Ukraine-KriegElon Musks Satelliten und Luxemburgs Windräder – Russlands Cyberangriffe haben unerwartete Folgen

Ukraine-Krieg / Elon Musks Satelliten und Luxemburgs Windräder – Russlands Cyberangriffe haben unerwartete Folgen
Ein Windrad bei Fischbach in Luxemburg (Archivbild): Auch solche Anlagen wurden vom russischen Cyberangriff auf die Ukraine im Betrieb gestört Foto: Editpress/Julien Garroy

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Im Westen ist man inzwischen überzeugt davon, dass Russland zu Kriegsbeginn am 24. Februar die Ukraine auch mit einem Cyberangriff überzogen hat. Auch Luxemburg war davon betroffen. Für Putins Streitkräfte sollte die Internet-Attacke noch unerwartete Folgen haben.

Am frühen Morgen des 24. Februar drangen die ersten russischen Kampfhubschrauber in den Luftraum der Ukraine ein. Putins Krieg hatte begonnen. Am selben Tag, gegen fünf Uhr morgens, gab es quer durch Europa Tausende Störungen bei Windkraftanlagen, auch Luxemburg war betroffen. Die Windräder konnten nicht mehr mit ihrem Satelliten kommunizieren. In Luxemburg hat es an 25 von 31 Windkrafträdern der Firma Soler solche Probleme gegeben. Der Verdacht fiel früh auf Russland. War es ein Internet-Angriff?

Am Dienstag, mehr als zehn Wochen später, haben die EU und ihre westlichen Verbündeten diese These bestätigt und Moskau für die Cyberattacke verantwortlich gemacht. Der Angriff richtete sich nicht gegen die Öslinger Windräder. Die tausenden Störungen an Windkraftanlagen quer durch Europa waren ein „Kollateralschaden“. Moskau wollte die Ukraine treffen – was zuerst gelang, für Russland aber noch unerwartete Folgen haben sollte.

Gewaltige Probleme

Der russische Internet-Angriff auf ein Satellitensystem eine Stunde vor der Offensive am 24. Februar habe „die militärische Aggression erleichtert“, erklärte die EU am Dienstag in Brüssel. Der Cyberangriff auf das Viasat-Satellitennetzwerk KA-SAT habe bedeutende Störungen bei „öffentlichen Behörden, Unternehmen und Nutzern in der Ukraine“ ausgelöst, erklärte die EU.

Nach Angaben des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell ist es das erste Mal, dass Brüssel offiziell dem russischen Staat die Schuld für einen Cyberangriff gibt. Bislang hatte die EU immer nur erklärt, dass Hackerangriffe aus Russland gekommen seien. Nun gebe es aber genug Beweise, diesen Angriff kurz vor Beginn des Ukraine-Kriegs direkt dem russischen Staat zuzuschreiben, erklärte Borrell.

Die Ukrainer haben ihre Artillerie-Geschütze mit dem Starlink-Satellitensystem verknüpft
Die Ukrainer haben ihre Artillerie-Geschütze mit dem Starlink-Satellitensystem verknüpft AFP

Während die Windräder in Europa manuell gesteuert weiterarbeiten konnten, stand die Ukraine vor einem gewaltigen Problem. Ohne gesicherte Internetverbindungen lässt sich im Jahr 2022 keine Schlacht gewinnen. Dauernd müssen Daten übermittelt werden: zur Koordination unter den Truppen, zur Steuerung der ganzen Palette an Kampf- und Überwachungsdrohnen und nicht zuletzt für die ukrainische Artillerie, die auf eine eigens entwickelte App zurückgreift, die ähnlich funktioniert wie die des Fahrdienstleisters Uber und statt Taxi-Kunden an den nächsten Fahrer zu vermitteln, die ukrainischen Geschütze dem nächsten russischen Ziel zuordnet und ihnen so eine bislang nicht gekannte Reaktionsschnelligkeit verleiht.

Die Ukraine war also unter doppeltem Zugzwang. Die russischen Angriffe aus dem Norden, dem Osten und dem Süden mussten abgewehrt werden. Und man brauchte, lieber jetzt als gleich, eine verlässliche Internetverbindung im Land. Unmittelbar nach dem Angriff auf „KA-SAT 9A“ setzte der ukrainische Vize-Premier und Minister für Digitales Mychajlo Fedorow einen Tweet ab, in dem er Space X-Chef Elon Musk um Terminals für dessen Starlink-Satellitennetzwerk bat. Musk reagierte schnell und ließ über SpaceX noch im Februar die technischen Geräte in die Ukraine schicken. Seitdem leistet Starlink der Ukraine seine Dienste. Was das bedeutet, wird erst jetzt immer deutlicher.

