Jubiläum40 Jahre Escher Kulturfabrik: Ein Theaterstück sicherte 1981 das Überleben

Jubiläum / 40 Jahre Escher Kulturfabrik: Ein Theaterstück sicherte 1981 das Überleben
1981: ein Teil der „Konzert zum heiligen Ovid“-Theatertruppe. Obere Reihe: Pierre Rauchs, Michel Clees, Denise Grégoire. Mittlere Reihe: Claude Waringo, Rosario Grasso, Bob Flammang. Untere Reihe: Claude Schmit, Ed. Maroldt, Haidy Jacobi, Lambert Schlechter, André Detampel. Liegend: Fernand Mathes. Foto: Conny Scheel

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Die Kulturfabrik in Esch und die Gebäude des ehemaligen Schlachthofes verdanken ihre heutige Existenz eigentlich einem Theaterstück. Gymnasiallehrer Ed Maroldts Aufführung „Konzert zum heiligen Ovid“ im Jahre 1981 sorgte nämlich mit dafür, dass die Gebäude des alten Schlachthofs nicht abgerissen und zur Tankstelle umfunktioniert wurden. Damit kam ein Stein ins Rollen, der den Kulturbetrieb des Landes bis heute prägt. 2021, im November, wurde an dieses 40-jährige Jubiläum erinnert. Fröhlich, nicht nostalgisch, eher mit Aufbruchsstimmung.

Zwei Säulen, eine links, eine rechts, gekrönt mit einer Steinkugel, und dazwischen einige übriggebliebene Pflastersteine am Boden. So sieht der Haupteingang zur Kulturfabrik in Esch immer noch aus. Wer diese Schwelle heute betritt, soll vielleicht kurz innehalten. Im Rücken rauscht der Verkehr über die Luxemburger Straße. Vor einem liegt eine Oase der Ruhe. Hervorzuheben ist, dass der Blick auf die dahinterliegenden Gebäude des ehemaligen Escher Schlachthofes nicht selbstverständlich ist.

Es ist deshalb auch nicht selbstverständlich, dass jetzt, im Spätherbst 2021, im Restaurant der Kulturfabrik an ein Ereignis erinnert werden kann, das fast auf den Tag genau 40 Jahre zurückliegt. Ein Ereignis, dem die heutige Kulturfabrik nicht weniger als ihre Existenz verdankt.

Kultur verhindert Abriss

Ja, es hätte alles ganz anders kommen können. Dort, wo sich die Kulturfabrik befindet, könnten eine Tankstelle sein oder Wohnhäuser. Als der alte Schlachthof in Esch/Alzette im Jahr 1979 stillgelegt wird, machen sich die sozialistischen Gemeindeverantwortlichen viele Gedanken über die zukünftige Nutzung des Geländes. Kultur haben sie dabei aber nicht prioritär im Sinn.

Ihre Existenz verdankt die Kulturfabrik einem Theaterstück. Es ist der Escher Gymnasiallehrer Ed Maroldt, der diesen „lost space“, für den sich damals kein Unternehmer wirklich interessiert, als Aufführungsort für ein Theaterstück ausfindig macht.

Am 12. November 1981 bringt er, gemeinsam mit Ad Deville und Gast Rollinger sowie Teilen des Ensembles des Kasemattentheaters, das Stück „Konzert zum heiligen Ovid“ des Spaniers Antonio Valerio Buejo auf die Bühne. Die Aufführung in den Käfigen des ehemaligen Schlachthofes wird ein Riesenerfolg. Allerdings konnte Maroldt, wie René Clesse 1991 in der Zeitschrift „Bordangs Louis“ schrieb, wohl „nicht ahnen, welche(n) Stein(e) er damit ins Rollen bringen würde“.

Hundert Welten

Jene, die sich Mitte November dieses Jahres zur Feier in der Kulturfabrik einfinden (oder in Gedanken dabei sind), wissen, was sie in Bewegung gebracht haben. Sie alle sind Teil dieses damaligen Aufbruchs und Erfolges – bis heute. Sie alle beim Namen zu nennen, würde den Rahmen des Erzählbaren sprengen. Sagen wir es so, Ed Maroldt hat eingeladen und viele, ganz viele folgten. Nicht nur jene, die damals beim „Konzert zum heiligen Ovid“ dabei waren, aber auch jene, die zuvor oder später zur Theatertruppe des charismatischen Regisseurs gehörten. Es ist eine lebensfrohe Truppe. Kein üblicher Konveniat, kein trauriges Zurückblicken, eher ein hoffnungsvoller Blick nach vorne. Um dabei zu sein, haben einige ihre Verpflichtungen oder Reisen vorzeitig abgebrochen, andere sind von weit her extra angereist.

