Erkenntnisse einer Wahl: Das Konsensland Luxemburg braucht eine Reform

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Am Ende ging alles ganz schnell: Während die einen rätseln, was nun eigentlich passiert ist, planen die anderen schon die nächsten fünf Jahre. Doch welche Erkenntnis liefert diese Wahl noch? Der Versuch einer Analyse.

Luxemburg ist ein Land der Mitte und bleibt es auch. Seit der Nachkriegszeit gilt das Großherzogtum als stabiler Staat mit Hang zum Strukturkonservativismus. Das wurde lange an den homogenen Bevölkerungsschichten festgemacht und der Dominanz der christsozialen Partei. Manche sehen darin sogar den Klebstoff, der den Nationalstaat zusammenhält: „Mir wëlle bleiwe, wat mir sinn“.

Doch auch die vergangene Legislaturperiode hat gezeigt, dass diese Gesellschaft dem Typus der Konsensdemokratie weiterhin entspricht. Mit Ausnahme des Referendums gab es fast keine großen Kontroversen. Sogar bei der Trennung von Staat und Kirche gab es wenig Misstöne von der CSV, das Bistum hat die Reform sogar mitgetragen.

Die Wochenzeitung Woxx spricht deshalb von der „ganz großen Koalition“ und belegt diese These auch durch das übereinstimmende Abstimmverhalten der Abgeordneten. Der wenig kontroverse Wahlkampf ist insofern nur die logische Fortführung dieser Politik mit anderen Mitteln. Und das Wahlverhalten der Bürger auch.

Keine Extreme, keine Empörten, keine Demagogen

Denn es sind letztlich keine Extreme, keine Empörten und keine Demagogen nennenswert gestärkt worden. Trotz der Wahlniederlage der CSV bleibt die Mitte in Luxemburg stark. Es gibt lediglich eine Verschiebung in der Parteienlandschaft.

Das wird vor allem bei „déi gréng“ deutlich. Denn sie haben nicht mit urgrünen Themen gepunktet, sondern weil sie ähnlich wie ihre Schwesterpartei in Deutschland noch ein Stück weit zur Mitte gerückt sind. François Bausch hat im Wahlkampf davon gesprochen, dass die Grünen den Anspruch haben, eine „Volkspartei“ zu werden. Auch Félix Braz wiederholte diese Aussage am Samstag im RTL-Background. Die Zeit der linksgrünen Protestpartei von Jupp Weber, Renée Wagner, Robert Garcia – lange passé. Der Streit zwischen Realos und Fundis – längst entschieden. Sogar in einem Leitartikel des Luxemburger Wort heißt es – anerkennend – nach der Wahl: „Die grüne Partei ist die bessere CSV.“

Für die linken Kräfte in Luxemburg ist das jedoch ernüchternd: Die LSAP, die im Wahlkampf wieder ein Stück nach links gerückt ist mit sozialen Themen der Verteilungsgerechtigkeit, liegt im historischen Tief. Und auch „déi Lénk“ kann nicht wirklich von einem Erfolg sprechen. Sie hat ihr Resultat lediglich konsolidiert, liegt knapp über fünf Prozent und hat gar weniger Stimmen erhalten als Sven Clements „Piratepartei“.

Reform der Demokratie

Die Diskussion ist nicht neu: Das Wahlsystem in Luxemburg mit vier Bezirken und 60 Abgeordneten, berechnet nach dem d’Hondt-Verfahren, steht seit Langem in der Kritik. Im November 2014 gab Alex Bodry bei einer Veranstaltung der Fondation Robert Krieps bereits die Antwort, warum die Reform so schnell nicht kommen wird: Die großen Parteien profitieren vom aktuellen System, die kleineren Parteien werden bei der Sitzvergabe benachteiligt.

Und welche Gewalt könnte das System ändern? Die großen Parteien in der Chamber. Eine demokratische Wahlreform scheitert also an den realen Machtverhältnissen im Parlament. Das wird entgegen der Dynamik der gegenwärtigen Diskussion wohl auch diesmal der Fall sein. Denn die CSV, die am meisten vom aktuellen System profitiert, hat schon angekündigt, keine Reform des Wahlsystems mitzutragen. Und ohne CSV geht es nicht: Denn die Aufteilung in vier Bezirke steht in der Verfassung. Für die Änderung der Verfassung braucht es jedoch eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament. Alternativ könnte auch ein Referendum abgehalten werden, um das Volk direkt zu fragen – aber das hatten wir ja bereits … Dennoch drängt sich die Reform geradezu auf. Denn die Bezirke sind letztlich nichts anderes als eine Quote. Eine geografische Quote, die festlegt, wie viele Kandidaten aus einer bestimmten Region Einzug ins Parlament erhalten.

Die ursprüngliche Idee im 19. Jahrhundert war, die Interessen aller Regionen zu berücksichtigen. Doch heute wirkt diese geografische Quote altbacken. Die Interessen von Bürgern aus Junglinster divergieren wohl kaum noch von den Interessen von Bürgern aus Hesperingen. Zudem sind die Sitze unverhältnismäßig auf die Bezirke verteilt. Ein Gegenbeispiel zur Verdeutlichung: Die Distanz zwischen manchen Nachbarn innerhalb einer Ortschaft dürfte je nach Einkommen deutlich höher sein als die Distanz zwischen den Bezirken. Die Interessen einer Angestellten im Handel sind andere als die eines Lehrers im gleichen Bezirk. Und die eines Lehrers sind andere als die eines Notars. Gemäß der Interessenlogik könnte man ja Bezirke nach unterschiedlichen Einkommensstufen festlegen. Bezirk Unterschicht, Bezirk Mittelschicht, Bezirk Oberschicht. Wer das für absurd hält, sollte auch Abstand nehmen von der Einteilung in vier geografische Bezirke.