Türkische Serien„Erdogan ist nicht immer froh, aber sagt nichts, weil wir Geld einbringen“

Türkische Serien / „Erdogan ist nicht immer froh, aber sagt nichts, weil wir Geld einbringen“
Die Schauspielerin Canan Ürekil in der Serie „Dengeler“ Foto: AFP/Ozan Kose

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Im Istanbuler Viertel Tophane wird unter lautem Protest eine Frau von einem Polizisten abgeführt, ihre Hände sind hinter dem Rücken mit Handschellen fixiert. Die Szene wird von Drohnen gefilmt, denn auf der Straße in Tophane wird gerade die Fernsehserie „Dengeler“ gedreht. Sie ist nur eine von rund 60 Serien, die in der Türkei pro Jahr produziert werden. Die türkischen Produktionen sind ein Exportschlager.

In den vergangenen Jahren hat sich die Türkei zum weltweit drittgrößten Serien-Exporteur nach den USA und Großbritannien entwickelt. Die meist in Istanbul gedrehten Produktionen werden in fast 170 Länder verkauft. Ein wichtiger Markt ist Lateinamerika. „Für Lateinamerikaner sind türkische Serien sehr nah an ihrer Kultur“, sagt Erdi Isik, Entwicklungschef bei der Produktionsfirma Ay Yapim, deren Serie „Yargi“ (Familiengeheimnisse) im November mit dem Internationalen Emmy als beste Telenovela ausgezeichnet wurde.

Wenn er Interessenten aus Lateinamerika Ay-Yapim-Produktionen zeige, „verstehen sie, worum es geht, auch wenn sie kein Wort Türkisch verstehen“, schildert Isik. Dass in der Türkei wegen Zensurauflagen in der Regel keine besonders erotischen Szenen gedreht werden, hilft außerdem, die Serien in den Nahen Osten zu verkaufen, ebenso wie in spanischsprachige Länder, wo Familien oft zusammen Seifenopern schauen. Ay Yapim denke „zuerst an den türkischen Markt“, betont Isik. Seine Produktionsfirma wähle allerdings Darsteller aus, „die den internationalen Erwartungen entsprechen können“.

Türkische Serien sind schon seit längerem im Nahen Osten, in Nordafrika und auf dem Balkan beliebt, alles Regionen, in die einst das Osmanische Reich hineinreichte. Doch türkische Historienserien sowie Geschichten über Familienintrigen und unglückliche Liebe sind mittlerweile auf allen Kontinenten zu sehen, sogar in den USA, wo sie bei der großen Hispano-Minderheit ein Publikum gefunden haben.

„Sie werden jetzt zur besten Sendezeit in Spanien, Saudi-Arabien und Ägypten gezeigt“, sagt Xavier Rambert, Forschungs- und Marketing-Chef von Glance, einem Londoner Unternehmen für Einschaltquotenmessungen. Er lobt die „Effizienz“ türkischer Produktionsfirmen. „Ihre Fähigkeit, massenweise Inhalt zu sehr beherrschbaren Kosten anzubieten, ermöglicht es, Programm zu vernünftigen Preisen zu füllen“, analysiert Rambert.

Immer an Original-Drehorten

Laut türkischem Kulturministerium schauen weltweit fast 700 Millionen Menschen türkische Serien. Özlem Özsümbül, Verkaufsleiterin der Serien-Vermarktungsfirma Madd, betont, dass türkische Serien auch qualitativ hochwertig seien. „Wir drehen immer an Original-Drehorten“, sagt sie.

Die Produktionsweise ermöglicht es, schnell auf Vorlieben des Publikums zu reagieren. Jede Folge wird innerhalb einer Woche fertiggestellt. Eine zweistündige Episode kann in sechs Tagen vollständig geschrieben, gedreht und produziert werden, Serienfiguren können kurzfristig rausgeschrieben werden oder einen kleineren Part in der Geschichte bekommen. Nur den größten Schauspiel-Stars wird die Mitwirkung an bis zu 15 Folgen garantiert, sagt Özsümbül.

Die Gründerin des Fachmagazins Episode, Özlem Özdemir, betont, dass die Serien zwar zuallererst für den türkischen Markt produziert werden, sie ohne den Verkauf ins Ausland aber nicht finanzierbar seien. Deswegen werden die Produktionen an den internationalen Markt angepasst.

Ahmet Ziyalar, Mitbegründer der Produktionsfirmen Inter Medya und Inter Yapim, berichtet, bei Inter Medya würden jede Woche zweieinhalb Stunden Material produziert. „Und dann passen wir das für den ausländischen Markt an, damit es mit der Werbung passt.“ Eine Folge von 90 oder 120 Minuten Länge in der Türkei könne beispielsweise für die tägliche Ausstrahlung in Lateinamerika in drei je 45-minütige Folgen umgeschnitten werden.

Mit den Streamingdiensten haben sich die türkischen Serien-Produzenten neue Märkte erschlossen. Für die Internet-Anbieter produzieren sie Serien der „neuen Generation“ mit nur acht bis zwölf Folgen. „Sie sind kürzer, schneller, mutiger und sexyer und kümmern sich weniger um die Zensur“, sagt Ziyalar. So kommt es, dass die Heldin bei „Dengeler“ bei ihrer in Tophane gefilmten Festnahme dem Polizisten pro-kurdische Parolen entgegenschreit.

Die Regierung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan lasse den Serien-Produzenten wegen ihres internationalen Erfolgs gewisse Freiheiten, sagt Ay-Yapim-Manager Isik: „Wir wissen, dass Erdogan nicht immer froh über unsere Inhalte ist, aber er sagt nichts, weil wir eine Menge Geld einbringen.“