Musik gegen Diskriminierung„Et ass e granzege Song vu fënnef granzege Leit, déi es sat sinn“

Musik gegen Diskriminierung / „Et ass e granzege Song vu fënnef granzege Leit, déi es sat sinn“
Bereits vor dem Release ihrer neuen Single „Defcon One“ hat Blanket Hill durch den Verkauf von T-Shirts Spenden für die amerikanische Bewegung „Black Lives Matter“ gesammelt Foto: Yannick Schröger

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Es brodelt in der Luxemburger Musikszene: Blanket Hill hat ihre neue Single „Defcon One“ veröffentlicht. Ein Song gegen Diskriminierung von einer Hardcore-Band, die sich selbst und andere an den Ohren zieht und mit Diskriminierung jeglicher Art aufräumen will. In der Welt von Sänger David Masion und seinen Bandkollegen ist kein Platz für Hass gegenüber Fremdem. Der junge Musiker will in einem Land leben, in dem jeder respektiert wird. „Mir wëlle bleiwen, wat mir sinn“ mal anders, statt Lobeshymnen an „Kachkéis“ und den kleingeistigen „Lëtzeboia mit A hinten“ gibt es bei den fünf Hardcore-Jungs strenge Töne aufs Ohr.

„This is Defcon One“ – die höchste Alarmstufe beim amerikanischen Militär, dann „wenn Atombomben fallen“ und das Ende der Zeit, wie wir sie kennen, naht. Was David Masion beschreibt, ist nicht etwa der Beginn des nächsten Weltkrieges, sondern der Titel der neuesten Single seiner Band, die mitsamt Video am vergangenen Freitag releast wurde. Das Grundgerüst für den Song von Blanket Hill stand bereits vor zwei Jahren, damals performte die Luxemburger Hardcore-Band diesen auf ihrer letzten Tour. Während der Quarantäne wurden Lyrics und Melodie nochmals neu aufbereitet. Das Thema des Lieds ist aktueller denn je. „Wir haben vom Lockdown profitiert, um den Song zu mixen, denn auf einmal wurde der nächste Schwarze in den USA von der Polizei getötet und alles passte wie die Faust aufs Auge“, sagt der Vocalist der Band.

Es ist der Ausdruck von Wut, tiefer Trauer, aber auch von Hoffnung, der sich durch die Textzeilen von „Defcon One“ zieht wie ein roter Faden. Was beim ersten Hören noch eher subtil bleibt, wird spätestens beim Lesen des Songtextes und den gewollten Hinweisen im Musikclip glasklar: Die Luxemburger Musiker machen sich gegen Rassismus stark und prangern all jene an, die Hass schüren und Minderheiten unterdrücken. „Die ersten vier Zeilen sind ein kleiner Stoß gegen Trump, der einzäunen will, und der Verweis auf die vielen Menschen, die in Freiheit leben wollen beziehungsweise überhaupt leben wollen“, erklärt David. Bei seinen Texten ist der Singer-Songwriter pedantisch, denn er hat eine Abneigung gegen „abgedroschene Phrasen“. „Je öfter man etwas sagt, desto leerer wird es“, meint der 25-Jährige.

Der Funke des Idealisten

Als Masterstudent der englischen Literatur ist David nicht nur der Sprache seiner Wahl mächtig, sondern kennt auch die nötigen Metaphern und Redewendungen, um die Botschaft der Band gekonnt zu verpacken. „Wir hätten auch singen können, ‚Hört auf, Schwarze umzubringen‘, aber das wäre zu plakativ“, meint David. Der Song soll sich nicht nur auf Rassismus fokussieren, sondern Platz lassen für Interpretation. Bei der Wahl der inhaltlichen Ausrichtung von „Defcon One“ spielten mehrere Faktoren eine Rolle: „Eines unserer Bandmitglieder hat afroamerikanische Wurzeln und ein anderes ist bisexuell. Zu den Dingen, die man in Büchern liest und nicht gut findet, kommt also noch eine emotionale Komponente hinzu, da zwei aus unserer Gruppe zu Minoritäten gehören, für die es gerade nicht die schönste Zeit ist.“

