ModedrogeEin Tropfen zwischen Rausch und Absturz: GHB versetzt Luxemburger Clubszene in Aufruhr

Modedroge / Ein Tropfen zwischen Rausch und Absturz: GHB versetzt Luxemburger Clubszene in Aufruhr
Partygänger sollen auch künftig sicher in der Luxemburger Clubszene feiern können. Deshalb wollen Besitzer, Veranstalter und Behörden nun zusammen gegen GHB vorgehen. Foto: Freepik

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Manche nennen sie „K.-o.-Tropfen“, andere sprechen von „Liquid Ecstasy“ oder einfach nur „G“: GHB/GBL ist seit kurzem auch in der Luxemburger Clubszene wieder als Partydroge auf dem Vormarsch. Besitzer und Veranstalter schlagen Alarm: Zwischen Rausch und Absturz steht oft nur ein einziger Tropfen. Mit Aufklärungskampagnen wollen sie die Nutzer nun zur Vernunft bringen.

„Zunächst hatte ich mir nichts dabei gedacht“, sagt Jules*. „Ich habe mich gut gefühlt. Stark, selbstbewusst und attraktiv. Viel lockerer und voller Energie“, so der Student, der regelmäßig in der Partyszene im In- und Ausland unterwegs ist. Die farblose Flüssigkeit hat er sich entweder bei Bekannten besorgt oder bei Dealern auf Afterpartys. Mit einer Pipette hat er sich „G“ dann ins Getränk gemischt. Die Wirkung ließ nicht lange auf sich warten: „Nach fünf bis zehn Minuten fühlt man sich entspannt, enthemmt und unheimlich attraktiv“, so Jules.

Wochenlang sei alles gut gelaufen. „Nebenwirkungen gab es quasi keine. Unter der Woche konnte ich ganz normal zur Universität und auch am Tag nach einer Party hatte ich keine Beschwerden, nicht so wie bei Alkohol oder anderen Drogen“, erklärt der Student. So hat er auch den eigenen Absturz nicht mitbekommen. Es waren seine Freunde, die ihm später davon berichteten. Er sei auf einer Afterparty plötzlich bewusstlos geworden. Glücklicherweise sei ein hauptberuflicher Sanitäter unter den Gästen gewesen, der sich um den jungen Mann gekümmert habe.

Schlimme Folgen hatte der Absturz nicht: Jules ist etwas später am Morgen auf einer Couch zu sich gekommen und nach Hause gefahren. Dass er sich im Nachhinein aber an absolut gar nichts mehr habe erinnern können, habe ihm die Augen geöffnet. „Mir war nicht bewusst, wie gefährlich GHB überhaupt ist. Man bekommt eben mit, dass die Droge in der Szene konsumiert wird und die Leute sich gut fühlen. Im Gegensatz zu anderen Drogen aber fehlt es an einem gewissen Erfahrungsschatz innerhalb der Szene“, meint der Student.

Ähnliche Erfahrungen hat auch Tom* gemacht. Die ersten Begegnungen mit „G“ seien harmlos gewesen. „Ich habe es ein paar Mal probiert und es war interessant“, so der ehemalige Konsument. Dann aber kam der plötzliche Absturz: „Ich weiß nicht, ob ich zu viel Alkohol getrunken oder die Droge falsch dosiert hatte. Auf jeden Fall ging es mir plötzlich sehr, sehr schlecht. Alles wollte auf einmal aus mir heraus. Und ich meine wirklich alles!“, so Tom. Stundenlang habe er im Badezimmer versucht, wieder auf die Beine zu kommen. „Ich hatte Durchfall, ich musste mich übergeben und ich war nass geschwitzt“, erinnert sich der junge Mann.

