RechtsstaatlichkeitsmechanismusEP-Abgeordnete wollen ihn anwenden, Polen und Ungarn klagen dagegen

Rechtsstaatlichkeitsmechanismus / EP-Abgeordnete wollen ihn anwenden, Polen und Ungarn klagen dagegen
EU-Haushaltskommissar Johannes Hahn will sicherstellen, das die ersten Fälle, die mit dem Rechtsstaatsmechanismus angestrengt werden, erfolgreich sind Foto: Aris Oikonomou/Pool/AFP

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Der Streit um den sogenannten Rechtsstaatsmechanismus zum Schutz des EU-Haushalts ist am Donnerstag in die nächste Runde gegangen. Polen und Ungarn haben gestern eine Klage gegen die entsprechende Verordnung vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg eingereicht. EU-Parlament (EP) und Kommission halten dagegen.

War es Zufall oder doch eine geplante Provokation: Während am gestrigen Vormittag die EU-Parlamentarier in einer Debatte mit EU-Kommissar Johannes Hahn der EU-Kommission vorhielten, den Rechtsstaatsmechanismus nicht anzuwenden, teilte der EuGH mit, dass Polen und Ungarn eine Klage gegen die Verordnung „über eine allgemeine Konditionalitätsregelung zum Schutz des Haushalts der Union“ eingereicht haben. Das war erwartet worden, denn dieser Schritt war den Regierungen in Warschau und Budapest im Streit um die Einführung des Rechtsstaatsmechanismus im vergangenen Dezember nicht zuletzt von der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen empfohlen worden.

Worum geht es? Im Zuge der Verhandlungen über den mehrjährigen EU-Haushaltsplan für die Jahre 2021-2027 hatten sich der EU-Rat als Vertreter der Mitgliedstaaten sowie das EP auf eine Verordnung verständigt, nach der EU-Staaten Gelder aus Brüssel teilweise oder ganz gestrichen werden könnten, wenn sie gegen Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit verstoßen und dadurch eine Gefahr für den Haushalt oder die finanziellen Interessen der Union entsteht. Die Regierenden in Polen und Ungarn sehen sich – wohl nicht zu Unrecht – direkt ins Visier genommen, denn gegen beide Länder wurde bereits jeweils ein Rechtsstaatsverfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge eingeleitet, das im schlimmsten Fall mit einem Stimmrechtsentzug im Rat enden kann.

Um die Verordnung, wenn nicht zu verhindern, so doch in ihrer Anwendung hinauszuzögern, legten Warschau und Budapest im vorigen Jahr ein Veto gegen die Verabschiedung des mehrjährigen Haushaltsplans der EU sowie den 750 Milliarden Euro schweren Wiederaufbaufonds ein. Dies brachte die 27 in Bedrängnis, da nicht nur die Zeit für die Verabschiedung des Haushalts knapp wurde. Viele EU-Staaten benötigen ebenfalls die Zuwendungen aus dem Fonds, um ihre Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen.  Die Blockade konnte gelöst werden, nachdem den beiden in Aussicht gestellt wurde, dass sie vor dem EuGH gegen die Verordnung klagen können und die EU-Kommission zudem Leitlinien über die Anwendung des Mechanismus ausarbeiten werde. Die Frist zur Einreichung einer Klage endet am 15. März, wie Johannes Hahn gestern erklärte.

Der EuGH braucht für Nichtigkeitsklagen im Schnitt 19 Monate Zeit, um zu einem Urteil zu kommen. Das würde zumindest dem ungarischen Regierungschef Viktor Orban in die Hände spielen, denn dieser wird sich voraussichtlich im Frühjahr kommenden Jahres bei den Parlamentswahlen wieder dem Wähler stellen. Das EuGH-Urteil aber wird erst in der zweiten Jahreshälfte 2022 erwartet. EP und EU-Kommission könnten ein beschleunigtes Verfahren beantragen, wodurch das Urteil um Monate früher gesprochen werden dürfte.

