An diesem Donnerstag (22. Dezember) regnet es wieder Geld in Spanien: Mehr als 2,5 Milliarden Euro werden dieses Jahr bei der größten und ältesten Weihnachtslotterie der Welt ausgeschüttet. Weil die Chance, den fetten Hauptgewinn zu holen, vergleichsweise groß ist, zocken inzwischen nicht nur die meisten Spanier, sondern auch viele Menschen aus anderen europäischen Ländern bei der dicken Sonderziehung mit.
Glücksschreie und Tränen
Jubelschreie waren bei der weltweit berühmten spanischen Weihnachtslotterie dieses Jahr im ganzen Land zu hören. Aber als um 11.20 Uhr einer der Schüler des Internats Ildefonso im Teatro Real in Madrid die Siegnummer 05490 des Höchstpreises für den „Gordo“ vorgesungen hatte, für den es vier Millionen Euro gibt, brach ein Tumult im Zuschauerraum los. Perla, eine arbeitslose Einwanderin aus Peru, fiel fast in Ohnmacht, stieß einen Freudenschrei aus und brach dann in Tränen aus. Medizinisches Personal musste sie kurz betreuen. Nachdem sie sich gefangen hatte, zeigte sie ihr Zehntellos mit der Gewinnnummer des „Gordo“ herum, für das ihr 400 000 Euro abzüglich Steuern zustehen.
„Ich wusste, dass ich diese Jahr gewinnen werde. Ich habe es geträumt“, rief sie fassungslos. „Ich werde eine Wohnung kaufen und meinen Kindern ein Studium finanzieren können, das ist mir am wichtigsten“, kündigte sie an. „Und ein anderer Teil ist für die Kirche. Ich bin sehr katholisch“, fügte die Frau, die mehrere Lose gekauft hatte, um Fassung ringend hinzu. Nach Peru, wo die Lage zurzeit so schwierig sei, wolle sie auf keinen Fall zurück. Die insgesamt 180 Lose mit der Nummer des Hauptgewinns wurden in 20 verschiedenen Lottostellen landesweit verkauft, wie spanische Medien berichteten. Da die meisten Menschen nur ein Zehntellos für 20 Euro kaufen, stehen ihnen für den „Gordo“ 400 000 Euro zu. Zuvor aber greift der Staat noch zu und zieht von allen Gewinnen ab 40 000 Euro 20 Prozent Steuern ab. Von 400 000 Euro würden dann 328 000 Euro ausgezahlt. Hauptgewinner ist auf jeden Fall der Fiskus. Für 3,6 Milliarden wurden Lose verkauft – 2,52 Milliarden an Gewinnen ausgeschüttet.
Allerdings ist der „Gordo“ über die Jahre nicht mehr ganz so dick wie früher. Der Spannung, dem Spaß und den Emotionen tut das aber offenbar keinen Abbruch. Millionen Menschen verfolgten am Donnerstag die Ziehung der Gewinnzahlen. TV-Sender berichteten live aus Lottoannahmestellen, wo Sieglose verkauft worden waren. Inhaber und Verkäufer freuten sich fast so, als ob sie selbst gewonnen hätten. Im Teatro Real sangen die Kinder des Internats Ildefonso im Alter von 8 bis 14 Jahren. Wie seit Generationen werden die Gewinnzahlen und die dazugehörigen Preise bei der ältesten Lotterie der Welt, die erstmals 1812 in Cádiz stattfand, von Kindern des Internats vorgesungen. Die Tradition des Vorsingens hat im 19. Jahrhundert begonnen. Erst seit 1984 dürfen auch Mädchen teilnehmen. 
Doch die Gewinne bringen nicht immer Freude: Spaniens Richter müssen regelmäßig Streit in Paaren, Freundeskreisen oder Spielgemeinschaften schlichten, die sich bei der Verteilung des plötzlichen Geldsegens nicht einig werden. „Das geschieht zum Beispiel ziemlich häufig bei Ehepaaren, die sich in einem Trennungsprozess befinden“, weiß man bei Spaniens Verbraucherberatung OCU.
„Die Lotteriegewinne, besonders jene der Weihnachtsziehung, sind eine unerschöpfliche Quelle für Rechtsstreitigkeiten“, berichtet auch Spaniens größte Zeitung El País. Dabei geht es im Kern immer ums Teilen. Um (Ex-)Partner, Familienmitglieder, Freunde und Kollegen, die nichts mehr vom gemeinsamen Loskauf wissen wollen. Und die nun gemeinsame Gewinne verschweigen, unterschlagen oder behaupten, das Glückslos verloren zu haben – was ihnen dann eine Klage einbringt.
