Mittwoch5. November 2025

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Interview zur Lage in Nahost„Es gab Zeiten, wo wir hautnah dran waren“: Jean Asselborn über alte Bemühungen um eine Zweistaatenlösung und neue Gewalt in Gaza

Interview zur Lage in Nahost / „Es gab Zeiten, wo wir hautnah dran waren“: Jean Asselborn über alte Bemühungen um eine Zweistaatenlösung und neue Gewalt in Gaza
Frankreich hat angekündigt, bei der UN-Generalversammlung im September den palästinensischen Staat anzuerkennen. Foto: AFP

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19 Jahre lang war Jean Asselborn Außenminister Luxemburgs. Wie kaum ein Zweiter in Europa setzte er sich in dieser Zeit für die Anerkennung eines palästinensischen Staates und eine Zweistaatenlösung ein. Letztere scheint heute in weite Ferne gerückt zu sein. Ein Gespräch über knapp verpasste Chancen, kapitale Fehler und europäische Ohnmacht im Nahostkonflikt.

Tageblatt: Die Anerkennung eines palästinensischen Staates war ein politisches Herzensthema während Ihrer Zeit als Außenminister. Unter der Führung von Frankreichs Präsident Macron scheint nun eine neue Dynamik in die Sache zu kommen. Wie blicken Sie auf diese Entwicklung?

Von 2004 bis 2023 war Jean Asselborn luxemburgischer Außenminister
Von 2004 bis 2023 war Jean Asselborn luxemburgischer Außenminister Foto: Saarländischer Rundfunk

Jean Asselborn: Man muss vorne anfangen. Als der israelische Staat gegründet wurde, war der Plan, aus dem britischen Mandatsgebiet Palästina zwei Staaten zu machen. Israel, da soll man keinen Millimeter mehr daran wackeln, und ein Staat für die Araber. Das kam nicht zustande, weil in diesem Moment die Araber nicht einverstanden waren. Es folgten Krieg, Flucht, Vertreibung. Da hängt die Welt seit 1948. Auch nach dem 7. Oktober 2023 waren sich beinahe ganz Europa und die USA einig: Die einzige Lösung ist eine dauerhafte Zweistaatenlösung. Ich erinnere mich an ein Treffen in Annapolis, 2007. Damals war George W. Bush Präsident der USA, Condoleezza Rice Außenministerin. Ehud Olmert war Ministerpräsident von Israel und Tzipi Livni war Außenministerin. Da waren wir sehr, sehr nahe dran. Das verstehe ich bis heute nicht, dass wir das einfach nicht fertiggebracht haben. 2014 probierte es der damalige US-Außenminister Kerry noch einmal, aber die Sache scheiterte. Das war das Ende der Fahnenstange. Von 2014 bis 2023 haben wir in der Europäischen Union das Thema nicht mehr besprochen. Das war tabu. Die allermeisten Länder setzten auf Äquidistanz zwischen Israel und Palästina: Die sollen das selbst lösen, wir haben nichts damit zu tun. Aber das war ein kapitaler Fehler. Jetzt sind wir in einer Situation, um es kurz zu machen, in der Macron eine richtige, eine entscheidende Initiative ergriffen hat. Allerdings sage ich direkt, dass wir das auch hätten früher machen können, als die Spanier und die Norweger schon anerkannt haben.

Die Anerkennung Palästinas bringt den Menschen in Gaza kein Brot. Aber langfristig ist es der richtige Weg.
Während Israel seine Offensive in Gaza-Stadt ausweiten will, stehen Palästinenser dort täglich für Nahrung an
Während Israel seine Offensive in Gaza-Stadt ausweiten will, stehen Palästinenser dort täglich für Nahrung an Foto: AFP

Warum ist Frankreichs Vorstoß so wichtig?

Weil Frankreich im Sicherheitsrat ist. Es gab Länder, die wollten vorgehen, aber dann sind sie wieder gebremst worden. Wir waren zwei, drei Länder in der Europäischen Union. Die Iren, die Slowenen und Luxemburg, meine Wenigkeit, die nicht aufgegeben haben, zu sagen: Wir dürfen das nicht einfach so laufen lassen. Aber es war keine Chance, bei keinem von den größeren Ländern. Das ist der kapitale Fehler, der Europa angekreidet werden muss. Jetzt sind wir in einer Phase, wo man klar sehen muss, dass Anerkennung kein Brot für die Menschen in Gaza bringt. Aber langfristig ist es der richtige Weg. Genau jetzt ist es der richtige Weg.

