Montag8. Dezember 2025

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DeutschlandGespräch mit der Linken-Fraktionschefin Heidi Reichinnek

Deutschland / Gespräch mit der Linken-Fraktionschefin Heidi Reichinnek
Die Spitzen-Linke Heidi Reichinnek hat kein Problem damit, mit der CDU zu reden – umgekehrt gilt das schon Foto: AFP

Heidi Reichinnek will frustrierte Menschen wieder für die Demokratie begeistern. Im Interview spricht der TikTok-Star der Linken über ihr Bild vom demokratischen Sozialismus, das Verhältnis zur CDU, die anstehenden Landtagswahlen – und das Eingeständnis von Schwächen als Spitzenpolitikerin.

Tageblatt: Frau Reichinnek, Sie waren kürzlich in einer Talkshow mit Philipp Amthor. Haben Sie Nummern ausgetauscht?

Heidi Reichinnek Ich glaube, wir brauchen unsere Handynummern nicht.

Nein?

Ich habe keinen Bedarf, mich mit ihm auszutauschen.

Vielleicht hat die Union ja Bedarf, wenn es darum geht, Zweidrittelmehrheiten zu organisieren.

Dann wissen sie ja, wo sie sich melden können. Wir haben hier ein Büro, wir haben E-Mail-Adressen, wir haben Telefone. Das schaffen die.

Sie gehen die Regierung hart an, haben ihr aber schon aus der Patsche geholfen – bei der Wahl der Verfassungsrichter und bei der Kanzlerwahl. Was ist die Rolle der Linksfraktion?

Wir sind die Lobby für die, die sonst keine haben. Uns geht es immer darum, etwas für die Menschen zu erreichen, ihren Alltag zu verbessern. Danach richtet sich, wie wir abstimmen. Was hätte es bei der Wahl von Friedrich Merz denn gebracht, wenn wir gesagt hätten: Pech gehabt, wir können es in drei Tagen noch einmal versuchen? Das hätte nur Chaos gestiftet. Und wer hätte davon profitiert? Rechtsaußen. Grundsätzlich ist es auch immer gut, zweimal am Tag Nein zu Friedrich Merz zu sagen.

Warum haben Sie sich am Freitag beim Rentenpaket enthalten?

Die Union hat einen Machtkampf auf dem Rücken von über 21 Millionen Rentnern und Rentnerinnen geführt. Sie hat damit gedroht, dass das Rentenniveau noch weiter absinkt. Das ist absolut schäbig. 48 Prozent reichen jetzt schon nicht. Seit Rot-Grün das Rentenniveau von 53 auf 48 Prozent gedrückt hat, hat sich die Altersarmut fast verdoppelt. Jeder fünfte Rentner, jede fünfte Rentnerin lebt schon jetzt in Armut oder ist von Armut bedroht. Und das soll noch schlimmer werden? Das wollten wir nicht zulassen. An uns ist es nicht gescheitert, dass diese Haltelinie jetzt bestehen bleibt. Wir sagen aber auch ganz klar: Das Rentenniveau muss wieder auf 53 Prozent rauf und es braucht ein System, in das alle Erwerbstätigen einzahlen.

In Ihrer Fraktion sind erfahrene Politiker, aber auch viele neue Parlamentarier. Können Sie sagen, wie es in den Fraktionssitzungen zugeht zwischen diesen beiden Fronten?

Es gibt gar keine Fronten. Es gibt einen guten Austausch und viele Diskussionen darüber, wie wir unsere Themen voranbringen. Und ich finde, bisher funktioniert es ausgezeichnet. Ich musste meinen Abgeordneten auf jeden Fall noch nie drohen, wie es über die Unionsfraktion zu hören war – bei uns zählen Argumente.

Sie haben mehrfach gesagt, Ihr Ziel sei der demokratische Sozialismus. Was bedeutet das konkret?