Diskussionen wegen Leitlinien

Es ist davon auszugehen, dass zumindest die EU-Parlamentarier dies tun werden. Denn nicht nur war für sie die Einführung des Rechtsstaatsmechanismus eine nichtverhandelbare Bedingung für die Zustimmung zum mehrjährigen EU-Haushalt. Sie warfen der EU-Kommission gestern auch vor, ihrer Verpflichtung, die Verträge zu schützen, nicht nachzukommen und die Anwendung des Mechanismus zu verschleppen. Immerhin sei dieser bereits seit Anfang des Jahres in Kraft und die Behörde habe noch nicht gehandelt. Die Anwendung der Verordnung kann nicht Gegenstand der Annahme „irgendwelcher Leitlinien sein“, ärgerte sich etwa der finnische EVP-Abgeordnete Petri Sarvamaa, der den Mechanismus mit dem Rat mit ausverhandelt hat. Mit dabei war auch die spanische S&D-Abgeordnete Elder Gardiazabal Rubial, die ebenfalls meinte, Leitlinien seien nicht notwendig für die Anwendung des Mechanismus, da an der im Dezember vergangenen Jahres getroffenen Vereinbarung zwischen den Institutionen keine Änderungen vorgenommen werden könnten.

Johannes Hahn bestätigte denn auch, dass die Verordnung seit dem 1. Januar 2021 in Kraft sei. Nur wolle die Kommission mit den Leitlinien „sicherstellen, dass die ersten Fälle auch erfolgreich sind“. Die Leitlinien würden derzeit ausgearbeitet, das Urteil der EuGH-Richter werde dabei berücksichtigt, sofern es relevant sei, so der EU-Kommissar. Er wolle die „Anwendung der Bestimmung sorgfältig vorbereiten“, so Hahn weiter, der zudem versicherte: „Es geht kein Fall verloren.“

Mit den gleichen Worten ergänzte am gestrigen Mittag ein Sprecher der Kommission die Bestätigung, dass die Verordnung seit Anfang des Jahres in Kraft sei und seitdem ein Monitoring durchgeführt werde. Der Hauptsprecher der Kommission, Eric Mamer, meinte seinerseits: „Wir sind sehr überzeugt von der Legalität dieser Verordnung.“

EU-Gelder für Orban-Getreue

Der ungarische Regierungschef Viktor Orban steht seit Jahren im Verdacht, dass er seine Macht auch dadurch absichert, indem er ihm und seiner Fidesz loyale Parteimitglieder in den Genuss von EU-Geldern kommen lässt. Auch Familienmitglieder sollen demnach von dem Geldsegen aus Brüssel bevorzugt profitieren können. Während der gestrigen Debatte im Europäischen Parlament über die Anwendung des Rechtsstaatsmechanismus sagte die liberale EP-Abgeordnete von der ungarischen Partei „Momentum“, Katalin Cseh, dass am 20. September vorigen Jahres die Ehefrau und der Sohn eines Fidesz-Abgeordneten 170.000 Euro zur Entwicklung des Tourismus auf einem familieneigenen Grundstück erhalten hätten. Am 21. Oktober habe die EU 100.000 Euro für einen Campingplatz für Kinder bereitgestellt. Reporter hätten einen Ort „für großzügige Partys, die vom Sohn des lokalen Fidesz-Bürgermeisters geschmissen wurden“, dort vorgefunden, so Katalin Cseh weiter. Am 21. Januar dieses Jahres dann seien 600.000 Euro Agrarsubventionen an den Schwiegersohn von Viktor Orban ausgezahlt worden. Der aber habe eine von EU-eigenen Agenturen erwiesene Bilanz von Betrugsfällen aufzuweisen, so die liberale EP-Abgeordnete. gk

Till Eule vor dem Spiegel
12. März 2021 - 14.16

Klingt es nicht hypokritisch von Rechtsstaatlichkeitmechanismus zu sprechen, den warnenden Zeigefinger zu heben , wenn man selber der Wirtschaft, des Einflusses, der Macht wegen selber gute Relationen mit Ländern hält, denen militärische Güter liefert , wo der Bergriff der Rechtsstaatlichkeit eine Utopie ist.Einige europäische Länder ,Politiker haben in diesem Fall noch erheblichen Nachholbedarf.