ForumFir dass Schaffe sech lount

Forum / Fir dass Schaffe sech lount
 Foto: Editpress/Julien Garroy

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Während der Präsentation der Eckdaten des Koalitionsprogramms erklärte Premierminister Luc Frieden, wie wichtig es sei, „dass Schaffe sech lount“. Deshalb wolle man „bei aller Stäerkung vu Sozialhëllefen“ darauf achten, „dass de soziale Mindestloun, an dat, wat mat Aarbecht zesummenhängt, iwwer deem ass vun deem vun deene Leit, déi Sozialhëllefe kréien“. 

Es waren nur zwei Sätze, in denen jedoch sehr viel Inhalt mitschwingt. Angefangen mit dieser letzten Aussage, mit der Herr Frieden unterscheidet zwischen jenen Menschen, die Sozialhilfen erhalten, auf der einen Seite und Arbeit auf der anderen. Er fährt weiter mit der Aussage, „dass Aarbecht eppes ass, wou een d’Leit muss encouragéieren“. Er unterstellt also nicht nur allen Menschen, die Sozialhilfe erhalten, dass sie nicht arbeiten, sondern versucht auch den Verdacht zu erwecken, dass sie gar nicht arbeiten wollen. Das ist natürlich Quatsch und einfach widerlegbar, denn über ein Viertel jener, die Revis erhalten, haben gleichzeitig ein „revenu professionnel“, bekommen also ein Gehalt.1)  

Schlussendlich erklärte Frieden, „dass Schaffen eppes ass […], woufir d’Leit mussen adäquat belount ginn“. Diese Aussage wäre begrüßenswert, wenn sie auf irgendeine Art und Weise im Koalitionsvertrag zwischen CSV und DP wiederzufinden wäre.

Zurzeit werden nämlich sehr viele Menschen alles andere als „adäquat“ für ihre Arbeit belohnt bzw. entlohnt. 13 Prozent aller Arbeitnehmer („salariés“) sind laut aktuellen Zahlen dem Armutsrisiko ausgesetzt. Das ist der höchste Wert innerhalb der Eurozone.2) Dieser hohe Anteil kann nicht überraschen, wenn man weiß, dass der Mindestlohn in Luxemburg unterhalb der Armutsgrenze (60 Prozent des Medianlohns) liegt. Ist dieser Vergleich für manchen vielleicht etwas zu abstrakt, kann man den Mindestlohn auch mit den realen Lebenskosten im Land vergleichen. Laut Schätzungen des Statec lag das „budget de référence“ für eine alleinstehende Person im Jahr 2022 bei 2.437  Euro. Mit einem Netto-Gehalt von 1.998  Euro (Mindestlohn im April 2022) war ein dezentes Leben demnach trotz Vollzeitarbeit für viele Menschen unmöglich.3) 

Keine strukturelle Erhöhung des Mindestlohns vorgesehen

Im Koalitionsprogramm ist jedoch keine strukturelle Erhöhung des Mindestlohns vorgesehen. Liegt es daran, dass „Mindestlohnempfänger“ ein abstrakter Begriff ist und es für manchen schwer vorstellbar ist, wie viele Menschen real davon betroffen sind? Oder daran, dass in der Vorstellung vieler nur junge Berufsanfänger den Mindestlohn erhalten, bevor sie dann später „adäquat“ belohnt werden? Hat es mit dem Vorurteil zu tun, dass nur „ausländische Arbeitnehmer“ für den Mindestlohn arbeiten, also Menschen ohne luxemburgische Nationalität und somit ohne Wahlrecht? 

Ganz davon abgesehen, dass keiner dieser Erklärungsversuche das viel zu niedrige Niveau des Mindestlohns rechtfertigen würde, entspricht das alles auch nicht der Wahrheit. Die Arbeitnehmerkammer (CSL) hat dieses Jahr eine sehr detaillierte Studie zu Mindestlohnempfängern veröffentlicht, woraus u.a. folgende Informationen gewonnen werden können.

