„God is an American“ ist in Neonlicht auf der Bühne zu lesen. Die Worte irritieren und führen gleich in eine bestimmte Richtung. Schließlich kann ein Stück wie „Elektra“ nicht in der griechischen Mythologie des fünften Jahrhunderts verharren, sondern verfolgt seit jeher den Anspruch der Ewiggültigkeit. Sogar im 21. Jahrhundert, das so gar nicht mehr das amerikanische Jahrhundert genannt werden kann, muss Elektra noch zur Welterklärung herhalten. Lehnte der US-Amerikaner Eugene O’Neill seine Trilogie „Trauer muss Elektra tragen“ einst an die Aischylos-Version der Atriden-Saga an, orientiert sich der Luxemburger Komponist und Multikünstler Filip Markiewicz an Sophokles und setzt sie im Lauf seiner Inszenierung erst allmählich in Bezug zu den tektonischen Veränderungen der heutigen Geopolitik. Das Prinzip von Rache und Mord- respektive Machtlust auch zweieinhalbtausend Jahre später funktioniert noch immer, ebenso das von Gewalt und Gegengewalt.

Elektra ist eine erfolgreiche Künstlerin, die nach dem antiken Stoff den Mord an ihrem Vater König Agamemnon durch seine Frau Klytaimnestra und deren Liebhaber Aigisthos rächen will, in der aktuellen Fassung sich aber in der modernen Kunstwelt bewegt. Letztere ist nicht minder „mörderisch“ als das politische Erdgeschehen. Elektra gerät mit ihrer eigenen komplexen Identität in Konflikt, so verwundert es auch nicht, dass sie von zwei Schauspielerinnen dargestellt wird, sowohl von Anouk Wagener als auch von der Österreicherin Lisa Schützenberger – die Ambivalenz von Hauptfigur und Handlung erfordern es. Vorweggeschickt sei, dass sie diese Arbeit vom introspektiven Zweifel bis zur schrillen Exaltiertheit gelungen meistern, ebenso wie Luc Feit und Luc Schiltz, die mehrere Figuren zugleich sind, vom Boten und Chor bis hin zu Andy Warhol. Was nicht etwa den Einbruch der Pop Art in die Antike bedeutet, sondern den Exkurs zu jenem gescheiterten Mordversuch der radikalfeministischen Künstlerin, die viel zu lange als durchgeknallte Verrückte abgestempelt war, an der Kunst- und Factory-Ikone im Jahr 1988.
Wie Solanas steht Elektra für eine radikale Form der Selbstbehauptung. Ihre Figur spiegelt das ambivalente Bild der Gegenwart wider, heißt es im Programmheft. Für sicher gehaltene Gewissheiten sind mittlerweile ins Wanken geraten, sogar die vermeintlich in Stein gemeißelte repräsentative, parlamentarische Demokratie ist nicht mehr verlässlich, sondern muss verteidigt oder gar neu erkämpft werden in einem System, in dem plötzlich wieder im Muskelspiel von dem Männlichkeitswahn huldigenden Autokraten wie Putin und mit ihrem Reichtum und ihrer politischen Macht kraftprotzenden Milliardären und Narzissten wie Trump und Musk das Recht des Stärkeren gilt. Schließlich muss sich auch die Demokratie behaupten.
Melancholie und Industrial
Wenn Filip Markiewicz den Bogen schlägt zum Solanas-Attentat auf Warhol, so hat er nicht zuletzt musikalisch eine Verbindung zu den 80er Jahren hergestellt. Eigentlich mehr bildender Künstler, Musiker und Komponist als nur dem Theater verpflichtet, stellt er dabei reihenweise Reminiszenzen her: etwa indem sein Soundtrack zum Stück vom melancholischen Klavierspiel über den elektronischen New Wave bis hin zum Industrial reicht. Schnell leuchtet ein, in welchem musikalischen Kosmos sich der für Regie, Bühne, Kostüme, Musik und die parallel zum Bühnengeschehen projizierte Videoperformance verantwortliche Multikünstler verortet. Auch die gelungenen Kostüme spiegeln eine Zeit wider, als festgefahrene binäre Strukturen sich allmählich auflösten. Gegen Ende hin treten die Schauspieler wie Models auf dem Catwalk auf. Besagte Ambivalenz drückt ebenso die Projektion der Akteure im genannten Video aus. Der pulsierende Rhythmus der Elektromusik zieht das Publikum gleich in den Bann und lässt Erinnerungen an jene goldene Zeit der Popkultur aufleben, als Synthesizer den Undergroundpop prägten. Ergänzt werden sie von lyrischen Klängen, die eine Verbindung zur griechischen Antike herstellen. Tausendsassa Markiewicz selbst ist auf der Bühne präsent und hat um sich sein Instrumentarium geschart, sein Soloprojekt Raftside ist als mehrere Genres übergreifendes Klanglabor bekannt.

Mit Markiewicz an der Bühnenfront zu Gange sind, wie schon bei seinen Inszenierungen wie „Antigone Neuropa“ und „Euro Hamlet“, der Drummer und Sounddesigner Lars Neugebauer und N.U. Unruh, der begnadete Perkussionist und experimentelle Klangtüftler aus den Reihen der von ihm mitgegründeten Einstürzenden Neubauten. Wer Letztere schon seit deren Debütalbum „Kollaps“ (1981) verfolgt, der folgt dem gebürtigen US-Amerikaner und beheimateten Berliner gerne dabei, wie es ihm im Grand Théâtre mit viel Feingespür gelingt, unter anderem aus Plastikrohren und -kanistern ähnlich minimalistisch anmutende Detailgeräusche herauszuholen wie aus Stahlfedern, in guter alter Neubauten-Tradition. Wem auffällt, dass N.U. Unruh mit seinem Equipment ausgerechnet unter dem eingangs erwähnten Schild steht, der denkt dabei nicht mehr an evangelikale Kleriker aus Trump Country, sondern an Yü Gung, der bekanntlich Berge versetzen kann – und fühlt beim Einsetzen der Musik, wie das Z.N.S. tanzt. Beides sind legendäre Lieder der Berliner Klangwerker.
Verbindung von Antike und Gegenwart
Fürs Tanzen sind nicht zuletzt auch Jeremiah Olusola und Joran Yonis zuständig. Während die vier Schauspieler anfangs den Text noch im Stile einer klassischen Inszenierung vortragen, monologisierend und erhaben, halten sich die beiden mit ihrer Tanz-Performance anfangs dezent zurück. Als aktuelle Themen die antike Textvorlage in den Hintergrund drängen und das Bühnengeschehen immer mehr zum Leben erwacht, legen sie ihre Reserviertheit ab und bekommen die Performance-Elemente Überhand. So ist eine Neugeburt der Tragödie aus „Modernität und Dadaismus“ entstanden, wie Markiewicz bekennt, und damit auch die Neubelebung des „unsterblichen“ Themas der Rache, die im Innern der Protagonistin ihr Unwesen treibt. Die klassische Struktur der griechischen Tragödie erhalte er aufrecht, „um einen Dialog zwischen antiken Dramen und zeitgenössischen Konflikten herzustellen“. Sie wird ergänzt durch eine opernhafte Dimension, deren Wucht den Zuschauer mitreißt, aber auch wieder entlässt, als wäre er aus einem Vulkan herausgeschleudert worden und ihn erst wieder zur Besinnung kommen lässt, wenn die Lava erkaltet und die Party vorbei ist.

Weitere Vorstellungen: Dienstag, 25. März, um 20 Uhr, und Sonntag, 30. März, um 17 Uhr.
		    		
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