Ein Abschiedsbrief: Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich

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Ich will dich nicht auf die Folter spannen: Ich schreibe dir, um dir mitzuteilen, dass ich glaube, dass es besser ist, wenn wir uns nicht mehr sehen. Ich bitte dich trotzdem, diesen Brief zu Ende zu lesen. Das sind wir uns doch schuldig. Nach all der Zeit …

Das mit uns ging los, als ich gerade 18 geworden war. Eigentlich hat man in dem Alter noch keine Vorstellung davon, was Freiheit bedeutet. Doch wollte ich sie ausleben. Sie teilen. Unter anderem mit dir. Das traf sich gut, denn wir hatten ein gemeinsames Interesse, das für mich bis heute einen essenziellen Stellenwert hat: nämlich die Musik. Ob das bei dir heute noch der Fall ist, vermag ich nicht mehr einzuschätzen. Ich verliere so langsam den Glauben daran. Aber dazu später mehr.

Ich werde den Anfang unserer gemeinsamen Zeit nie vergessen, den Muskelkater nach durchtanzten Nächten, zu denen Faithless, die Chemical Brothers oder auch Daft Punk den Takt angaben. Die ersten „24 heures électroniques“, ein Novum in der damaligen Zeit, bei denen wir uns zusammen an der eklektischen Auswahl der Künstler erfreuten und in der Musik versinken wollten, als gäbe es kein Morgen.

Dann ging ich weg zum Studieren. Du bliebst hier, während ich im Ausland diverse Locations austestete, manche hassen und andere lieben lernte. Jedoch warst du im Hinterkopf immer da. Wenn ich mal Fronturlaub von der Uni hatte, führte mein Weg nicht selten zu dir. Ich werde nie vergessen, wie wir bei Paul Kalkbrenners erstem Auftritt in Luxemburg in der zweiten Reihe standen und die Person vor mir mich bat, doch bitte aufzuhören, zu tanzen. Uns war das egal. Man tanzte, weil man musste, weil die Musik nun mal so etwas mit einem macht.

Manchmal kam ich sogar extra wegen dir für wenige Tage zurück. So zum Beispiel, als Portishead in Luxemburg Station machte. Ich wollte diese Band nicht verpassen, die ein wichtiger Bestandteil des Soundtracks meiner Jugend gewesen war. Und doch merkte ich, dass sich irgendetwas verändert hatte. Jahrelang war es nicht schlimm gewesen, etwas weiter hinten zu stehen, um mehr Raum zum Atmen, Tanzen und Genießen zu haben. Aber bereits auf diesem Konzert unterhielten sich zahlreiche Besucher so, dass sie die Musik förmlich übertönten. Es fühlte sich an, als ginge es nicht mehr um ein gemeinsames Erlebnis, sondern einen Wettbewerb. Als würde ein Kampf darum ausgefochten, wer am lautesten ist. Die Musik rückte immer mehr in der Hintergrund.

Die Jahre verstrichen und auch dein Geschmack veränderte sich. Es ist nicht so, dass das einem nicht zustehen würde. Dennoch fiel es mir schwer, nachzuvollziehen, warum du auf einmal auf Musicals und Ballett abgingst. Und warum es scheinbar mehr darum ging, was die Masse will, als um das, was du fühlst und was die Musikwelt geprägt, ja gar revolutioniert hat. Wenn du dich nicht gerade mit teurer Billigware umgabst, waren auf einmal wieder alte Schinken Thema, die 90er- und Nullerjahre wurden aus der Mottenkiste gepackt und recht lieblos in die Mikrowelle katapultiert, was ihren ohnehin modrigen Geruch beileibe nicht verbesserte.

Wenn auch Lauryn Hill – zumindest in Bezug auf den bereits überschrittenen Zenith – unter selbige Kategorie fallen könnte, gewährte ihr Auftauchen doch einen Hoffnungsschimmer. Ein Hoffen darauf, dass es in diesem Zirkus doch noch ein klein wenig um Musik geht. Vor allem war es angenehm, dass eine Tribüne aufgebaut wurde, sodass man in diesem äußerst wenig einladenden Betonklotz wenigstens noch mehr als nur Bildschirme sieht, wenn man nicht mehr in der ersten Reihe stehen muss oder will.

Ich habe nun vergangenen Sonntag den letzten Versuch unternommen, wieder zu dir zu finden. Wollte gemeinsam mit dir spannenden Wegbereitern des britischen Acid Jazz gedenken und machte mich somit auf, um Jamiroquai live zu erleben. Ich war bereit, die unfreiwillig komische Tatsache auszublenden, dass der aufgeblähte, ehemals reichlich verkokste, in die Jahre gekommene Sänger mit seiner Schizophrenie bestehend aus selbstgerechten Endzeitprophezeihungen und dem Besitz von unzähligen fetten Protzkarren eigentlich auch Luxemburger sein könnte.

Ich wollte Musik hören, glaubte mich jedoch eher in der Hochburg der Massentierhaltung angekommen. Mir ist klar geworden, dass ich es nicht mehr aushalte, an Orten zu sein, die befreit von jeglichem Flair sind. Keine Seele haben. Konsumpaläste gibt es in Luxemburg zur Genüge. Daher hält sich mein Bedarf, mich auch noch mit derartigem Firlefanz zu umgeben, wenn ich eigentlich der Arbeit von Künstlern lauschen möchte, nicht nur in Grenzen, sondern ich weigere mich, dieses Spiel weiter mitzuspielen.

Wir haben uns auseinandergelebt. Man kann es nicht anders sagen. Letztlich wird es dich wahrscheinlich nicht sonderlich schmerzen, denn du hast längst neue Freunde gefunden. Dass mein Platz frei wird, wird demnach nicht wirklich jemand merken. Außer mir natürlich. Das reicht mir und meinem kulturellen Gewissen.

Lebe wohl, großer Saal der Rockhal!
Anne

Catherine Gaeng
5. Juni 2019 - 22.30

Natürlich hat das von jeglichem Flair befreite Ort neue Freunde gefunden, aber genau darum geht es : sich weigern das (dieses) Spiel weiter mitzuspielen.