Die Fed legt die Messlatte für die Einführung eines digitalen Retail-Dollars extrem hoch. Zunächst einmal heißt es, dass die neue Form des Geldes Vorteile bieten muss, die effektiver sind als andere Methoden, womit vermutlich an den Dollar gekoppelte digitale Stablecoins und entsprechend vorhandene Bankkonten gemeint sind. Ein Vorteil eines digitalen Dollars soll beispielsweise darin bestehen, dass er „Echtzeit-Clearing“ für kleine Zahlungen ermöglicht, was natürlich bereits mit Papierwährungen möglich ist, und die Fed plant, bald elektronische Zahlungen rund um die Uhr über Banken einzuführen. Die digitale Währung muss auch die Privatsphäre schützen (andererseits sagen das auch die chinesischen Behörden) und darf keine kriminellen Aktivitäten erleichtern, was angesichts der Beliebtheit des 100-Dollar-Scheins in der globalen Schattenwirtschaft nicht ohne Ironie ist.
Die größte Herausforderung ist der Anspruch der Fed, dass die erwarteten Vorteile der Einführung eines digitalen Dollars die damit verbundenen Risiken überwiegen müssen. Dies ist eine sehr hohe, aber angemessene Hürde. Trotz aller Mängel der bestehenden Finanzinfrastruktur der Welt ist ihr Innenleben seit Jahrzehnten weitgehend intakt geblieben. Stellen Sie sich ein Albtraumszenario vor, in dem ein schlecht konzipierter digitaler Dollar eine „Hintertür“ offen lässt, die es einer feindlichen ausländischen Macht ermöglicht, das gesamte auf dem Dollar basierende globale Finanzsystem auf einen Schlag lahmzulegen.
Abgesehen von den Risiken ist es nicht schwer nachzuvollziehen, warum sich die Fed gegen jegliche Veränderung des bestehenden Finanzsystems sperrt. Immerhin bringt die internationale Dominanz des Dollars den Vereinigten Staaten unzählige Vorteile. Er senkt die Zinssätze, die amerikanische Bürger und Unternehmen zahlen müssen, ganz zu schweigen von denen für den größten Kreditnehmer der Welt, die US-Regierung – was Valéry Giscard d’Estaing, der damalige französische Finanzminister, bekanntermaßen als Amerikas „exorbitantes Privileg“ bezeichnete.
Einfluss auf das globale Finanzsystem
Die Dominanz des Dollars verschafft den US-Behörden auch Einfluss auf das globale Finanzsystem, einschließlich eines privilegierten Zugangs zu Informationen über weltweite Dollar-Transaktionen. Außerdem können die USA dadurch erhebliche Finanzsanktionen verhängen. Seit seiner Annexion der Krim im Jahr 2014 ist Russland Gegenstand gezielter finanzieller Sanktionen, aber die Regierung von Präsident Joe Biden droht nun im Falle einer russischen Invasion in der Ukraine mit weitaus schärferen Maßnahmen.
Da andere Zentralbanken bei der Einführung digitaler Währungen schon weiter sind, befürchten einige, dass es der Fed ähnlich ergehen werde, wie einst dem Unternehmen Eastman Kodak (das mit der Verarbeitung von Filmen ein Vermögen machte), als die Digitalfotografie aufkam, oder wie Schweizer Uhrmanufakturen, als digitale Zeitmesser allgegenwärtig wurden und mechanische Uhren nicht mehr gefragt waren.
Aber es gibt noch einen anderen, subtileren Grund für die Zurückhaltung der Fed in Bezug auf den digitalen Dollar: Die USA sind im Grunde immer noch eine Demokratie und eine Marktwirtschaft. Obwohl die Regierung über erhebliche regulatorische und rechtliche Befugnisse verfügt, um die Einführung ihrer digitalen Währung voranzutreiben, gilt dies nur bis zu einem gewissen Grad. Die amerikanische Öffentlichkeit kann nicht gezwungen werden, einen Übergang zu akzeptieren, den sie nicht will. Erinnern Sie sich noch daran, als das Finanzministerium versuchte, 2-Dollar-Scheine populär zu machen, weil man dadurch Geld für den Druck von Einzelmünzen sparen würde?
Keine zweite Chance
Wenn die USA also versuchen, einen digitalen Dollar für den Einzelhandel einzuführen – und ich glaube, dass sie das irgendwann tun werden –, werden sie vielleicht keine zweite Chance bekommen. Derzeit ist die Palette der Technologien und Optionen für digitales Zentralbankengeld fast grenzenlos. (Die Währungsbehörde von Singapur hat kürzlich einen Wettbewerb zur Gestaltung des digitalen Singapur-Dollars ausgeschrieben, und in der Endrunde – bei der ich einer der Juroren war – gab es nicht weniger als 15 verschiedene Beiträge). Wenn die chinesische Regierung beschließt, dass sie sich für die falsche Technologie für ihre CBDC entschieden hat, dann kann sie so ziemlich jedem sagen, dass sie einen neuen Versuch wagen will. Wenn aber der erste Versuch der Fed, einen digitalen Dollar einzuführen, aufgrund mangelnden öffentlichen Interesses und politischen Drucks scheitert, muss sie vielleicht Jahrzehnte warten, bevor sie es erneut versucht.
Ein Thema, das im White Paper der Fed auffallend wenig Erwähnung findet, ist die Frage, wie die Fed die dezentralisierten Finanztechnologien des Web 3.0 zu regulieren gedenkt – ein Bereich, in dem die US-Behörden bisher zu oft untätig geblieben sind. Insbesondere müssen die US-Regulierungsbehörden dringend mehr tun, um das Wachstum privater Kryptowährungen und ihrer zahlreichen Derivate zu lenken und einzudämmen. Die US-Senatorin Elizabeth Warren sagt: „Kryptowährungen sind die neue Schattenbank.“ Die weit verbreitete Ansicht, dass Kryptowährungen im Grunde nur für Investitionen und nicht für Transaktionen und Kapitalflüsse genutzt werden – eine Ansicht, der sich auch das Fed-Paper anschließt – ist Wunschdenken, wie jüngste Untersuchungen gezeigt haben.
Regulierung
Der Fed-Vorsitzende Jerome Powell argumentiert, dass die Einführung einer digitalen US-Zentralbankwährung die Nachfrage nach Kryptowährungen untergraben würde. Dies ist einer der Beweggründe der Fed für die Erstellung ihres White Papers. Doch ein Großteil der Nachfrage nach Kryptowährungen wie Bitcoin stammt aus der globalen Schattenwirtschaft, sei es für illegale Drogenkäufe im Dark Web, Sanktionsumgehung durch russische Oligarchen, Kapitalflucht, Geldwäsche oder Steuerhinterziehung.
Es führt kein Weg daran vorbei, die Verwendung von Kryptowährungen in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften und die Verwendung von CBDC in anderen Ländern streng zu regulieren, sobald diese international eingesetzt werden. Die Vorsicht der Fed bei der Einführung eines digitalen Dollars ist verständlich, aber das ist keine Entschuldigung für das langsame Tempo der Regulierungsreform.
* Kenneth Rogoff, der ehemalige Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds, ist Professor für Wirtschaft und öffentliche Ordnung an der Harvard University.
Aus dem Englischen: Andreas Hubig
Copyright: Project Syndicate, 2022. www.project-syndicate.org
De Maart
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können