Es geht vor allem um Verteilungsgerechtigkeit. Also darum, dass die Schere zwischen Arm und Reich nicht immer weiter aufgerissen, sondern endlich geschlossen wird. Die Menschen brauchen Löhne und Renten, von denen sie leben können. Wir sagen: Steuern runter für die Mehrheit mit einer Einkommenssteuerreform, die alle entlastet, die weniger als 7.000 brutto verdienen. Dafür müssen Spitzenverdiener stärker herangezogen werden. Außerdem muss öffentliche Daseinsvorsorge in öffentliche Hand. Ich will, dass der Staat dafür sorgt, dass die Menschen bezahlbaren Wohnraum haben, dass die Busse zuverlässig fahren und dass die Krankenhäuser nicht schließen müssen – denn der Markt regelt es eben nicht im Sinne der meisten Menschen. Wenn wir das haben, wären wir schon einen großen Schritt weiter.

Fällt Ihnen ein Land ein, das den demokratischen Sozialismus etabliert hat?

Mir fallen Länder ein, wo man sehen kann, dass es in einzelnen Aspekten funktioniert. Zum Beispiel Österreich. Da gibt es ein Rentensystem, in das alle Erwerbstätigen einzahlen und das ähnlich aufgebaut ist, wie wir uns das vorstellen: Da fallen die Renten im Schnitt deutlich höher aus. Wir sehen, wie in Wien Daseinsvorsorge bei Mieten tatsächlich funktioniert, nämlich über öffentliche Wohnungsbaugesellschaften. Wir sehen außerdem, wie in nordeuropäischen Ländern wie Schweden oder Finnland Bildung organisiert ist. Wo Jugendliche länger gemeinsam lernen, ihre verschiedenen Fähigkeiten gefördert werden. Es gibt viele Beispiele. Warum folgen wir denen nicht?

Ihnen schwebt also ein Modell wie in Österreich und Schweden vor? Oder wären das nur erste Schritte?

Mir schwebt für Deutschland auch ein anderes Steuersystem vor. Also dass die Mehrheit entlastet wird und Multimillionäre und Milliardäre mehr zahlen. Dafür will ich die Vermögenssteuer reaktivieren, so ähnlich, wie wir sie früher hatten. Ich will, dass bei der Erbschaftsteuer endlich die Lücken für Superreiche geschlossen werden und ich will, dass Steuerhinterziehung bekämpft wird. Also am Ende nichts anderes als ein für alle gerechtes System.

Nächstes Jahr stehen Landtagswahlen an. In Sachsen-Anhalt liegt die AfD in Umfragen sehr weit vorne. Warum hat die Linke nicht den Rückhalt, den früher die PDS hatte?

Wir hatten als Linke eine Phase, in der wir sehr viele Probleme hatten. Aber seit Ende letzten Jahres sind wir im Aufwind. Das hat viel damit zu tun, dass wir uns auf unsere Kernkompetenz konzentrieren, nämlich auf das Thema soziale Gerechtigkeit in all seinen Facetten. Und darauf, wie wir den Menschen vor Ort helfen können. Aber verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen, schafft man nicht über Nacht. Vertrauen haben ja nicht nur wir verloren, sondern alle demokratischen Parteien.

Dieser Frust hat sich über Jahrzehnte aufgebaut. Seit der Wende hat der Osten nur den Abbau von öffentlicher Daseinsvorsorge erlebt: Krankenhäuser wurden geschlossen, Buslinien stillgelegt, der Jugendtreff hat zugemacht. Das ist der Nährboden dafür, dass Menschen rechtsextrem wählen. Die AfD ist eine Partei der Westelite, die auf dem Rücken der Ostdeutschen sehr hohe Ergebnisse holt. Sie hat aber nichts für den Osten im Angebot. Und das müssen wir deutlich machen.

Ist es Ihre Aufgabe, AfD-Wähler zur Linken zu holen?

Ja, ich sehe das als meine persönliche Aufgabe und wir sehen es auch als Partei als unsere Aufgabe. Wir müssen Menschen, die sich gar nicht mehr beteiligen, oder auch Menschen, die aus Wut oder Frust die AfD wählen, wieder für die Demokratie begeistern. Die AfD ist eine Partei der Westelite, die auf dem Rücken der Ostdeutschen sehr hohe Ergebnisse holt. Sie hat aber nichts für den Osten im Angebot. Und das müssen wir deutlich machen. Wenn ein Wessi wie Höcke den Leuten etwas von Ostalgie erzählt, ist das unglaubwürdig. Ich verstehe, dass die Leute wütend sind. Ich bin auch oft wütend. Und es ist auch vollkommen okay, wütend auf die Verhältnisse zu sein. Aber die Frage ist doch dann, was ich mit der Wut mache. Will ich damit zerstören? Oder will ich die Wut für etwas Positives nutzen? Ich zumindest will für die Menschen was erreichen und kämpfe dafür.

