Die Überprüfung der Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien in den EU-Staaten geht auf die Regelverstöße der sukzessiven ungarischen Regierungen unter Viktor Orban zurück, der seit seinem ersten Regierungsamt im Jahr 2010 sowohl den Rechtsstaat als auch die Demokratie im Land systematisch unterminiert und ein latent autokratisches Regime in Ungarn zu installieren versucht, einen „illiberalen Staat“, wie er einst in einer Rede 2014 erklärte. Da sich die EU-Kommission auf Dauer jedoch nicht allein auf Ungarn fokussieren konnte, werden seit nunmehr sechs Jahren alle 27 EU-Staaten einer rechtsstaatlichen Überprüfung unterzogen.
Gerade in Zeiten politischer Polarisierung, in denen der Druck auf demokratische Institutionen steigt und wachsende externe Drohungen bestehen, scheint dies angebracht, wie Henna Virkkunen meinte. Die in Bezug auf den diesjährigen Bericht von „positiven Trends in vielen Mitgliedstaaten“ sprach. Es gebe Fortschritte bei der Unabhängigkeit der Justiz, dem Kampf gegen Korruption sowie der Medienfreiheit. Doch es gebe auch Schwachstellen, etwa beim Schutz von Journalisten und der Fairness der Justizsysteme. In allen Mitgliedstaaten blieben noch Fortschritte zu machen, betonte die EU-Vizekommissionspräsidentin.
Im diesjährigen Bericht sei zudem Bezug auf den Binnenmarkt genommen worden. Unternehmen müssten sich auf einen funktionierenden Rechtsstaat verlassen können, führte Henna Virkkunen aus, etwa wenn es um Rechtssicherheit, sowie eine faire Umsetzung der Regeln und Gesetze gehe. Insofern wirkt sich die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien auch auf die Wirtschaft aus.
Keine Rangfolge der EU-Staaten festgelegt
Im Bericht gebe es kein Ranking, das eine Rangfolge der EU-Staaten ausweise, sagte der EU-Justizkommissar Michael McGrath. Es sei eine qualitativ und keine quantitative Analyse. Die Mitgliedstaaten sollte den Rechtsstaatsbericht als Arbeitsdokument betrachten und die darin enthaltenen Empfehlungen abarbeiten, was zu „positiven Änderungen“ in den Mitgliedstaaten führen könnte, so der Ire.
Von den im vorigen Jahr gemachten Empfehlungen seien 57 Prozent entweder ganz oder teilweise von den EU-Staaten umgesetzt worden, sagte Henna Virkkunen. Im Vorjahr waren es allerdings noch 68 Prozent. In Bezug auf Ungarn „haben wir ernste Bedenken“, fuhr die Finnin fort. In acht Bereichen habe die EU-Kommission der Regierung in Budapest Empfehlungen gegeben, „aber nur in einem Bereich sehen wir positive Entwicklungen“. „Es steht uns viel Arbeit mit Ungarn bevor“, so die EU-Kommissarin. Zudem seien eine Reihe von Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) anhängig. Es gehe um das Justizsystem, Korruptionsbekämpfung, Medienfreiheit, sowie die Gewaltenteilung zwischen den Institutionen.
Einige Empfehlungen an Luxemburg
Der EU-Justizkommissar wurde deutlicher: Es sei „zutiefst enttäuschend“, dass es im Vergleich zum vergangenen Jahr keine Fortschritte in Ungarn gegeben habe. Er sehe keine Bewegung, so Michael McGrath. Im Gegenteil, die Situation für zivilgesellschaftliche Organisationen habe sich verschlechtert, rechtliche Unsicherheit habe zugenommen. Selbst in den vergangenen Wochen habe sich das mit dem Verbot der Pride-Parade in Budapest gezeigt. McGrath setzt dennoch weiter auf Dialog, machte allerdings klar, dass sollte der nicht fruchten, die EU-Kommission ihren „Instrumentenkasten“ öffnen werde. Was im Falle Ungarns nicht das erste Mal wäre. Denn weiterhin werden dem Land im Rahmen des sogenannten Rechtsstaatsmechanismus 18 Milliarden Euro an EU-Geldern nicht ausgezahlt, da die Regierung in Budapest in bestimmten Bereichen die Regeln nicht einhält.
Für Luxemburg hält die EU-Kommission zwei Empfehlungen bereit. Zum einen sollte das Land die vollständige Digitalisierung von Zivil-, Straf- und Verwaltungsverfahren vorantreiben. Auch wenn gewisse Fortschritte in diesem Bereich ebenfalls von Brüssel anerkannt werden. Zum anderen müsste die Reform über die Offenlegung und den Zugang zu amtlichen Dokumenten im Einklang mit europäischen Standards abgeschlossen werden. Vollständig umgesetzt hat Luxemburg eine Empfehlung, mit der die Transparenz und die Einbindung der Interessenträger in die öffentlichen Konsultationen im Rahmen der parlamentarischen Gesetzgebung erhöht wurden.
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