmten Regeln und Zielen statt, bei denen es darum geht, den Gegner zu besiegen. Die Tatsache aber, dass nicht einmal sicher ist, ob Floyd ein Verbrechen begangen hat und damit als Gegner gelten kann und die weitere Tatsache, dass Chauvin das „I can’t breathe“ von Floyd nicht nur ignoriert, sondern das ihm angezeigte Leiden bewusst durch seine Handlungen verlängert hat, zeigen den verrohten Zustand von Chauvin an, der sein grausames Handeln wohl erst ermöglichte.

Die sich vor Demonstranten niederknienden Polizisten wollen sich zu Recht von grausamen Aktionen, wie denen von Chauvin und seinen Mitstreitern, distanzieren. In den tagtäglichen Situationen, in denen sie handeln müssen, interpretieren sie sich kaum einfach als die mit Gewalthandlungen vorgehenden Vollstrecker von Recht und Ordnung, wie es das martialische Vokabular von Donald Trump und die Politik von Nicolas Sarkozy nahelegen. Auch Polizisten wollen als aufgeklärte Bürger Grausamkeiten vermeiden, in einer Gesellschaft leben, wo für Recht und Ordnung gesorgt wird und die Wahrscheinlichkeit von unkontrollierter Gewalt und Grausamkeit verringert wird. Ein Polizist sollte sich in diesem Sinne tatsächlich als Freund und Helfer derer verstehen, die ebenfalls in einer solch aufgeklärten Gesellschaft leben wollen. Um aber aufgeklärt zu sein, benötigt es nach Hampe vor allem eins: gegen Grausamkeit gerichtete Bildung. Zur Ausbildung eines Polizisten sollte auch eine Kampfsportausbildung gehören. Das ist entweder das, was Chauvin gefehlt hat, oder, wenn er sie besitzt, hat er sie pervertiert, um seine grausamen Tendenzen ausleben zu können.

*Der Autor ist Postdoktorand für Philosophie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich

Laird Glenmore
19. Juni 2020 - 9.42

@Miette ihre kranke Sichtweise gegenüber ihren Mitmenschen zu überdenken Menschen die so handeln haben a : keine Sichtweise und sind b : so Gefühlslos das ihnen das Leid von anderen Menschen scheiß egal ist, das sind Masochisten die Spaß daran haben andere zu quälen eben Krank im Kopf, da hilft nur eines : WEGSPERREN und die Schlüssel verlieren, aber Amerika ist ja voll von solchen Idioten, die haben sogar einen Häuptling D. Trump.

Miette
18. Juni 2020 - 22.24

@Vinz Sie haben recht, das Foto ist unerträglich. Auch ich kann es nur schwer anschauen. Das Bild entsetzt jeden mitfühlenden Erdbürger. Das Foto sollte jedoch meiner persönlichen Meinung nach, nicht entfernt werden. Das sollten sich Menschenfeinde ansehen um vielleicht ihre kranke Sichtweise gegenüber ihren Mitmenschen zu überdenken. Guter Journalismus trifft manchmal mitten in den Bauch und das kann schmerzen. Schmerz ist ein Signal und sagt uns, da stimmt etwas nicht. Friedliche Grüsse❣❣❣

Vinz
18. Juni 2020 - 12.20

Bitte entfernen Sie dieses Foto, es ist einfach unerträglich. Das ist Rassismus, allertiefste Menschenverachtung, Machtmissbrauch pur. Es ist ja nicht nur eine Frage des Rassismus, in den USA leben die Schwarzen einfach in grosser Not: viele sind arbeitslos, andere versinken in die Kriminalität oder in den Drogen, die allermeisten sind in prekärer Familienlage (die Scheidungsrate bei den Schwarzen ist rekordverdächtig). In den amerikanischen Filmen werden die Schwarzen auch noch als sexsüchtig oder Witzbolde dargestellt. Es braucht ein ganzes Programm um den Schwarzen endlich Chancengleichheit zu bieten.

GastR
18. Juni 2020 - 10.11

Op allefall huet dee Philosproff keng Anung vu Kampfsport oder MMA. Bei engem rear naked choke schaffen déi zwee Ärm, an et dréckt een och net d'Veenen zou, ma d'Arterien. A fir engem mam Knéi vun der Säit eng Halsschlagoder zouzedrécken ass nach laang net sou evident wéi dat hei suggeréiert gëtt. Och huet den Auteur wuel nach ni eppes vu "positional asphixia" héieren.

Miette
18. Juni 2020 - 7.39

George Floyd bettelte darum atmen zu dürfen. Sein Mörder 'im Dienst" sowie dessen Mitarbeiter nahmen die hilflosen Bitten nicht zur Kenntnis.

Leila
17. Juni 2020 - 21.45

Ist "etwas grob durchgeführte Festnahme" wirklich der richtige Ausdruck für einen Todesfall?