Für David sind Rassismus, Sexismus oder Homophobie Undinge, die in einer modernen Gesellschaft keinen Platz mehr haben dürften. „Ich weiß nicht, ob es nur eine individuelle Wahrnehmung ist oder ob dies effektiv nachweisbar ist, aber ich finde das Klima in der Welt im Moment extrem traurig und es macht mich wütend. Unser Planet hat eigentlich andere Probleme, die wir als Kollektiv angehen müssten. Solche Strömungen stehen in meinen Augen im extremen Kontrast zu dem entwickelten Bild, das wir von uns nach außen geben wollen“, so der 25-Jährige. Der Song ist ein Sprachrohr, um diese Frustration zu kanalisieren, aber auch eine Botschaft der Hoffnung. „Auf der einen Seite können wir uns damit den ganzen Mist vom Leib schreien, auf der anderen Seite sagen wir aber auch, dass es viele Menschen gibt, die sich dafür einsetzen, dass Missstände reduziert werden.“ Der Funke des Idealisten, der sich vom Hass anderer nicht unterkriegen lässt.  

Ein Bewusstsein für Privilegiertheit

Andere zu respektieren und Diversität zu schätzen, lernte der Frontmann der Band dabei schon in Kindertagen. „Ich habe früher in Gasperich gewohnt und hatte Menschen jeglicher Herkunft in meiner Klasse. Man konnte stets bei irgendwem Zuhause essen und Neues kosten, was ich schon damals extrem cool fand und genossen habe“, erinnert sich der 25-Jährige. Und auch die Musik, die David von klein auf hörte, war gekennzeichnet von Vielfalt und ganz und gar nicht „rein weiß“. „Ich bin mit den Songs afroamerikanischer Sänger aufgewachsen, mein Vater hörte viel alten Rock und ich mochte schon immer Blues und Hip-Hop. Die erste CD, die ich mir selbst gekauft habe, war von 50 Cent. Damals hat man all diese Stars auf Bravo-Postern gesehen, das war für mich das Allergrößte. Hautfarbe habe ich deswegen nie als negativ empfunden.“

Ich will, dass wir weiterhin ein offenes Land bleiben mit kulturellem Austausch. Das steht bei mir höher auf der Skala als ,Kachkéis‘ und ,Fiederwäissen‘, auch wenn ich nichts gegen Letzteres habe.

David Masion, Sänger von Blanket Hill

Je älter David wurde, desto mehr beschäftigte er sich mit Dingen wie Politik und Geschichte – seinem Nebenfach an der Uni – und musste schnell feststellen, dass seine offene Erziehung jedoch nicht jedem zuteilwird. „In meiner Bachelorarbeit habe ich zu Songtexten recherchiert und zu dem, was oftmals darin verpackt wird. Es gab dabei häufig einen roten Faden, der nicht auf das ein oder andere Genre beschränkt war.“ Blues-Lyrics über die Behandlung Schwarzer in einer von Weißen dominierten Gesellschaft, neu interpretierte Sklavenlieder in modernen Musikstücken – all dies ließ David sich seiner Privilegiertheit bewusst werden. „Als junger weißer Typ sind diese Dinge ganz weit entfernt, aber in Gesprächen mit unseren beiden Bandmitgliedern über Reiseeinschränkungen und Anfeindungen aufgrund von Hautfarbe oder Sexualität wurde mir klar, dass ich mich in viele Situationen überhaupt nicht hineinversetzen kann, weil ich nicht davon betroffen bin.“

Musik gegen Ungerechtigkeit

Persönlich betroffen fühlt sich der Student beim Thema Diskriminierung hingegen deutlich – eine Einstellung, die ebenfalls seine Bandkollegen teilen. Beim Durchscrollen der Facebook-Seite von Blanket Hill wird schnell klar, dass die Hardcore-Musiker mehr zu sagen haben als nur Songlines, die „catchy“ sind und vom Publikum blind mitgegrölt werden können. „Ich finde die ganze ‚shut up and play‘-Devise problematisch. Natürlich muss nicht jeder Song jeder Band sozialkritisch sein, aber Musik kann definitiv als Transportmittel fungieren, um Menschen etwas nahezubringen. Und Leute, die sagen, Musik sei nicht politisch, die haben erstens noch nie etwas von Bob Dylan gehört und zweitens einfach überhaupt nichts verstanden“, so der Sänger. Als Band wolle Blanket Hill ihre Plattform nutzen, um auf Probleme innerhalb der Gesellschaft hinzuweisen – und dies sowohl auf als auch neben der Bühne. „Wir sind zwar nicht Metallica, aber ich finde, jeder sollte die ihm gegebenen Mittel ausschöpfen, um Einfluss auf das soziale Bild zu nehmen, egal wie klein oder groß dieser sein mag.“