Warum?

Weil wir in der Welt wissen müssen, dass es eine Anerkennung geben muss für den zweiten Staat in diesem britischen Mandatsgebiet, also auch für Palästina. Die Israelis müssen in Sicherheit leben können dürfen. Aber Israel ist nicht alles, was früher das britische Mandat war, der andere Teil ist Palästina. Solange die Palästinenser nicht in ihrem eigenen Staat in Würde leben können, wird Israel keine Ruhe haben. Ich habe viele Israelis getroffen in meiner aktiven Zeit, die selbstverständlich auch das geteilt haben. Heute muss man sich fragen: Die Regierung von Netanjahu ist im Land sehr umstritten. Aber dabei geht es hauptsächlich um die Freilassung der Geiseln, nicht um die Rechte der Palästinenser.

Ein Bild der Zerstörung: Menschen bewegen sich in den Ruinen einer Nachbarschaft in Gaza-Stadt
Ein Bild der Zerstörung: Menschen bewegen sich in den Ruinen einer Nachbarschaft in Gaza-Stadt Foto: AFP

Wie beurteilen Sie den deutschen Kurswechsel bei den Waffenlieferungen an Israel in diesem Zusammenhang?

Ich hoffe wirklich, dass ein Umdenken kommt in Deutschland. Man muss die besondere Situation verstehen. Was Merkel damals in der Knesset gesagt hat: Israels Sicherheit ist Teil der Staatsräson. Verstehe ich absolut. Ist auch richtig. Aber es ist Israel. Es ist nicht Netanjahu. Es ist der Staat Israel, der Staatsräson sein muss, nicht die Politik von Netanjahu und dieser rechtsextremen Regierung. Es ist ein kleiner Anfang von Merz, aber es ist ein richtiger Anfang, dass man sich Gedanken macht über die Waffenlieferungen nach Israel. Das finde ich einen positiven Punkt von Merz. Das ist ein Anfang, dass auch nachgedacht wird in Deutschland, in dem Land, das natürlich die Last der Geschichte auf sich hat. Aber man kann nicht immer von der Last der Geschichte reden, wenn es um die Rechte des palästinensischen Volkes geht, und das einfach hintanstellen. So wie die israelischen Menschen das Recht haben, in ihrem Land zu leben, haben die Palästinenser auch das Recht, in ihrem Land zu leben.

Kritiker der Anerkennung sagen, dass sie zum aktuellen Zeitpunkt eine Belohnung für den Terror der Hamas darstellen würde.

Die Hamas ist da, seit 2007 kontrolliert sie Gaza. Das ist ein Faktum, das wir sogar auch in der Europäischen Union tolerieren mussten. Das ist natürlich das Problem der Spaltung der Palästinenser, einerseits in die Fatah und andererseits eben in die Hamas. Aber vergessen Sie nicht, dass Netanjahu mit Schläue immer die Hamas benutzt hat, zum Beispiel bei der Befreiung von Gefangenen. Er hat nie mit der Fatah, mit der palästinensischen Autonomiebehörde verhandelt, sondern immer mit der Hamas. Das hat er ganz bewusst und ganz schlau gemacht aus seiner Sicht, eben nicht mit der gewählten Autorität zu verhandeln. Aber das gehört auch zu Netanjahu. Netanjahu muss Krieg haben, um sich nicht wegen Korruptionsvorwürfen verantworten zu müssen. Das ist leider die Realität. Und das kostet einen hohen Preis in Zehntausenden Toten in Gaza, aber auch Soldaten.

Das Vermächtnis von Netanjahu ist, dass er in den letzten 20 Jahren nichts anderes im Kopf hatte, als eine Zweistaatenlösung zu verhindern

Bei der erneuten Ausweitung des Krieges im Gaza-Streifen wurde die vollständige Zerstörung der Hamas als Kriegsziel genannt. Ist das überhaupt möglich?

