Must-See Movies (9)„Emma“ ist noch immer clueless – in der Jane-Austen-Romanverfilmung

Must-See Movies (9) / „Emma“ ist noch immer clueless – in der Jane-Austen-Romanverfilmung
Anya Taylor-Joy

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Wir erinnern uns. Damals, im Frühjahr 2020, hatte Netflix mit dem Tiger King Joe Exotic durch Lockdown Nummer eins geholfen und im Herbst war dank dem Streamingdienst das Schachspiel plötzlich in aller Munde. Jede und jeder wollte sich plötzlich ein Schachbrett zulegen, nur um es höchstwahrscheinlich doch dann, über ein Jahr später, irgendwo in der Bude verstauben zu lassen. The Queen’s Gambit hat vor allem eine junge, charismatische Schauspielerin vorgestellt – Anya Taylor-Joy. Eine Hauptrolle in Last Night in Soho folgte im Herbst und in einigen Monaten wird sie in einer neuen Zusammenarbeit mit „The Lighthouse“-Regisseur Robert Eggers zu sehen sein. Es war aber sicherlich nicht der Damengambit-Schachzug, der ihr den Weg öffnete – vielleicht nur noch bestätigte –, sondern die Jane-Austen-Romanverfilmung Emma, in der sie die titelgebende Emma Woodhouse verkörpert.

Emma Woodhouse lebt mit ihrem ewig fröstelnden Vater in einem herrlichen Herrenhaus, in dem es vielleicht, vielleicht auch nicht, von irgendwoher zieht. Emma ist ein verwöhntes Adelskind und verbringt ihre Zeit damit, ledige Zeitgenossinnen um sie herum zu verkuppeln. Das funktioniert aber nur so lange, bis es eben nicht mehr funktioniert. Am allerempörtesten ist Emma natürlich über sich selbst und anstatt den Dingen einfach ihren natürlich Lauf zu lassen, verschlimmert sie alles nur noch mehr, mit jedem Schritt und Tritt.

Über die Hauptfigur ihres vierten und letzten, zu Lebzeiten 1815 veröffentlichen Romans Emma wünschte sich Austen, dass sie sie so zeichnen würde, dass sie außer ihr wohl nicht allzu viele Leser(innen) mögen würden. Und tatsächlich, es ist die Mischung aus falschem Sophistikiertsein, jugendlicher Hybris und Arroganz, die Emma Woodhouse zu einer vielschichtigen Figur machen, die alles andere als nur lieb und nett ist. Kein Wunder, dass auch dieser Roman so oft verfilmt wurde. In den 90ern mit Gwyneth Paltrow, einmal mit Kate Beckinsale – die 20 Jahre später mit Regisseur und Chefdandy-Janeite Whit Stillman Love & Friendship aus einer Sammlung an Austen-Kurzgeschichten verfilmen sollte – und jetzt letztens mit Anya Taylor-Joy Emma anno 2020. Es ist zwar weiterhin ein Kostümfilm, wie er im Bilderbuch steht, aber jede Pore des Films schwitzt noch mehr Kostümfilm als jeder andere Kostümfilm.

Auf „Knätschgummi“ gesättigt

Die Farben der Kostüme, der Ausstattung und der Naturfarben sind auf „Knätschgummi“ gesättigt. Billy Nighy ist z.B. bei jedem Szenenauftritt anders gekleidet und sieht aus wie ein modernes Männermodell eines flämischen Modedesigners. Hinter der visuellen Fassade, in der sich Regisseurin Autumn de Wilde ergötzt, als ob sie ein Album-Cover fotografieren oder ein Musikvideo drehen würde – was sie alles tatsächlich gemacht hat – versteckt sich in ihrem Regiedebüt ein ganz anderer Genrefilm. Ein Teenfilm. Und steht in dieser Hinsicht Clueless von Amy Heckerling mit Alicia Silverstone als Cher Horowitz – übrigens selbst eine freie Emma-Adapation – diametral gegenüber. Beide Filme strecken sich verschmitzt gegenseitig die Zungen heraus. Clueless ist ein Kostümfilm in einem Teeniefilm – Emma ist dagegen ein Teeniefielm in einem Kostümfilm.

Die Welt von Emma ist eine leichte, stets himmelblaue, in der irgendwann dann auch bei dem hartgesottesten Nicht-Austen-Leser nur noch von Wichtigkeit erscheint, wer mit wem dann am Ende des Tages in den englischen Sonnenuntergang reiten wird. Taylor-Joys natürliches Ennui in ihren Augen ist wie geschaffen für Emma Woodhouse, doch das ganze Ensemble – die immer noch unterschätzte Mia Goth, Miranda Hart als plumpe Miss Bates und vor allem Josh ‚Prinz Charles aus The Crown‘ O’Connor als geistlicher Choleriker Mr. Elton, der irgendwann Rowan Atkinsons Father Gerald aus Four Weddings and a Funeral köstlich kanalisiert – machen aus Emma einen kurzweiligen Einstieg in das Oeuvre der wichtigen englischen Autorin und ein luftig-lustiges Aufatmen vor der Klatsche, die da Saint Maud, der letzte Beitrag der elf Must-Sees, am kommenden Montag in der Cinémathèque sein wird.

11 Must-See Movies of 20/21

Die städtische Cinémathèque hat zu Jahresbeginn wieder cinephilen Nachhilfeunterricht im Spielplan. Das Tageblatt stellt die sogenannten elf Must-See-Filme an den jeweiligen Vorstellungsdaten vor. Heute um 20.30 Uhr: „Never Rarely Sometimes Always“ (2020) von Eliza Hittman (Jurypreise bei den Sundance-Filmfestspielen sowie der Berlinale 2020).