Den Mindestlohn erhalten vor allem Frauen und „cols-bleus“, also Menschen, die eher manuell arbeiten. Sie arbeiten größtenteils im Horeca und im Handel, zwei Branchen, die sich regelmäßig über Personalmangel beschweren und bei denen das Argument der internationalen Kompetitivität nicht gelten kann. Die Hälfte aller jungen Arbeitnehmer unter 25 Jahren erhält den Mindestlohn, bei den über 60-Jährigen sind es immer noch zehn Prozent. Mit steigender Berufserfahrung sinkt der Anteil jener, die den Mindestlohn erhalten. Jedoch zeigt die Studie der CSL, dass rund ein Drittel aller Menschen, die den (nicht qualifizierten) Mindestlohn erhalten, bereits seit über zehn Jahren in Luxemburg arbeitet. Sehr viele Menschen erhalten demnach nie während ihrer ganzen Karriere eine Lohnerhöhung und sind allein auf die Indexierung und die regelmäßige Anpassung an die Lohnentwicklung angewiesen. Ein Viertel aller Arbeitnehmer, die den Mindestlohn bekommen, besitzt übrigens die luxemburgische Staatsbürgerschaft.4)

Verbesserungen des Arbeitsrechts längst überfällig

Neben einer strukturellen Erhöhung des Mindestlohns sind weitere Verbesserungen des Arbeitsrechts längst überfällig. Seit Jahren fordern die Gewerkschaften beispielsweise eine Reform des Kollektivvertragswesens. Denn wenn Arbeit sich lohnen soll, dann müssen Arbeitnehmer auch die Möglichkeit erhalten, gemeinsam bessere Arbeitsbedingungen auszuhandeln, um nicht während ihrer ganzen Karriere auf gesetzliche Mindeststandards angewiesen zu sein. Eine Änderung des Kollektivvertragswesens wird auch tatsächlich im Koalitionsabkommen erwähnt, jedoch ohne jeglichen Aufschluss zu geben, in welche Richtung die geplante Reform gehen soll.  

Es gäbe genug zu tun für eine Regierung, die wirklich vorhat, die Arbeitsbedingungen zu verbessern und dafür zu sorgen, „dass Schaffe sech lount“. Umso unverständlicher ist es, dass Frieden sich dazu entschlossen hat, den Posten des Arbeitsministers mit Georges Mischo an eine Person zu vergeben, die keinerlei Erfahrung in diesem Bereich aufzeigen kann und im Wahlkampf vor allem mit Wissenslücken glänzte. Es sei daran erinnert, dass Mischo während eines vom Tageblatt organisierten Rundtischgespräches für Heiterkeit sorgte – zuerst mit der originellen Forderung, der soziale Mindestlohn solle an die Inflation angepasst werden, und danach durch seine Verwunderung darüber, dass er dafür kritisiert wurde. Fairerweise sollte an dieser Stelle erwähnt werden, dass Mischo nichts anderes getan hat, als das Wahlprogramm seiner Partei zu zitieren: „Die CSV wird den Sozialen Mindestlohn regelmäßig an die Inflation anpassen. Arbeit muss sich lohnen und rechnen.“5)  

Widersprüchliches Koalitionsabkommen

Nicht nur der neue Arbeitsminister, sondern seine gesamte Partei haben demnach nicht mitbekommen, dass der Index-Mechanismus trotz mehrerer Attacken bisher noch immer besteht und dass daher alle Löhne, demnach auch der Mindestlohn, automatisch an die Inflation angepasst werden. Die Frage ist, wie lange das noch gilt, und ob die CSV vielleicht bereits einer zukünftigen Manipulation des Index-Mechanismus vorgreifen wollte. Das Koalitionsabkommen ist in dieser Hinsicht nämlich sehr widersprüchlich. Auf der einen Seite soll das aktuelle System beibehalten werden, auf der anderen soll jedes Mal eine Tripartite einberufen werden, wenn mehrere Indextranchen innerhalb eines Jahres erfallen. Die nächsten Attacken gegen den Index schweben also bereits in der Luft – und nicht nur diese. 

