Montag1. Dezember 2025

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Opfer des Alu-BoomsKonzern mit Niederlassung in Luxemburg gefährdet Gesundheit Tausender Menschen in Brasilien

Opfer des Alu-Booms / Konzern mit Niederlassung in Luxemburg gefährdet Gesundheit Tausender Menschen in Brasilien
Bewohner des Quilombos Sitio Conceição protestieren gegen eine Abwasseraufbereitungsanlage auf ihrem Gemeindegebiet und weisen auf die Schäden hin, die durch Hydro entstanden. Sie werden unterstützt vom Miserior-Partner Terra de Direitos, Bacaren. Foto: Florian Kopp/Miserior

Aluminium boomt. Das Leichtmetall, das aus dem Mineral Bauxit gewonnen wird, dient der Produktion von Autos und Maschinen, Leitungen und Rohren, Alufolie und Dosen – und der Herstellung von Solar- und Windkraftanlagen. Es ist also wichtig für die Energiewende. Seine Schattenseiten offenbart ein Besuch im brasilianischen Bundesstaat Pará.

Jucelina zittert die Stimme, als sie beginnt, davon zu erzählen, was am 5. Februar 2018 geschah. „Im Morgengrauen hatte es stark geregnet“, erinnert sich die junge Frau aus Barcarena, einer Stadt unweit der Amazonas-Metropole Belém. „Ich war bereits an meinem Arbeitsplatz, als sich die Menge des Wassers in den Auffangbecken dramatisch erhöhte. Wenn nicht ein Teil davon in den Fluss abgelassen worden wäre, hätte es die Wand des Beckens gesprengt.“ Jucelina sah die seltsam verfärbte Flüssigkeit in dem Becken. „Das Wasser musste kontaminiert worden sein“, sagt sie. „Wie sich später herausstellte, waren alle möglichen giftigen Substanzen eingedrungen, etwa Blei, vor allem aber roter Schlamm.“ Letzterer ist ein giftiger Rückstand, der bei der Gewinnung von Aluminiumoxid entsteht, einem Zwischenprodukt bei der Herstellung von Aluminium aus Erzen wie Bauxit. Dazu wurden Phosphor, Fluoride und Nitrat in hoher Konzentration nachgewiesen.

Gift in Trinkwasser und Boden

Einer der Vertreter der Quilombos
Einer der Vertreter der Quilombos Foto: Florian Kopp/Miserior

Jucelina erzählt weiter: „Alle in meiner Familie spürten wir später einen starken Juckreiz nach dem Duschen. Eine meiner Töchter bekam einen starken Ausschlag.“ Ähnlich erging es anderen Bewohnern in der Nähe des Auffangbeckens. Manche bekamen Durchfall. Was aber noch viel schlimmer gewesen sei: „Die giftigen Stoffe waren ins Trinkwasser eingedrungen.“ Das Wasser und die Böden seien kontaminiert worden, so die Zeugin. Mindestens zwei ihrer Kollegen seien an Krebs erkrankt. Was nicht minder schlimm war: „All das war weder von den örtlichen Behörden noch von der Firma kommuniziert worden. Es sollte unter den Teppich gekehrt werden. Auch die Umweltbehörde verschwieg.“ Heute arbeitet Jucelina nicht mehr für das Unternehmen, dem sie die Verantwortung für den folgenreichen Unfall gibt: Hydro AluNorte. Weil einige Personen ihrer Familie noch dort beschäftigt sind, will sie nicht mit ihrem richtigen Namen genannt werden.

Nach außen stelle sich Hydro als durchaus positiv dar, weiß Jucelina, andererseits geht es mit der geforderten Entschädigung nicht richtig voran. Und von der Verschmutzung der Luft spreche kaum jemand. Die sei ein noch weitaus größeres Problem als die Rückstände im Wasser, „weil wir sie nicht wahrnehmen können“. Die 1995 eingeweihte Raffinerie Hydro AluNorte in Barcarena ist – zumindest außerhalb Chinas – die weltweit größte Raffinerie für Aluminiumoxid, das aus Bauxit gewonnen wird. Das Bauxit stammt von Mineração Paragominas und wird über eine Pipeline transportiert, oder von Mineração Rio do Norte über den Hafen von Vila do Conde. Ein Teil des Aluminiumoxids wird exportiert, der andere Teil an das ebenfalls in Barcarena ansässige Werk von Alumínio Brasileiro (Albras) geliefert. Bei der Produktion des Aluminiumoxids entsteht ein Rückstand, der gewaschen, gefiltert und in zwei Depots der Raffinerie gelagert wird.