Hamas ist eine Philosophie und die Fäden werden auch gezogen in anderen Ländern, nicht nur in Katar, auch in anderen Ländern. Die Generäle in Israel sagen, dass die Ziele in Gaza erreicht sind und mehr als erreicht sind, dass man keine weiteren Ziele noch erreichen kann, allein mit militärischer Gewalt.

Sie haben Netanjahu auch persönlich getroffen. Wie schätzen Sie ihn als Person ein? Was treibt ihn an?

2015 besuchte der damalige Außenminister Asselborn zum ersten Mal den israelischen Regierungschef Netanjahu
2015 besuchte der damalige Außenminister Asselborn zum ersten Mal den israelischen Regierungschef Netanjahu Foto: SIP/MAEE

Wissen Sie, als ich bei Netanjahu war, da hat er mir anderthalb Stunden lang erzählt, wie viele Freunde er in der arabischen Welt hat. Vor allem auch in den Golfstaaten – was ja auch richtig ist, das hat sich ja herausgestellt. Das Vermächtnis von Netanjahu – und ich glaube, da liege ich nicht falsch – ist, dass er in den letzten 20 Jahren nichts anderes im Kopf hatte, als eine Zweistaatenlösung zu verhindern. Das ist sein Ziel und das bleibt sein Ziel. Ich kann mich an andere Zeiten erinnern. In Israel gab es einen sehr einflussreichen Diplomaten, Saeb Erekat, der ist leider 2020 verstorben. Als ich 2008 bei ihm war, daran erinnere ich mich noch gut, hat er mir in seinem Büro eine Karte gezeigt von Palästina und Israel, wo schon abgemacht war, welche Gebiete getauscht werden sollen: Bestimmte Siedlungen im Westjordanland, die israelisch bleiben sollen. Und Territorien auf israelischer Seite, die die Palästinenser bekommen sollen. Das war alles fertig. Das lag auf dem Tisch. Es gab Zeiten, wo man hautnah dran war, aber man hat es verpasst.

Israel ist eine Demokratie, ganz klar, aber auch eine Demokratie in Israel kann nur leben, wenn es eine Kontrolle gibt, wenn es politische Gegengewichte gibt

Wie schätzen sie die Kräfte der Opposition in Israel aktuell ein?

Die Linke, also die Opposition in Israel, hat sich selbst zerstört. Der Letzte war natürlich der ermordete Ministerpräsident Jitzchak Rabin. Sein Nachfolger Schimon Peres hat später die Seiten gewechselt, um Präsident zu werden. Es gibt heute keine strukturelle Opposition gegen Netanjahu. Israel ist eine Demokratie, ganz klar, aber auch eine Demokratie in Israel kann nur leben, wenn es eine Kontrolle gibt, wenn es politische Gegengewichte gibt. Die hat Netanjahu nicht mehr gehabt. Da ist auch von der Linken in Israel ein kapitaler Fehler gemacht worden.

Provokant gefragt: Ist es nicht egal, was Europa in Sachen Zweistaatenlösung unternimmt, solange die USA mit der Administration Trump an Netanjahus Seite stehen?

Das ist nicht provokant, das ist realitätsnah. Es gab in all den Jahren seit 2014 Außenminister in der Europäischen Union, die gesagt haben: Wir sitzen nicht im Cockpit, das sind die Amerikaner. Also das heißt, man hat sich als Europa selbst ausgeschaltet. Und man hat sich natürlich auch ausgeschaltet als Europa, weil wir keine Einigkeit mehr hatten. Unter dem damaligen US-Präsidenten Obama gab es 2016 eine Resolution im UN-Sicherheitsrat, die sehr positiv war und die von den Amerikanern mitgetragen wurde. Heute haben wir Trump. Und der Einfluss von Netanjahu auf Trump ist sehr groß. Ich müsste mich schwer irren, wenn das nicht so wäre. Das kann sich immer ändern mit Trump, aber er hält die Hand über Netanjahu. Wir Europäer sind da nicht im Spiel, das stimmt leider, ja. Aber das ist auch unsere eigene Schuld.

fraulein smilla
26. August 2025 - 14.53

Vor 1948 lebten noch ueber 900000 Juden in muslemischen Laendern , heute noch wenige Tausende .Die meisten haben diese Laender in denen sie seit ueber 2500 Jahren lebten nicht freiwillig verlassen . Uebrigens die am meisten diskriminierte Minderheit in muslimischen Laendern sind die Christen und das interessiert im christlichen Europa anscheinend niemand .