Inzwischen könne er wieder über diese Episode schmunzeln. Anfassen wolle er GHB aber nicht mehr. „Diese Erfahrung hat sämtliche Alarmglocken bei mir ausgelöst. Es war wie bei übermäßigem Alkoholgenuss, nur sehr viel schlimmer. Es wollte einfach nicht mehr aufhören. Und das schlimmste war: Eigentlich hatte ich vom Konsum her nichts geändert. Dennoch war der Absturz umso heftiger“, so Tom. „Mir wurde auf einen Schlag bewusst, wie gefährlich die Droge ist und wie schnell man etwas falsch machen kann.“

Tatsächlich ist es diese kleine Spanne zwischen Rausch und Blackout, die die Droge im Vergleich zu anderen Substanzen zu einem riskanten Sonderfall macht. Konsumenten berichten davon, wie sie die Dosis mit dem eigenen Gewicht abstimmen und Timer stellen, damit sie die Substanz nicht überdosieren. Oft reichen nur wenige Tropfen und die Konsumenten gleiten in die Bewusstlosigkeit – oder schlimmer. Im August 2021 kam im Berliner „Suicide Club“ eine junge Irin ums Leben, nachdem sie zu viel „G“ konsumiert hatte. Was die Droge so gefährlich macht, ist die allgegenwärtige Gefahr einer Überdosierung, das Abhängigkeitspotential, die Wechselwirkung mit Alkohol und ein gewisses Manko an Informationen innerhalb der Szene.

Felgenreiniger und Lackentferner

GHB steht für Gamma-Hydroxybuttersäure und wurde in der Medizin lange Zeit als Betäubungsmittel genutzt. Inzwischen ist die Substanz in den meisten EU-Staaten verboten, weshalb als Rauschmittel hauptsächlich GBL (Gamma-Butyrolacton) benutzt wird, das vorwiegend in der chemischen Industrie als Lösungs- und Reinigungsmittel eingesetzt wird. Im Körper wird GBL dann zum Wirkstoff GHB umgewandelt. Allerdings gibt es auch Produzenten, die „G“ aus Felgenreiniger und Nagellackentferner gewinnen.

Die geläufigste Bezeichnung ist demnach GHB oder die Abkürzung „G“ (sprich: „Dji“). Geläufig ist die Substanz auch unter dem Namen „Liquid Ecstasy“, obwohl die Wirkung und die chemische Zusammensetzung nicht mit der von MDMA zu vergleichen ist. In den Medien sorgt die Substanz indessen regelmäßig als Vergewaltigungsdroge für Schlagzeilen. So hat es auch schon in Luxemburg Fälle gegeben, in denen Menschen sogenannte K.-o.-Tropfen ins Getränk geschüttet wurden, um sie bewusstlos und gefügig zu machen.

So wurde dem Tageblatt gleich von mehreren Quellen ein Zwischenfall bestätigt, bei dem der Türsteher einer beliebten Bar im Zentrum von Luxemburg-Stadt Opfer eines solchen Angriffs geworden ist. Der Mann habe an diesem Abend nur Energiegetränke zu sich genommen und zunächst auch nichts gemerkt. Einen Tag später aber habe er sich an nichts mehr erinnern können, weshalb er das Krankenhaus aufgesucht habe. Blutanalysen hätten die Gewissheit gebracht: Ihm wurde GHB ins Getränk gemischt.

Dem Tageblatt wurden auch Fälle zugetragen, in denen Frauen Opfer von solchen Angriffen wurden. In einem Fall soll eine junge Frau in einer Herrentoilette wieder zu Bewusstsein gelangt sein. Der Angreifer sei dabei gewesen, sein Opfer sexuell zu missbrauchen. In einem anderen Fall sei der Mutter eines bekannten DJs K.-o.-Tropfen ins Getränk gemischt worden. Diese Zwischenfälle konnten aber nicht von offizieller Seite bestätigt werden.