Bei AluNorte, das 2.200 Mitarbeiter beschäftigt, werden nach Konzernangaben zur Kapazität bis zu 6,3 Millionen Tonnen Aluminiumoxid pro Jahr produziert. Bei Norsk Hydro handelt es sich um einen der größten Aluminium-Produzenten der Welt. Der aus Norwegen stammende Konzern mit Hauptsitz in Oslo beschäftigt weltweit mehr als 32.000 Mitarbeiter. Albras ist ein Joint Venture von Norsk Hydro oder einfach Hydro mit Nippon Amazon Aluminium Co. Ltd., das die Aluminiumhütte in Barcarena betreibt. Hydro hatte 2011 den Geschäftsbereich von dem brasilianischen Unternehmen Vale übernommen. Etwa 6.000 fest angestellte Beschäftigte arbeiten in Brasilien für den Konzern, insgesamt dürften es etwa 10.000 sein.

Global Alu-Player in Clerf

Dieser gab erst anderthalb Monate nach dem Unfall von 2018 zu, dass verunreinigtes Wasser aus dem Auffangbecken ungeklärt in den Fluss geleitet wurde, räumte die Verantwortung dafür ein und entschuldigte sich. Außerdem kündigte das Unternehmen eine interne Untersuchung an. Das Werk AluNorte wurde von einem brasilianischen Gericht angewiesen, die Produktion um die Hälfte zu reduzieren. Dem Geschäft mit dem Aluminium tat dies keinen Abbruch, schließlich boomt es. Hydro hat nach eigenen Angaben Geschäftsaktivitäten an mehr als 140 Standorten in 42 Ländern und stellt sich auf seiner Website als führendes Unternehmen dar, was erneuerbare Energien angeht – „für eine nachhaltigere Zukunft“. In Luxemburg hat es in Clerf seinen größten Aluminium-Umschmelzbetrieb mit einer Kapazität von mehr als 100.000 Tonnen pro Jahr und 65 Mitarbeitern.

In der Ösliner Anlage schmilzt der Konzern Aluminiumschrott zu Strangpressbarren um. Insgesamt bestehen 40 Prozent des produzierten Materials aus Recycling. Nachdem er im Sommer noch einen Gewinnsprung von über 33 Prozent und einen operativen Gewinn von rund 650 Millionen Euro vermeldete, ist der Aluminium-Riese mittlerweile auf die Bremse getreten. Vor wenigen Tagen verkündete Hydro für 2026 die Schließung von fünf Standorten in Europa: davon zwei in Großbritannien und jeweils einen in Deutschland, Italien und den Niederlanden mit insgesamt 730 Beschäftigten. Als Begründung hieß es, man wolle dadurch die Wettbewerbsfähigkeit steigern.

Derweil präsentiert sich Hydro in Brasilien als Sponsor für Umweltprojekte etwa zur Wiederaufforstung. „Alles Propaganda“, sagt Carlinhos. „Wer Belém und die Umgebung besucht, bekommt in der Tat den Eindruck vermittelt, dass Hydro viel unternimmt.“ Der Journalist aus Belém beschäftigt sich schon seit zwei Jahrzehnten mit Umweltthemen. Er weiß: „Der Wald ist schon so sehr zerstört, dass er nicht mehr in seinen ursprünglichen Zustand zurückgelangt, weil die Böden zerstört sind. Auch die Artenvielfalt hat abgenommen.“

Der Wald ist schon so sehr zerstört, dass er nicht mehr in seinen ursprünglichen Zustand zurückgelangt, weil die Böden zerstört sind

Carlinhos, brasilianischer Journalist

Die Bewohner einiger Quilombos, jener Gemeinschaften, die einst als Niederlassungen von früheren Sklaven im 19. Jahrhundert entstanden, waren direkt von dem Unfall 2018 betroffen. „Wir entnahmen Wasserproben und schickten es an ein Labor“, erzählt Alberto, der wie Jucelina nicht mit richtigem Namen genannt werden möchte – er wurde schon mehrmals bedroht. Das Labor habe die Kontaminierung bestätigt, weiß er. „Ich habe früher noch aus dem kleinen Fluss Wasser getrunken. Das ist heute nicht mehr möglich.“ Fünf Quilombos wurden in eine Liste als Risikozonen aufgenommen. Mehrere Anwaltskanzleien gingen für eine Vereinigung von Quilombos in den Niederlanden vor Gericht und reichten Klagen ein, um eine Entschädigung für insgesamt 11.000 Familien zu fordern.

Während Norwegen mit mehr als einer Milliarde Euro bereits der größte Beitragszahler des „Amazon Fund“ zum Erhalt und der Renaturierung des Amazonas-Regenwaldes sein soll, hält die Regierung Norsk Hydro den Rücken frei, damit der Konzern weiter in der Region wirtschaften kann. Der norwegische Staat ist mit 43,8 Prozent Anteil Hauptaktionär des Aluminiumproduzenten, zu dessen Kunden große Autokonzerne gehören – und die Erzeuger von erneuerbaren Energien.

Anlagen des Aluminiumkonzerns Hydro bei Barcarena im brasilianischen Bundesstaat Pará
Anlagen des Aluminiumkonzerns Hydro bei Barcarena im brasilianischen Bundesstaat Pará Foto: Florian Kopp/Miserior