Mire
26. August 2025 - 8.44

Phil
"Die sogenannten arabisch-muslimischen Palästinenser gab es zu dieser Zeit gar nicht." diese Info muss ja aus Israel kommen weil überall sonst was anderes steht.
"eines importierten islamischen Israel- und Judenhasses", die Juden leben in islamischen Ländern besser als in Europa, nur weil die muslimischen Länder gegen den Staat Israel sind heisst das nicht dass die muslimischen Länder gegen Juden sind. Man kann alles schreiben was sich gegen Muslime richtet aber wehe man schreibt was gegen Israel, die werden nicht veröffentlicht, sogar hier

Kantt Luss
23. August 2025 - 18.04

Komisch, nur 12 Staaten haben Taiwan anerkannt, weil das das Risiko einer teuren Retourkutsche Chinas zu offensichtlich wäre, aber mit den Juden kann man es ja tun.

Phil
21. August 2025 - 18.03

Herr Asselborn, sie scheinen wohl die Niederlage gegen ihren Lieblingsberg Mont Ventoux nicht verdaut zu haben. Bleiben sie aber trotzdem dran… rundes Eisen und Gummi scheint ihnen doch wohl besser zu liegen als Papier und Tinte.

Die Legende vom „antiken palästinensischen Volk“ ist in Wirklichkeit nichts weiter als ein politisches Lügengebilde – genährt von woker, grün-linker, durch und durch judenfeindlicher Agitation und nahezu suizidaler Naivität sowie einem erheblichen Restanteil eines althergebrachten, tradierten Antisemitismus in unserer Gesellschaft. Eine ganz besondere Rolle spielt eine nicht nachvollziehbare, geradezu dümmliche Anbiederung an den Islam so wie der seit Jahren hier in selbstzerstörerischer Weise zugelassene Tsunami eines importierten islamischen Israel- und Judenhasses. Noch vor 1948, dem Jahr der Gründung des jüdischen Staates, wurden die dort lebenden Juden als Palästinenser bezeichnet und bezeichneten sich auch selbst so. Die sogenannten arabisch-muslimischen Palästinenser gab es zu dieser Zeit gar nicht. Sie begannen, diesen Begriff erst ab 1964 zu benutzen. Diese Pseudonationalität entstand genau genommen mit der Gründung der PLO und wurde initiiert durch den Terroristen, Judenmörder und bezeichnenderweise auch noch Friedensnobelpreisträger Yassir Arafat. Dieser montierte aus einem Flickenteppich aus unterschiedlichen Ländern zugewanderter Araber den Oberbegriff Palästinenser zusammen. Die Mörderbande aus Gaza, aber auch woke und grün-linke Kräfte im Westen, bauen heute mit großem Nachdruck auf diesem historischen Betrug auf, um den historischen Anspruch auf das jüdische Land des ehemaligen Königreichs Judäa, Galilea und Samaria zu erheben, das ihren muslimischen Vorfahren trotz der brutalen Eroberung durch die Osmanen weder jemals kulturell noch ethnisch gehört hat und zu dem sie keinerlei Bezug hatten.

fraulein smilla
21. August 2025 - 17.42

Es gab ein kurzes Zeitfenster fuer eine zwei Staaten Loesung . Camp David II mit Bill Clinton , Ehud Barak und Jassir Arafat . Arafat hatte zu hoch gepokert und so war das ganze eben gescheitert .Sowieso ist und bleibt ein palaestinenser Staat eine Fata Morgana und fuer uns waere es ein Fass ohne Boden .Will die Mehrheit der Palaestinenser ueberhaupt eine zwei Staaten Loesung , das wuerde ja das Existensrecht Israels implizieren . ?

Reinertz Barriera Manfred
21. August 2025 - 7.32

Der Mann ist nicht mehr im Amt und in seiner Zeit hat er ja auch nichts getan in Sachen Anerkennung von Palästina, was albert er jetzt drum rum, ab aufs Radel und spazieren fahren Politik is aus die Maus..