Einen Monat vor der EU-Ratspräsidentschaft schießt Wien gegen Brüssel

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Österreichs FPÖ-Vizekanzler Strache nennt Frontex eine "Schlepperorganisation" und stellt die Freizügigkeit der EU-Bürger infrage. Der konservative Kanzler Kurz schweigt. Brüssel ist gewarnt.

Als Österreich im vergangenen Dezember eine neue Regierung bekam, löste das im restlichen Europa mehrheitlich Skepsis aus. Mit an Bord war die rechts- extreme und EU-feindliche FPÖ. Kanzler Sebastian Kurz versuchte die Sorgen zu zerstreuen, reiste gleich nach Brüssel. In vier Wochen übernimmt Österreich die EU-Ratspräsidentschaft – und die Sorgen sind wieder da.

Nur wenige Tage nach seinem Wahlsieg im vergangenen Dezember trat Österreichs neuer Kanzler seine erste Auslandsreise an. Ein solcher Schritt ist immer mit Symbolik behaftet. Kurz flog nach Brüssel, ins Zentrum der Europäischen Union.

Es war offensichtlich, worum es ging. Österreichs neuer Regierung ging nicht der beste Ruf voraus. Um an die Macht zu kommen, hatte der konservative Kurz die rechtsextreme FPÖ mit an Bord genommen – eine Partei, die schon mal für den Öxit war und auch sonst kaum eine Gelegenheit ausließ, gegen Brüssel zu schießen. Demnach hatte die Alpenrepublik nun eine neue Regierung, die in Resteuropa für manches Stirnrunzeln sorgte.

Kurz wollte der Sorge aus Brüssel gegensteuern, in Wien braue sich gerade der nächste Visegrad-Staat zusammen. Und Kurz’ Schachzug ging auf. „Das ist eine proeuropäische Regierung“, sagte Kommissionschef Jean-Claude Juncker nach seinem Treffen mit dem jüngsten Staatschef der EU. „Wir werden diese Regierung an ihren Taten messen.“

Frontex ist für FPÖ-Chef eine „Schlepperorganisation“

In vier Wochen übernimmt Österreich turnusgemäß für sechs Monate die EU-Ratspräsidentschaft von Bulgarien. Die ÖVP-FPÖ-Regierung wird dann mehr als sieben Monate an den Machthebeln Österreichs sein. Es sind sieben Monate, die die Zweifel an ihrer proeuropäischen Ausrichtung eher gesteigert denn gemindert haben.

Vor allem Vizekanzler und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache fiel zuletzt mehrmals mit aus Brüsseler Sicht zweifelhaften Aussagen auf. Vergangene Woche war Strache das erste Mal auf offiziellem Besuch in Brüssel, als Sportminister. Die österreichischen EU-Korrespondenten nutzten die Gelegenheit, ihren Vizekanzler zu weiteren Feldern europäischer Politik zu befragen. Also wurde über Grenzschutz gesprochen, den Österreich zu seinem Thema für die EU-Ratspräsidentschaft machen will.

Straches Aussagen ließen dann aufhorchen. Die EU-Grenzschutzagentur Frontex nannte er eine „Schlepperorganisation“. „Bei Frontex“, sagte Strache, „muss man hinterfragen, welchen Auftrag sie hat. Sie hat ja in manchen Bereichen teilweise fast schon die Aufgabe, die Menschen vor der Küste Nordafrikas abzufangen und dann fast als Schlepperorganisation nach Europa zu bringen.“ Frontex leiste keinen Grenzschutz, vielmehr könne man sie „als Schlepperaktivität im legalen Sinn definieren“.

Freizügigkeit der EU-Bürger infrage gestellt

Vor zwei Tagen dann stellte Strache während eines Vortrages in Wien die Freizügigkeit der EU-Bürger infrage, womit er die Axt an einen Grundpfeiler der Europäischen Union legte. Personenfreizügigkeit, sagte Strache, gefährde den heimischen Arbeitsmarkt. Durch sie komme es zu einem „Verdrängungsprozess“. Deswegen müsse offen diskutiert werden, „dass es auch nicht gut ist für die europäische Entwicklung, das gesamte intellektuelle, gut ausgebildete Potenzial Osteuropas für Westeuropa abzuziehen“.

Bereits Anfang Mai hatte die neue Regierung in Wien ein Gesetzesprojekt vorgelegt, das in der restlichen EU für schwere Bedenken sorgte. Demnach planen ÖVP und FPÖ, weniger Geld an im Ausland lebende Kinder zu überweisen. Österreichs Regierung hat dabei besonders Pflegepersonal aus Osteuropa im Visier. Junge Mütter vor allem aus Ungarn, Rumänien und Bulgarien arbeiten oft in der Pflege in Österreich, während ihre Kinder daheim bei den Großeltern aufwachsen, aber laut EU-Recht Kindergeld nach österreichischem Standard beziehen.

EU hat begonnen, genauer hinzuschauen

Diese Regelung gilt in der gesamten EU, da Arbeitnehmer nicht wegen ihrer Nationalität diskriminiert werden dürfen. Wien will mit diesem Schritt mehr als 100 Millionen Euro einsparen. Eine Zahl, die Kritiker stark anzweifeln. Die EU-Kommission hat bereits angekündigt, das Gesetz auf die Vereinbarkeit mit EU-Recht prüfen zu wollen.
Demnach passiert gerade das, was Juncker vergangenen Dezember ankündigte.

Die EU-Kommission hat damit begonnen, Österreich an seinen Taten zu bemessen. Die Etikettierung dieser Regierung als proeuropäisch ist mittlerweile auf dem Brüsseler Prüfstand angelangt – knapp sieben Monate nach Amtsantritt. Und einen Monat vor dem Beginn der EU-Ratspräsidentschaft.

ernst schartner
3. Juni 2018 - 20.55

Frontex: Man wird ja sehen, ob man punkto Österreich wieder einmal mit zweierlei Maß misst. In Italien ist gerade Matteo Salvini zum Innenminister bestellt worden. Wir alle kennen seine Ansagen. Freizügigkeit der Eu-Bürger: Strache hat einen Denkanstoß gegeben. Nachdenken wird man ja wohl noch dürfen und diskutieren vielleicht auch noch. Danke.