GHB ist schwer zu dosieren und hat schwerwiegende Nebenwirkungen. Auch ist die Substanz schwer zu erkennen, da sie in einfachen Flaschen transportiert werden kann.
GHB ist schwer zu dosieren und hat schwerwiegende Nebenwirkungen. Auch ist die Substanz schwer zu erkennen, da sie in einfachen Flaschen transportiert werden kann. Foto: dpa

Die Angst geht um

Wie verbreitet „G“ in der Luxemburger Partyszene inzwischen ist, ist nicht bekannt. Auch was die Behörden zu unternehmen gedenken, ist nicht gewusst. Eine entsprechende Nachfrage das Tageblatt ließ die Polizei bis zu diesem Zeitpunkt unbeantwortet. Fakt ist: GHB ist keine Neuerscheinung. Die Substanz war lange Zeit nur eine Nischendroge, ist in den letzten Jahren aber vor allem in der deutschen Clubkultur zur Modedroge avanciert. Aufgrund der jüngsten Zwischenfälle haben in Deutschland viele Veranstalter reagiert und Aufklärungskampagnen gestartet. Viele Clubbesitzer setzen auf eine Null-Toleranz-Politik, bei einer Mehrheit der Clubgänger ist GHB entsprechend verpönt.

Dass die Droge inzwischen auch auf Luxemburg überschwappt, bestätigen gleich mehrere Ansprechpartner. Sowohl Betroffene als auch DJs, Veranstalter und Clubbesitzer * berichten vom Konsum in ihrem Umfeld, wenn auch in Grenzen. Offen sei dieser nicht, dafür sei die Substanz auch im Großherzogtum zu verpönt. Dennoch sehe man auch in Luxemburger Clubs immer wieder Gäste, die aufgrund einer Überdosis bewusstlos werden, so ein bekannter DJ, während ein Barbesitzer im Gespräch mit dem Tageblatt von ähnlichen Erfahrungen berichtet.

Die Angst, dass sich irgendwann – wie im Berliner „Suicide Club“ – eine Tragödie ereignet, ist groß. Eine Überdosis sei eigentlich nur noch eine Frage der Zeit, meint etwa der DJ. Zu groß sei die Wahrscheinlichkeit einer Fehleinschätzung beim Konsum dieser Droge. „Ob man es nun selber nimmt oder ein junges Mädchen aus Versehen an einem Getränk mit GHB nippt, obschon es nur die Hälfte wiegt“, so der junge Mann. „Das Potenzial, dass etwas schiefläuft, ist enorm. Verantwortlich ist im Nachhinein immer der Veranstalter.“

Inzwischen hat sich auch Pipapo eingeschaltet. Das Sozialprojekt steht für eine sichere Partykultur in Luxemburg und versucht, entsprechende Praktiken zu fördern. Mit Informationskampagnen etwa, guten Ratschlägen oder dem Angebot, Drogen auf ihre Wirkstoffe untersuchen zu lassen. Nach dem Motto „Gut feiern, sicher nach Hause kommen“ versucht die Vereinigung, mit positiven Botschaften auf die Szene einzuwirken. „Unsere Herangehensweise ist es, im Sinne des Austausches auf gleicher Augenhöhe mit den Menschen zu reden“, erklärt Carlos von Pipapo.

Statt mit dem Zeigefinger sollte man den Konsumenten deshalb mit Informationen begegnen. Eine drogenfreie Partyszene sei eine Illusion. Darin sind sich Ex-Konsumenten, Veranstalter und Behörden einig. „Es bringt auch nichts, aus einer Panik heraus zu agieren“, sagt auch Carlos, der eine gewisse Unruhe in der Szene verspürt. In einem ersten Schritt habe sich Pipapo bei Partnern im Ausland informiert, wie sie auf das Phänomen reagiert haben. Anschließend habe man sich mit den einheimischen Veranstaltern und Clubbesitzern kurzgeschlossen.

Dass die Droge überaus gefährlich ist, weiß auch Carlos. Zu einfach sei der Zugriff auf die Droge, zu hoch die Gefahr einer Überdosis. Auch der Umstand, dass die Substanz als K.-o.-Tropfen verabreicht wird, sei dramatisch. Zusammen mit Veranstaltern, Clubbesitzern und Behörden wolle man jetzt eine Herangehensweise ausarbeiten. „Gemeinsam müssen wir jetzt mal sehen, was bisher passiert ist und was wir unternehmen können, damit die Menschen auch weiter in Sicherheit feiern können.“

* Der Tageblatt-Redaktion sind sämtliche Personen und Lokale bekannt. Aus Gründen der Anonymität wurden die Namen geändert oder bleiben unerwähnt.