Vor der Veröffentlichung ihrer Single hat die Gruppe deshalb bereits mit dem Verkauf von T-Shirts Spenden für die „Black Lives Matter“-Bewegung gesammelt. „Es sind zwar ‚nur‘ 460 Dollar zusammengekommen, aber, wie meine Großmutter immer zu sagen pflegte: Jeder Cent, den man auf der Straße findet, ist der Anfang einer Million“, so David. Die Shirts mit dem Aufdruck „a system cannot fail those it was never designed to protect“ – eine der Textzeilen von „Defcon One“ – spiegeln die Problematik wider, die die Bandmitglieder in westlichen Gesellschaften sehen. „Es wird weniger Luxemburg angesprochen als Amerika, ein Land dessen Verfassung zu einer Zeit geschrieben wurde, in der besonders Afroamerikaner und arme Bürger nicht berücksichtigt wurden und in dessen System heute noch Minoritäten ausgegrenzt werden und nicht an Entscheidungsprozessen teilnehmen dürfen.“

Die richtige Art von Nationalstolz

Doch auch hierzulande erkennt David die Wölfe im Schafspelz, die ihre Fremdenfeindlichkeit zwar deutlich weniger prägnant ausleben, als dies in anderen Ländern der Fall ist und dennoch Unbehagen bei ihren Mitbürgern schüren. Vor allem der Luxemburger Nationalspruch „Mir wëlle bleiwen, wat mir sinn“ ist in den Augen des 25-Jährigen ein zweischneidiges Schwert: „Patriotismus und Nationalismus können schnell in etwas anderes abrutschen. Ich bin auch stolz, Luxemburger zu sein, aber ich glaube, ich verbinde damit etwas anderes als manch anderer. Ich will, dass wir weiterhin ein offenes Land bleiben mit kulturellem Austausch. Das steht bei mir höher auf der Skala als ,Kachkéis‘ und ,Fiederwäissen‘, auch wenn ich nichts gegen Letzteres habe.“ Studien, wie die rezenteste zu dem Empfinden schwarzer Mitbürger, auch hierzulande bereits Rassismus erlebt zu haben, sind für David deswegen ein Warnzeichen, das es ernst zu nehmen gilt. „Warum wollen wir uns und unsere Gesellschaft nicht verbessern? Für mich ist dies paradox: Wir sind komplett zufrieden damit, tun allerdings nichts dafür, etwas zu haben, auf das wir stolz sein können.“

Der Leadsänger von Blanket Hill ist im multikulturellen Gasperich aufgewachsen und weiß die Diversität Luxemburgs zu schätzen
Der Leadsänger von Blanket Hill ist im multikulturellen Gasperich aufgewachsen und weiß die Diversität Luxemburgs zu schätzen Foto: Niclas Breves

Vor allem Aussagen wie jene, dass niemand mehr Luxemburgisch spricht, bringen den Sänger in Rage: „Es wurde noch nie so viel Luxemburgisch gesprochen wie heute, und das ist statistisch nachweisbar. Dieses ganze Kastendenken ist wie Fußballdenken – das ist mein Team und das sind die Gegner, aber so läuft das in einer Gesellschaft nun mal nicht.“ Man müsse den Dialog suchen und jenen Gehör schenken, die aus Existenzängsten heraus mit dem Finger auf alles andere und Fremde zeigen, so David: „Das Problem von Linken ist oft, dass sie jeden mit anderer Meinung sofort abtun, aber viele haben einen Grund, weshalb sie hasserfüllt sind und in meinen Augen ist Kommunikation deshalb ein gutes Mittel, dies zu klären.“

Eigenverantwortung übernehmen

Dennoch hegt der Musiker für Rassisten und Co. keine freundlichen Gefühle. Vor allem der „Typ Lëtzeboia mit A hinten“, der in den sozialen Netzwerken seine fremdenfeindliche Meinung kundtut, ist David ein Dorn im Auge: „Unser Song enthält die französischen Sätze ‚la survie du rêve‘ – eine Anspielung auf Martin Luther King – und ‚marche ou crève‘, was zwar definitiv kein Aufruf zur Gewalt sein soll, aber manchmal kommt man einfach an einen Punkt, an dem du entweder mit uns am selben Strang ziehst oder gegen unsere Sache bist, und dann knallt es.“ Gerade bei den Themen Rassismus und Sexismus, die tief in den Einstellungen mancher verankert sind, hört für den Sänger und seine Band der Spaß auf. „Et ass e granzege Song vu fënnef granzege Leit, déi es sat sinn“, sagt David bestimmt.