Die Konflikte um den plötzlichen Reichtum haben derart um sich gegriffen, dass Polizei, Anwaltsvereine und Verbraucherschützer inzwischen Ratgeber veröffentlichen unter dem Titel: „Wie teile ich auf sichere Weise ein Lotterielos.“ In den Empfehlungen des Verbrauchervereins OCU heißt es etwa: „Wenn Du ein Los mit jemandem teilen willst, dann halte dies schriftlich fest. Denn Worte werden vom Wind verweht und sind im Streitfall kein Beweis.“
Dabei gleicht die TV-Werbung der staatlichen Lottogesellschaft, mit der sie jedes Jahr das Geschäft ankurbelt, einem Weihnachtsmärchen der Freude, Harmonie und Solidarität: Losscheine und Geld rieseln vom Himmel. Spanien wird als Land des Glücks dargestellt, in dem sich die Menschen gegenseitig Lose, Losanteile und viel Illusion schenken. „Hier haben wir die Tradition, die Weihnachtslose mit den Menschen zu teilen, die uns wichtig sind“, heißt es im Werbespot.
Die Botschaft vom großen und gemeinsamen Glück kommt an. Es gibt kaum ein Spanier, der nicht wenigstens eine kleine Losbeteiligung in der Tasche hat. 70 Euro investiert laut Statistik jeder Spanier im Schnitt in Weihnachtslose.
Es gehört tatsächlich zum guten Ton, mit der Clique, den Arbeitskollegen oder dem Sportverein wenigstens ein Lotterielos zu teilen. Genauso wie Paare, Geschwister und Familien gemeinsam auf den „Gordo“ – den dicken Hauptgewinn – setzen, für den dieses Jahr allein 720 Millionen Euro ausgeschüttet werden.
Schulkinder singen die Glücksnummern
Die ganze spanische Nation schaltet am Vormittag des 22. Dezember den Fernseher an und verfolgt gespannt die Ziehung, die im „Königlichen Opernhaus“ in der spanischen Hauptstadt stattfindet. Kurios ist, dass alle gezogenen Glücksnummern nicht von einer Lottofee angesagt werden, sondern von Madrider Schulkindern lauthals gesungen werden. Eine Lotterie-Singshow, die angesichts der vielen Prämien und Trostpreise mehrere Stunden dauert.
Der Hauptgewinn von mehreren hundert Millionen Euro ging übrigens noch nie nur an eine einzige Person, sondern er wird stets unter vielen Gewinnern aufgesplittet. Das dürfte auch dieses Jahr nicht anders sein. Denn 2022 teilt sich jede der fünfstelligen Losnummern in 180 Serien und dann noch einmal in Zehntellose („décimos“) auf. Sodass also von jeder Nummer wenigstens 1.800 Zehntellose im Umlauf sind.
Ein Zehntellos kostet im spanischen Lottohandel 20 Euro. Wer über ausländische Plattformen mitzockt, muss meist noch Zuschläge bezahlen. Im Falle eines Volltreffers wird dann jedes „Gordo“-Zehntellos mit 400.000 Euro bedacht. Theoretisch wenigstens. In der Praxis werden nur 328.000 Euro ausgezahlt, weil Spaniens Fiskus bei allen Gewinnen über 40.000 Euro 20 Prozent Glückssteuer kassiert.
Das Zockerfieber beim „Gordo“ wird auch dadurch angeheizt, dass die Chance, einen Treffer zu landen, bei dieser Weihnachtsziehung zwei Tage vor Heiligabend im Vergleich zu anderen Lotterien relativ groß. Da insgesamt nur 100.000 Losnummern (von 00000 bis 99999) im Umlauf sind, beträgt die mathematische Gewinnwahrscheinlichkeit 1:100.000.
„Weihnachten beginnt hier bereits am 22. Dezember“, lautet ein geflügeltes Wort in Spanien. Am Tag der Ziehung werden zweifellos auch dieses Jahr wieder Bilder von jubelnden Menschen und knallenden Sektkorken um die Welt gehen. Das sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass bei den meisten Spaniern lange Gesichter vorherrschen werden – weil sie wieder einmal leer ausgegangen sind.
 
		    		 De Maart
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