Von all diesen Menschen und von dem, was sie in ihrem Leben bewegt haben und immer noch bewegen, gäbe es hundert Geschichten zu erzählen und hinter jeder Geschichte eine Welt. Der Lehrer lebt weiter in seinen Schülern, sagt Ed Maroldt, er spricht von Begeisterungsfähigkeit: „Wichtig ist es, dass diese Schüler es dann ihrerseits weitergeben. Ich denke, dass mir das geglückt ist. Ich habe Nachfolger in vielen Bereichen. Im Theater, im Filmschaffen sowie mit dem Uelzechtkanal oder der Theatergruppe im ,Lycée de Garçons Esch‘, wo ich lange Jahre als Lehre tätig war.“

Die Kaderschmiede Ed Maroldts hatte in der Tat viele Talente hervorgebracht. Seine Theaterarbeit hat zum Beispiel auch den Weg bereitet für die Filmproduktion „Samsa“ oder die Theater GmbH, die im Jahr 1982 den Ort des alten Schlachthofes für Aufführungen von Nico Helminger und Guy Rewenig nutzte und damit letztendlich und nachhaltig dafür sorgte, dass der alte Schlachthof zur Kulturfabrik umfunktioniert wurde, die heute eine überregional bedeutsame Kulturinstitution ist.

Hindernisse

Die Transformation des ehemaligen Industriegeländes in einen Ort der künstlerischen Kreativität verlief zunächst allerdings alles andere als reibungslos. Die Gemeinde Esch hatte das alte Gemäuer nämlich nur befristet zur Verfügung gestellt, bis sich ein Käufer oder Mieter finden würde. Die Theater GmbH und die kulturellen Akteure, die sich im Lauf der Zeit zu ihr gesellten und die gemeinsam unter dem Sammelnamen „Kulturfabrik“ firmierten, hatten daher ein paar Proben zu bestehen, bevor die kulturelle Nutzung der Räumlichkeiten gewährleistet war.

Das erste Hindernis stellte sich ihnen in den Weg, als die Gemeinde den Schlachthof im März 1983 zur Versteigerung aussetzte. Da sich aber kein Interessent fand, stellte der Schöffenrat den jungen Leuten den Schlachthof weiterhin zur Verfügung, bis im September desselben Jahres eine Benzinfirma Interesse an der Einrichtung einer Tankstelle auf dem Areal bekundete.

Aufbruch

Diesmal wurde mit einer Protestaktion reagiert. Eine Straßensperre wurde errichtet und eine Unterschriftenaktion unter dem Motto: „D’Schluechthaus fir d’Kulturfabrik. D’Schluechthaus därf keng Tankstell gin“ gestartet. Der Escher Schöffenrat setzte eine Kommission ein, um über die zukünftige Verwendung des Schlachthofes zu befinden. Nachdem überdies im Dezember 1983 das Escher Theater im Anschluss an die Aufführung einer Operette von Mitgliedern und Sympathisanten der Kulturfabrik friedlich besetzt worden war, bot die Gemeinde der im September 1983 gegründeten Kulturfabrik asbl Anfang 1984 schließlich eine Konvention an. Der dauerhaften Umwandlung des „Ale Schluechthaus“ in eine „Kulturfabrik“ stand nun nichts mehr im Wege.

So viel zur Geschichte. Wer zur späten Stunde die Kulturfabrik verlässt und zwischen den Säulen, auf den Pflastersteinen haltmacht, sollte wissen, dass es nicht Herbst ist, sondern Frühjahr. Denn alles, was vor 40 Jahren gepflanzt wurde, blüht und wird immer weiterblühen. Ed Maroldt darf beruhigt auf sein Lebenswerk blicken. Andere müssen es bewahren.