In New York ist der Linke Zohran Mamdani Bürgermeister geworden. In Berlin könnte Elif Eralp nächstes Jahr gewinnen. Hat sie das Zeug zur Berliner Mamdani?

Elif Eralp hat auf jeden Fall das Zeug zur neuen Berliner Bürgermeisterin. Weil sie, genau wie Mamdani, die Alltagssorgen der Menschen in den Fokus setzt. Thema Bezahlbarkeit: Mamdani redet darüber, das Leben der Menschen besser zu machen, zum Beispiel durch einen Mietendeckel, kostenfreie und schnelle Busse, die die Leute gut und sicher zur Arbeit bringen, und kostenfreie Kinderbetreuung. Und weil sie einfach eine total beeindruckende Persönlichkeit ist. Sie brennt für das, was sie tut. Und genau das brauchen die Leute doch.

Mamdani hat einen guten Draht zu Donald Trump gefunden. Glauben Sie, dass Frau Eralp den auch zu Merz finden könnte?

Ich sage es ja immer wieder: An uns scheitert es nicht, Verbesserungen für die Menschen umzusetzen. Wir reden mit allen Demokraten. Und solange die Union sich noch dazu zählt, reden wir auch mit ihr. Uns geht es um Inhalte, nicht um Machtspielchen oder Kalkül.

Was sind Ihre Ziele für nächstes Jahr?

In Baden-Württemberg wollen wir in den Landtag einziehen. Das wäre ein starkes Zeichen. In Rheinland-Pfalz wollen wir das ebenfalls und natürlich starke Ergebnisse im Osten. Wir wollen dafür sorgen, dass die AfD dort an Einfluss verliert. Das ist zentral. Aber für uns geht es auch darum, konkret Themen zu setzen und Menschen für die Demokratie zu begeistern. Wir wollen mehr Leute dazu motivieren, sich einzubringen. Sei es in meiner Partei, in einer anderen demokratischen Partei, in Verbänden und Organisationen oder indem sie auf die Straßen gehen.

Sie sprechen öffentlich über Ihre Migräne, Sören Pellmann hatte zuletzt seinen Herzinfarkt in Interviews thematisiert. Welche Reaktion erhält man eigentlich, wenn man als Politiker Schwächen einräumt?

Leider ist es vor allem eine Mischung aus Häme und Angriffen. Einige sagen sogar, dass man die Krankheit instrumentalisieren würde. Gerade von Betroffenen erhält man aber viel Unterstützung. Klar ist, dass der Bundestag die Gesellschaft in vielerlei Hinsicht nicht repräsentiert – auch mit Blick darauf, wer chronische Krankheiten oder Behinderungen hat. Umso wichtiger finde ich es, zu sagen: Ich habe diese Erkrankung und sie belastet mich massiv. Viele Termine kann ich trotz Migräne nicht absagen und muss mir dann mit Medikamenten helfen. Aber Sumatriptan ist ein sehr starkes Mittel, das dazu führt, dass man sich nicht mehr so gut konzentrieren kann.

Würden Sie Ihre Parlamentskolleginnen und Kollegen dazu ermutigen, mit Krankheiten oder Schwächen offener umzugehen?

Absolut, ja. Ich würde niemanden dazu auffordern, weil es eine sehr private Entscheidung ist, solche Sachen öffentlich zu machen. Aber natürlich ist es ein wichtiges Zeichen, das für Sichtbarkeit sorgt. Gerade bei Migräne. Das ist ja eine Krankheit, die vor allen Dingen Frauen betrifft. Und wie oft werden Frauen nicht ernst genommen, wenn sie sagen, dass sie massive Kopfschmerzen haben? Ähnlich ist das bei anderen Krankheiten, die nur Frauen betreffen, bei Endometriose, beim Lipödem. Da passiert jetzt auch ein bisschen was. Das muss man anerkennen. Aber es reicht bei Weitem nicht. Diese Themen brauchen Präsenz, weil sie unfassbar viele Leute betreffen.