Im Text werden Anspielungen auf die Geschehnisse der letzten Jahre gemacht, etwa das Foto des ertrunkenen syrischen Jungen, dessen lebloser Körper an der türkischen Küste angeschwemmt wurde und das international für Furore sorgte. „Wie viel mehr kann man geben, um einer Situation zu entfliehen? Er hat seine Freiheit mit seinem Leben bezahlt und wenn man solche Szenen sieht, kann ich nicht verstehen, dass man nicht handeln will.“ Den Appell nach Taten besiegelt der Chorus von „Defcon One“, wie David präzisiert: „Wenn wir so weitermachen wie bisher, mit unserer gespaltenen Gesellschaft, dann wird das die Hölle.“ Sich selber aus der Gleichung herausziehen, will die Band jedoch nicht: „Wir tragen alle dazu bei, unser eigenes Grab zu schaufeln. Ich sitze auch hier und rege mich über die Welt auf, habe aber sicher irgendwo im Zimmer etwas stehen, das von Kindern produziert wurde.“

Durch den Hintergrund zwei ihrer Bandmitglieder ist auch Blanket Hill schon in den „Genuss“ von Rassismus und Homophobie gekommen und will sich deswegen gegen Diskriminierung jeglicher Art einsetzen
Durch den Hintergrund zwei ihrer Bandmitglieder ist auch Blanket Hill schon in den „Genuss“ von Rassismus und Homophobie gekommen und will sich deswegen gegen Diskriminierung jeglicher Art einsetzen Foto: Jonah Bache

Kaepernick, King und Co.

Eine Prise Selbstreflexion, ein Löffel Hinterfragen der eigenen Person, eine Messerspitze positiven Ausblicks auf die Zukunft – all dies sieht David als Zutaten, die die soziale Suppe vor dem kompletten Versalzen retten können. Den ersten Schritt in die richtige Richtung hat Blanket Hill mit der Release ihrer Single getan. Im dreieinhalb-minütigen Video setzt die Band deswegen nochmal das Tüpfelchen aufs I und unterstreicht ihre Worte mit visuellen Reizen. „Ich trage im Clip ein Trikot des US-amerikanischen American-Football-Spielers Colin Kaepernick, der die Proteste gegen Rassismus in der National Football League anstiftete. Wer genau hinschaut, sieht auch manchmal meine Kappe mit dem Slogan ‚move on over or we’ll move on over you‘ der Black-Panther-Bewegung“, verrät der 25-Jährige.

Als weißer Luxemburger ist dem Musiker seine Verantwortung in der Debatte bewusst, deshalb wollen er und seine Bandkollegen auch keine Chance verpassen, lautstark auf diese hinzuweisen: „Ich finde Rassismus ist durchaus ein weißes Problem, vor allem da viele Dinge systemischer Natur aktuell nur für Weiße zugänglich sind.“ Und genau diesen Zugang will Blanket Hill nutzen, denn wie die Intro des Videoclips von „Defcon One“ es bereits mithilfe eines Ausschnitts von Martin Luther Kings „I have a dream“-Rede andeutet, haben die fünf Luxemburger einen Traum: „Das Allerschönste wäre, dass wenn in 30 Jahren jemand unsere CD auf einem Flohmarkt kauft, dieser Jemand dann keine Verbindung mehr zu den darin angesprochenen Themen hat, weil es die Probleme nicht mehr gibt. Sich das zu wünschen, ist aber wahrscheinlich leider ziemlich utopisch.“

Die Lyrics von „Defcon One“

Dreams of life and freedom surrounded by fences
Imagination; survivor of the senses
Death by disorder, affluence fakes impotence
Ignored influence, death of innocence
Life: the price to be free
When children gift their last breath to the sea
A future infernal
Imperative reversal
The end to be undone
This is Defcon One
Barrel, bullet, chamber, trigger
Every man a grave digger
Greed; the world’s heathen
Await your six feet of freedom
La survie du rêve
Marche ou crève
As told by feigned prophets
Split wigs to turn profits
The pain of orchestrated neglect
A system cannot fail those it was never designed to protect
And yet, the spark of the idealist
Refusing to bow to a defeatist

Gast Blaat
21. Juli 2020 - 23.32

Trauregt Bild , trauregen Artikel. Deem et nët hei gefällt muss nët hei bleiwen , oder ? Bon voyage dir Hãren, by by for ever.........