Sonntag26. Oktober 2025

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InterviewGabrielle Antar über die Ausstellung „The Way To Liberation“ und die Kritik am Kollektiv „Waassermeloun“

Interview / Gabrielle Antar über die Ausstellung „The Way To Liberation“ und die Kritik am Kollektiv „Waassermeloun“
Mitglied des Kollektivs „Waassermeloun“: Gabrielle Antar Foto: Editpress/Julien Garroy

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Die Ausstellung „The Way To Liberation: A Journey Through Windows and Vitrines“ rückt arabische Kunstschaffende in den Mittelpunkt und kreist um Befreiungsakte. Ein Thema, das im Hinblick auf den Nahostkonflikt polarisiert. Im Interview mit dem Tageblatt spricht Gabrielle Antar, Mitglied des Kollektivs „Waassermeloun“, über die Schau sowie Antisemitismus-Vorwürfe gegen das Kollektiv.

Tageblatt: Gabrielle Antar, wie kam die Ausstellung „The Way To Liberation: A Journey Through Windows and Vitrines“ zustande?

Gabrielle Antar: Das Kollektiv „Waassermeloun“ hat bereits mehrere kulturelle und politische Veranstaltungen organisiert. In dem Zusammenhang schlug ein neues Mitglied, Laura Londono, ein Ausstellungsprojekt zu Befreiungsbewegungen und arabischen Kunstschaffenden vor.

Warum werden die Arbeiten in Schaufenstern, im öffentlichen Raum gezeigt?

Unter anderem, weil wir als radikal propalästinensisches Kollektiv selten Orte finden, wo wir unsere Events durchführen können. Oft weichen unsere Positionen von denen der Verantwortlichen ab und wir werden als antisemitisch bezeichnet. Am Ende fanden wir acht Orte in Luxemburg-Stadt, an denen wir die Arbeiten zeigen dürfen.

Woher kommt Gegenwind?

Von überall. Die Schau sollte teilweise im Rainbow Center von Rosa Lëtzebuerg gezeigt werden. Die Verantwortlichen machten einen Rückzieher, was mich als queere luxemburgisch-libanesische Frau, welche diesen Ort als „safe space“ begreift, besonders trifft: Auch hier wurden Antisemitismus-Vorwürfe gegen „Waassermeloun“ als Grund angeführt.

Diese sind zum Teil auf Begrifflichkeiten zurückzuführen, die das Kollektiv benutzt.

Wir benutzen unter anderem den Spruch „From the river to the sea“, der mit dem Aufruf zur Zerstörung Israels gleichgesetzt wird.

Gabrielle Antar beim Aufbau der Ausstellung
Gabrielle Antar beim Aufbau der Ausstellung Foto: Editpress/Julien Garroy

Der Spruch – in Variationen auch von proisraelischen Bewegungen angewandt – ist umstritten: Auf internationaler Ebene herrscht Uneinigkeit über seinen antisemitischen Charakter; nach dem 7. Oktober und der Verwendung durch die Hamas wurde er teilweise verboten.

Für uns ist es die Aufforderung, allen Menschen in der Region ein friedvolles und freies Leben zu ermöglichen. Ich bin gegen die Zerstörung anderer Gemeinschaften und keine Antisemitin. 

Ein weiterer Vorwurf ist, dass das Kollektiv sich gegen eine Zweistaatenlösung ausspricht.

Ja, wir glauben nicht daran – und warum? Weil wir der Meinung sind, dass ein Land, das einer einheimischen Bevölkerung gehört, völlig frei sein sollte. Israel ist per Definition ein siedlungskolonialer Apartheidstaat (Organisationen wie Amnesty International greifen in diesem Kontext ebenfalls auf den Begriff Apartheid zurück, wenngleich er kontrovers diskutiert wird, d.R.). Wir fordern ein Palästina, das frei von jeglichem Kolonialismus ist, und nicht eine „Lösung“, die das Land aufteilt.

Doch was bedeutet das im Umkehrschluss für die Israelis?

Wir wollen ein Ende der Apartheid. Wer bleiben will, soll und darf das. Die Geschichte des Gazastreifens zeigt, dass die jüdische Gemeinschaft dort empfangen wurde – doch es gibt einen Unterschied zwischen Migration und Okkupation. Eine unserer Forderungen ist deshalb auch, dass Luxemburg Sanktionen gegen Israel verhängt, so wie es bei Russland der Fall war.

Besteht ein offener Konflikt zwischen dem Kollektiv und proisraelischen Bewegungen in Luxemburg?

Wir werden von der Seite eindeutig diffamiert. Als wir im Oktober einen Sitzstreik in Gedenken an die rund 15.000 Kinder (Zahlen u.a. vom Gaza’s Ministry of Health, d.R.) abhielten, die bisher in Gaza starben, wurde die Polizei alarmiert und versucht, die Aktion zu unterbinden. Dabei lasen wir nur die Namen der Kinder vor, es gab weder „Chants“ noch Reden oder eine Demo. Allgemein kann ich an einer Hand abzählen, wer sich mit uns solidarisiert.

Zur Person

Gabrielle Antar ist eine luxemburgisch-libanesische freie Autorin sowie Journalistin (u.a. queer.lu). Sie hat einen Masterabschluss in Gender Studies von der School of Oriental and African Studies der University of London und ist Mitbegründerin der Online-Zeitschrift déi aner.