So wollen die Regierungsparteien erneut eine Debatte über die Zukunft des Pensionssystems führen und man kann schon ahnen, in welche Richtung eine solche steuern wird. Durch die letzte Rentenreform im Jahr 2012 haben Arbeitnehmer junger Generationen im Durchschnitt mehr als 314.000 Euro Verlust erlitten.6) 

Ebenso riskiert die geplante Flexibilisierung der Arbeitszeiten zu weiteren Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen zu führen. Mit einer Ausweitung der Sonntagsarbeit würde die Koalition eine rote Linie nicht nur der Gewerkschaften, sondern auch des früheren CSV-Premiers Juncker überschreiten. 2008 erklärte dieser: „Ech wëll hei ganz däitlech soen: Et gëtt keng weider Extensioun vun der Sonndesaarbecht. […] Et wäert net geschéien, jiddwerfalls net esou laang ewéi ech hei am Land eppes ze soen hunn. […] Mir solle Rücksicht huelen op déi Salariéëen, déi Famill a Kanner hunn, op déi Leit, déi an de Veräiner aktiv sinn, op déi Leit, déi de Sonndeg brauchen, fir duerchzeotmen. […] Ech wëll keng Gesellschaft, wou déi eng mat hiren Enkele Sonndes akafe ginn, an d’Kanner vun den Elteren, déi schaffe mussen, eleng doheem sëtzen. Ech wëll dat net. Et kënnt zu kenger weiderer Ausweidung vun der Sonndesaarbecht. Bal hat ech et gesot: ‚basta‘.“7)

Die Eckdaten des neoliberalen Koalitionsabkommens geben demnach zurzeit kaum Hoffnung auf eine fortschrittliche Arbeitspolitik und noch weniger auf eine Bekämpfung der Armut und der sozialen Ungleichheiten. Eine Senkung der Gewerbesteuer, keine Mehrbesteuerung des Kapitals und eine Weigerung, über die Einführung einer Vermögens- und einer Erbschaftssteuer auch nur zu diskutieren – diese Vorhaben zeigen, dass es der Koalition in erster Linie nicht um eine Unterstützung der arbeitenden Mehrheit geht, sondern eher um weitere Geschenke an eine besitzende Minderheit. 

Meinte Frieden es ernst mit seinem Versprechen, „dass Schaffe sech lount“, dann wären mehr Zugeständnisse nötig, als bloß das Niveau des Revis unterhalb des Mindestlohns zu halten. Viel wichtiger scheint ihm und seiner Regierung zu sein, „dass Besëtz sech lount“. 


Carole Thoma ist Co-Sprecherin von „déi Lénk“ und Mitglied der Arbeitnehmerkammer CSL
Carole Thoma ist Co-Sprecherin von „déi Lénk“ und Mitglied der Arbeitnehmerkammer CSL Foto: Editpress/Julien Garroy

1) IGSS: Evaluation quantitative du revenu d’inclusion sociale (Revis): 2019-2021; Frédéric Berger; Mai 2023; S. 11

2) Panorama social 2023; Chambre des salariés; April 2023; S. 109

3) Portrait de la population au salaire minimum; Chambre des salariés; Oktober 2023; S. 90

4) ebenda

5) Zäit fir eng nei Politik. CSV-Programm fir d’Chamberwalen 2023; S. 13

6) La réforme des retraites de 2012 finira-t-elle par coûter au moins 314.000 euros à un salarié moyen? EcoNews N°6-2023; CSL; mai 2023

7) Déclaration de politique générale sur l’état de la Nation; 22.5.2008

Romain
27. November 2023 - 10.19

Weniger soziale Unterstützung. In der heutigen Zeit sind viele gewohnt dass der Staat vieles bezahlen soll. Von Arbeitslosengeld zu Kaufprämien ……

JJ
24. November 2023 - 8.48

Dass Arbeit"sich lohnen" sollte sehe ich jeden Tag in Frankreich.Da fährt in aller Frühe ein 16-Jähriger mit dem Motorrad bei Wind und Wetter zur "Lehre" in eine Bäckerei während die 30-Jährigen "Nichtstuer" ihre Arbeitslosenunterstützung im Café du coin versaufen und dem Jungen höhnisch zuwinken. DAS darf nicht sein,oder?