Ed Maroldt erzählt

Tageblatt: Würden wir ohne das Theaterstück „Konzert zum heiligen Ovid“ heute hier sitzen?                      Ed Maroldt: Aller Wahrscheinlichkeit nach nicht. Der alte Schlachthof wäre abgerissen und eine Tankstelle oder etwas Anderes wäre an seine Stelle gesetzt worden. Wir hatten einfach die Chance, dass einige die Arbeit, die wir bereits vor 1981 mit Jugendlichen in Esch gemacht haben, wertschätzten und ihr künftiges Potenzial erkennen konnten. Ad Deville sagte damals, wenn wir das weitermachen, werden wir nichts anderes mehr machen in unserem Leben. Wir hatten aber die Chance, dass die, die nach uns gekommen sind, weitermachen wollten. Wir waren also sozusagen der Anfang von etwas, das andere weiterführten. Ich denke, dass das, was wir ihnen mit auf den Weg geben konnten, der Enthusiasmus war, ein Virus der Begeisterungsfähigkeit. Unser Ziel ist es nie gewesen, Schauspieler aus ihnen zu machen, es ging darum, ihnen Selbstvertrauen mit auf den Weg zu geben und zu zeigen, wie sie ihr Engagement, das sie im Theatermilieu erlebt haben, anderswo ausleben und weitertragen können.
War das Stück „Konzert zum heiligen Ovid“ damals eine bewusste Wahl?                                     
Ich habe vor allem die Möglichkeiten erkannt, welche der alte Schlachthof bot, um dieses Stück aufzuführen. Am Ende der Vorstellung waren selbst jene, die anfangs skeptisch waren, überzeugt. Irgendwo hatte es natürlich auch mit Buejo, dem Autor des Stückes zu tun, der lange Zeit in Spanien inhaftiert war. Es war natürlich ein Stück gegen die Kirche, vor allem aber gegen die Obrigkeit, welche die Menschen ausbeutete. Darum ging es mir aber nicht an erster Stelle, so politisch war ich nicht. Mir ging es um die Freude am Theaterspiel.                                                                                                                        Was sagen sie zu dem, was aus all dem geworden ist?                                                         
Irgendwo steht der Satz, der Lehrer lebt weiter in seinen Schülern. Richtig gut wird es dann, wenn die Schüler es ihrerseits weitergeben. Ich denke, das ist mir geglückt, ich habe Nachfolger in vielen Bereichen. Im Theater, im Filmschaffen oder mit dem Uelzechtkanal im Escher „Lycée de Garçons“, wo ich lange Jahre als Lehrer gearbeitet habe.

Kulturfabrik heute

„Die aktuelle Situation im gesamten Kulturbereich ist schwierig, aber wir haben es immer verstanden, uns an die ständig wechselnden Gegebenheiten anzupassen und haben in dieser Zeit auch neue Projekte erschaffen. Wir schauen weiter motiviert in die Zukunft und lassen uns nicht unterkriegen“, so René Penning, der seit Mai 2020 Direktor der Kulturfabrik ist.                                                                                  Etwa 30 Personen arbeiten heute im Kulturbetrieb – in der Direktion, Verwaltung, Programmation, Produktion, Kommunikation, Technik, Wartung &Logistik oder in der hauseigenen Bar „Ratelach“. (Dieser Name stammt übrigens vom damaligen CSV-Schöffen Ady Jung, der wenig übrig hatte für die Entwicklung in der Kulturfabrik).                                                                                                                              Die Zukunft der Kulturfabrik beschreibt René Penning wie folgt: „Die Kulturfabrik ist ein Kulturzentrum, das sich der künstlerischen Forschung und des Experimentierens sowie der kulturellen Entwicklung der Stadt Esch, Luxemburg und der Großregion widmet.“  Das künstlerische Schaffen steht im Zentrum der Kulturfabrik.                                                                                                                                                                Das Gesamtbudget der Kufa liegt dieses Jahr bei etwa 2,9 Millionen. Dies setzt sich aus den Subventionen der Gemeinde Esch, dem Kulturministerium und eigenen Einnahmen der Kulturfabrik zusammen. Wirklich ausreichend ist das nicht, so René Penning: „Die Lebenskosten sind in der Pandemie drastisch gestiegen und ich hoffe, dass unsere Budgets dementsprechend angepasst werden. Die Künstler leiden als erste unter dieser schwierigen Situation und unsere Häuser brauchen auch weiterhin die nötigen Mittel, um kreatives Schaffen zu fördern und die Künstler über Künstlerresidenzen zu unterstützen.“                                                                                                                                                            Was ist sein Herzenswunsch für die Zukunft? „Den Künstler und dem Publikum professionelle Bedingungen anbieten zu können. Deshalb wünschen wir eine Renovation der Kulturfabrik, um auch weiterhin daran zu arbeiten, Esch zum kreativen Zentrum des Landes anwachsen zu lassen.“