Und dafür, Elon, wirst du wie ein Erwachsener zur Rechenschaft gezogen – egal, wie sehr du den Narren spielst

Dmitri Rogosin, Chef der russischen Raumfahrt-Behörde

Dass die Satelliten-Infrastruktur des US-Unternehmers Musk stärker in die direkte militärische Auseinandersetzung in der Ukraine eingebunden ist, sickert mehr und mehr durch. Die Ukrainer schafften es schnell, ihre eigens entwickelte Software „GIS Art for Artillery“ mit Musks Satelliten zu verknüpfen. Starlink wurde so zum zentralen Kom­mu­ni­ka­ti­ons-Weg der ukrainischen Artillerie. Experten zufolge habe die nötige Zeit von der Zielerfassung bis zum Abschuss von 20 Minuten auf 30 Sekunden reduziert werden können. Für Russlands elektronische Kriegsführung war das eine erhebliche Niederlage – und gegen Starlink hat sie bislang offenbar kein Mittel gefunden.

Elon Musk, hier mit seiner Mutter, hat sich Feinde in Russland gemacht
Elon Musk, hier mit seiner Mutter, hat sich Feinde in Russland gemacht Foto: AFP/Angela Weiss

Musk sagte im März, dass Russland die Starlink-Terminals in der Ukraine zwar stundenlang gestört habe. Nach einem Software-Update habe Starlink aber wieder normal funktioniert. Man habe alle russischen Stör- und Hackingversuche abwehren können. Die elektronische Kriegsführung der Russen hatte sich an der Technologie des reichsten Menschen der Welt die Zähne ausgebissen.

Diese Reaktionsfähigkeit beeindruckte auch das Pentagon in den USA. Anfang April wurde Dave Tremper, Direktor für elektronische Kriegsführung im Pentagon, gar ein bisschen neidisch. Die Art und Weise, wie Starlink im Angesicht einer Bedrohung aufgerüstet werden konnte, müsste auch das US-Militär haben, sagte Tremper. „Aus der Sicht eines ‚Electronic Warfare‘-Technologen ist das fantastisch.“

Gehöriger Warneffekt

Weniger begeistert von Musks Einsatz waren die Russen. Vor wenigen Tagen hat der Chef der russischen Raumfahrt-Behörde, Dmitri Rogosin, Musk Konsequenzen für seine Unterstützung der Ukraine angedroht. Am Sonntag schrieb Rogosin auf Telegram, dass die Lieferung der Starlink-Ausrüstung an die Ukraine „nach unseren Informationen“ durch das Pentagon erfolgt sei. Musk sei demnach „an der Versorgung der faschistischen Kräfte in der Ukraine mit militärischer Kommunikationsausrüstung beteiligt“. Der letzte Satz von Rogosins Telegram-Eintrag liest sich dann wie eine ziemlich offene Drohung: „Und dafür, Elon, wirst du wie ein Erwachsener zur Rechenschaft gezogen – egal, wie sehr du den Narren spielst.“ Musk reagierte Stunden später auf Twitter eher belustigt: „Falls ich unter mysteriösen Umständen sterben sollte – war gut, euch gekannt zu haben.“

Experten hatten im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg vor verheerenden Cyberattacken mit weltweiten Folgen gewarnt. Bislang scheinen die beobachteten Angriffe in ihren Auswirkungen und ihrer geografischen Reichweite begrenzt zu sein. Die Störungen bei Tausenden Windkraftanlagen in Europa lassen trotzdem aufhorchen. Wie es zurzeit ausschaut, waren sie nicht das Ziel des russischen Internet-Angriffs – und trotzdem wurde mit der Energieversorgung ein empfindlicher Teil der Landessicherheit der betroffenen Staaten getroffen. Es war ein „Kollateralschaden“ mit gehörigem Warneffekt.

Ukraine-Überblick

Zweieinhalb Monate nach dem Einmarsch russischer Truppen hat die Ukraine kriegsbedingt die Lieferungen von russischem Gas in Richtung Europa reduziert. Über das besonders umkämpfte ostukrainische Gebiet Luhansk floss seit Mittwochmorgen kein russisches Gas mehr in Richtung Westen, wie übereinstimmend aus ukrainischen und russischen Quellen hervorging.
Die von Moskau in Cherson eingesetzten Behörden wollen Russland um eine Annexion der südukrainischen Region bitten. Die Behörden würden einen entsprechenden Antrag stellen, um die von russischen Truppen eroberte Region zu einem „vollwertigen Teil der Russischen Föderation“ zu machen.
Die pro-russischen Separatisten in der Region Donezk gehen laut einem Medienbericht davon aus, dass sich keine Zivilisten mehr im belagerten Asowstal-Werk in Mariupol aufhalten. „Deshalb sind die Hände unserer Einheiten nicht länger gebunden“, sagt der Anführer der selbst ernannten Volksrepublik Donezk, Denis Puschilin, der Nachrichtenagentur Tass zufolge.