10. November 2025 - 20.35 Uhr
Akt.: 10. November 2025 - 22.22 Uhr
„Vollständige Kommerzialisierung“Gewerkschaften und Opposition kritisieren fast zeitgleich Gesundheitspolitik der Regierung
Die Sitzung des parlamentarischen Gesundheitsausschusses war gerade vorbei, als RTL am späten Montagnachmittag von einem (weiteren) Brief der „Union des syndicats OGBL et LCGB“ an CSV-Premierminister Luc Frieden berichtete, in dem die Gewerkschaften in einem Rundumschlag sowohl CSV-Gesundheitsministerin Martine Deprez und die Gesundheitspolitik der CSV-DP-Regierung als auch die Ärztevereinigung AMMD sowie die Direktion und den Präsidenten der CNS aufs Schärfste kritisieren. Mit abgedroschenen Schlagwörtern wie „innovant“, „efficace“, „accessible“, „durable“ oder „transparent“ habe die Regierung kürzlich in einer Mitteilung versucht, der Öffentlichkeit eine Reform im Dienste der Versicherten zu verkaufen, doch in Wahrheit bereite sie die Privatisierung des solidarischen öffentlichen Gesundheitssystems vor, heißt es in dem Schreiben, das dem Tageblatt vorliegt. Im Bereich der Krankenversicherung habe die Ministerin ein Jahr lang durch vollkommene Sorglosigkeit geglänzt und sei erst unter dem Druck der Sozialpartner wachgerüttelt worden, die im November 2024 damit drohten, nicht für den Haushalt der Krankenversicherung zu stimmen. Erst der späte Einsatz von CSV-Finanzminister Gilles Roth habe bei der Gesundheits-Quadripartite vor einem Monat dazu geführt, das Defizit bei der Krankenkasse vorläufig abzuwenden.
„Kommerzialisierung“
Der CNS-Direktion unterstellen OGBL und LCGB, wichtige Entscheidungen ohne Zustimmung des Verwaltungsrats getroffen zu haben, in dem Regierung und Sozialpartner nach dem Tripartite-Prinzip zusammenarbeiten. Der AMMD, die vor zehn Tagen die Konvention mit der CNS gekündigt hatte, werfen die Gewerkschaften vor, die Zwei-Klassen-Medizin einführen zu wollen, in der die Reichen sich qualitativ hochwertige Leistungen kaufen könnten, während der Großteil der Bevölkerung sich mit mittelmäßiger Pflege und unendlichen Wartezeiten abfinden müsse. Die Regierung spiele das Spiel der AMMD mit, indem sie den Weg für eine vollständige Liberalisierung der ambulanten Versorgung befürworte – eine Liberalisierung, die sie als vielfältiges und dezentralisiertes medizinisches Angebot tarne, die aber nichts anderes sei, als die vollständige Kommerzialisierung des Gesundheitssystems, heißt es in dem Brief.
Kurz bevor der Brief an die Öffentlichkeit gelangte, diskutierten auf Antrag der LSAP die Mitglieder des parlamentarischen Gesundheitsausschusses mit Martine Deprez über die von der Regierung geplanten Ärztegesellschaften und insbesondere die „Findel Clinic“, die der Gastroenterologe und frühere AMMD-Präsident Alain Schmit und der Orthopäde, Traumatologe und ehemalige AMMD-Vizepräsident Philippe Wilmes – DP-Mitglied, Gemeinderat in Leudelingen und Bruder des CSV-Umweltministers Serge Wilmes – im März eröffnen wollen. Für Aufregung sorgte insbesondere, dass der Immobilienmagnat Marc Giorgetti, der frühere EY-Managing-Partner und der DP nahestehende Vizepräsident des Staatsrats, Alain Kinsch, der Vermögensverwalter und frühere CEO von Dexia-BIL, Marc Hoffmann, sowie der Manager Félix Retter (Luxembourg Online), 2023 CSV-Kandidat bei den Gemeindewahlen in Luxemburg-Stadt, an dem Projekt beteiligt sind, wie das Lëtzebuerger Land vor zwei Wochen als Erstes berichtete.
„Clinic“
Die Abgeordneten von LSAP, Linken und Grünen, und auch zum Teil die von CSV und DP, teilten am Montag die Sorge von LCGB und OGBL über die Privatisierung des Gesundheitssystems. Der frühere LSAP-Gesundheitsminister Mars Di Bartolomeo wollte von Deprez wissen, ob es sich bei der „Findel Clinic“ um ein medizinisches Projekt mit Beteiligung von Investoren oder um ein Immobilienprojekt mit Beteiligung von Ärzten handle und äußerte Bedenken, dass die Verwendung des Begriffs „Clinic“ irreführend sein könne. CSV-Fraktionspräsident Marc Spautz wies darauf hin, dass der Begriff „Clinique“ im Krankenhausgesetz geschützt und seine unrechtmäßige Verwendung womöglich strafbar sei. Was den DP-Gesundheitsexperten Gérard Schockmel zu der Annahme verleitete, dass die Investoren vielleicht deshalb die englische Version „Clinic“ verwendeten. Di Bartolomeo sprach von einer „frontalen Attacke auf unser solidarisches Gesundheitssystem“ und dem Weg in die Zwei-Klassen-Medizin, der linke Abgeordnete Marc Baum warf den Ärzten und Investoren vor, sich über Privatgesellschaften ein größeres Stück vom öffentlich finanzierten Kuchen abschneiden zu wollen. Deprez’ LSAP-Vorgängerin Paulette Lenert ermittelte einen Interessenkonflikt zu den Bestimmungen im Deontologiekodex der Ärzte und die grüne Abgeordnete Djuna Bernard wollte wissen, ob die Regierung einen Plan für die regionale Verteilung von Ärzten habe. Im Gegensatz zu den Gewerkschaften kritisierten Marc Baum und Mars Di Bartolomeo jedoch weniger die Gesundheitsministerin – sie freuten sich, dass sie „da sitzt, wo sie sitzt“ – als den Premier, der kürzlich im Radio von Krankenhaus-Antennen „lassgeléist vun de Spideeler“ gesprochen hatte.
Da die Sitzung schon wesentlich länger gedauert hatte als ursprünglich geplant, blieb Martine Deprez nur wenig Zeit, um zu reagieren. Sie versicherte, dass die CSV-DP-Regierung den Patienten in den Mittelpunkt des Gesundheitssystems stelle und es ihr darum gehe, die Wartezeiten zu reduzieren. Um zu wissen, welche medizinischen Spezialisierungen wo angeboten werden und wo noch Bedarf bestehe, müssten erst mehr Daten gesammelt werden.
De Maart

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