Gilt das auch für die Kulturszene?

In der luxemburgischen Kulturszene beobachten wir zwei Trends: Entweder die propalästinensische Bewegung wird pauschal als terroristisch kategorisiert oder zur Selbstdarstellung missbraucht. Manche geben sich solidarisch, weil es „woke“ ist. Pro Palästina zu sein, bedeutet aber mehr, als ein Banner hochzuhalten. Es heißt, sich für die Sichtbarkeit der Betroffenen einzusetzen und ihnen den Raum zu geben, ihre Erfahrungen und Bedürfnisse selbst zu teilen. Ich verstehe mich beispielsweise nicht als Sprachrohr der palästinensischen Bevölkerung – ich komme aus dem Libanon.

Was für eine Rolle spielt Kultur in alledem?

Kultur ist ein wichtiges Werkzeug, um indigenen Bevölkerungen Macht zurückzugeben. Damit verweise ich nicht nur auf Palästina, sondern auch auf den Sudan, Kongo, auf Haiti oder Syrien: Sie teilen dasselbe Schicksal, weil neokoloniale Mächte sie beherrschen. Menschen, die einem kolonialen Kontext entstammen, teilen diese Erfahrungen vermutlich: Wir werden konstant zum Schweigen gebracht. Das erlebe ich als libanesische Person in Luxemburg am eigenen Leib. Wir müssen uns Gehör verschaffen, unsere Perspektiven darlegen und darüber sprechen können. Wenn uns andere das Wort verwehren, dann müssen wir es selbst ergreifen.

Inwiefern spiegelt sich dies in der Ausstellung?

Es ist immer eine Form von Widerstand, wenn arabische Kunstschaffende ihre Arbeit nutzen, um ihr Kulturerbe weiterzutragen. Warum? Weil ihnen in Europa und Amerika die eigene Identität und Menschlichkeit abgesprochen werden – in den Augen vieler sind sie alle Terroristen und Barbaren. Das in Kunst auszudrücken, ist ein Befreiungsakt. Das Thema kommt also in den meisten Arbeiten vor.

In der luxemburgischen Kulturszene beobachten wir zwei Trends: Entweder die propalästinensische Bewegung wird pauschal als terroristisch kategorisiert oder zur Selbstdarstellung missbraucht

Gabrielle Antar, Mitglied von „Waassermeloun“

Wie erleben Sie den Alltag arabischer Menschen im Westen?

Ich erkenne Mikroaggressionen und beobachte oft „ungewollten“ Rassismus. Wenn ich sage „Ich komme aus dem Libanon“, lautet die Antwort oft „Das ist ja exotisch“ – wer das sagt, ist nicht zwangsläufig rassistisch, doch es spricht für eine eurozentristische Weltsicht. Der Westen nimmt den Osten generell als mystische Region wahr und unterscheidet nicht zwischen den einzelnen Kulturen. Das sehen wir auch in der Popkultur: In dem Animationsfilm „Aladdin“ werden die unterschiedlichsten Kulturkreise vermischt und als Ganzes präsentiert. Die Repräsentation von arabischen Menschen in Luxemburg – und im Westen allgemein – ist bescheiden. Andernfalls würden die Gesamtgesellschaft und die Politik genauso offen mit Schutzsuchenden aus arabischen Ländern umgehen als mit jenen aus der Ukraine …

Worauf spielen Sie an?

In Gaza wurden in den vergangenen Monaten nach akademischen Schätzungen mehr als 186.000 Menschen getötet (Nach offiziell bestätigten Todes- und Verletztenzahlen des Gaza Ministry of Health (MoH) gab es 2024 insgesamt 44.786 Tote und 106.188 Verletzte im Gazastreifen; wissenschaftliche Publikationen wie The Lancet bestätigen die von Antar genannten Schätzungen; bei Statistiken aus Kriegen und Konflikten gilt es zu beachten, dass eine objektive Zählung schwer ist, d.R.). Das entspricht fast einem Drittel der luxemburgischen Bevölkerung – doch die Gesamtgesellschaft verschließt die Augen. Und das ausgerechnet in Europa, wo wir den Genozid an der jüdischen Gemeinschaft erlebt haben. Es ist unverständlich für mich, dass wir nicht aus der Geschichte lernen und ich wegen meiner klaren Position zahlreiche Bekanntschaften verliere.

„The Way To Liberation“

– Walking Tour: 19. Dezember, 16 Uhr, Startpunkt: Casino Display
– Vernissage mit Verkauf der Kunstwerke: 19. Dezember, um 19 Uhr im Rocas in Luxemburg-Stadt
– Teilnehmende Locations: Casino Display, Stitch, Télio, La Piazza, Interview, Devi, Alinéa, Rocas
An den Werken ist ein QR-Code vermerkt: Über diesen erhält das Publikum Hintergrundinformationen zu den Kunstschaffenden und Zugriff auf eine Karte, die auf den Ausstellungsparcours verweist. In den sozialen Medien können sich Einzelpersonen an der Schau beteiligen: „Waassermeloun“ ruft dazu auf, die eigenen Fenster zum Ausstellungsthema zu gestalten und die Beiträge mit dem Kollektiv zu teilen. Die Schau läuft noch bis zum 4. Januar 2025.