Klubs in der KriseDie vergessene Nachtwelt: In Luxemburg kämpfen die Diskos ums nackte Überleben

Klubs in der Krise / Die vergessene Nachtwelt: In Luxemburg kämpfen die Diskos ums nackte Überleben
2020 wird nicht mehr wild gefeiert, sondern im Sitzen in der Disko diniert und zur Musik geschunkelt, denn nur so können Luxemburgs Nachtklubs überhaupt noch überleben Foto: Melusina

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Es ist ein Schrei nach Hilfe, der seit Ende August in den sozialen Medien kursiert. „#dontforgetus“ – „Vergesst uns nicht“, dies ist die Botschaft der Disko- und Barbesitzer aus Luxemburg an Bürger und Politik. Seit sechs Monaten befindet sich das Nachtleben im Großherzogtum im Stillstand. Dort, wo wieder Leben eingekehrt ist, sind die Voraussetzungen fast nicht umsetzbar, die meisten müssen ihre Türen weiterhin geschlossen lassen und auf neue Richtlinien warten. Mit ihrer Aktion wollen M Club, Melusina, Saumur Crystal Club und Co. nun um Unterstützung bieten, denn lange kann die Szene trotz alternativen Partyversuchen die aktuelle Lage nicht mehr stemmen.

Leere Tanzflächen, Schunkeln im Sitzen, Striptease hinter Glas – wer 2020 Party machen will, der muss Kompromisse eingehen, denn durch Corona hat sich das Nachtleben drastisch verändert. Wo noch vor sechs Monaten bis in die frühen Morgenstunden Rummel herrschte, ist es heute ab Mitternacht menschenleer. Die Nacht durchmachen? Fehlanzeige. Doch während Jugend und „Nuetseilen“ ihr Treiben lästigerweise im kleinen Kreis nach Hause verlagern müssen, bedeutet die aktuelle Situation für die Bar- und Diskoszene den nackten Kampf ums Überleben. Einnahmen, die am Nullpunkt kratzen, laufende Kosten, Personal, das um seine Zukunft bangt – all dies gehört zur Realität, in der sich Klubs in Luxemburg derzeit befinden. „Wir fühlen uns total ausgeliefert, vor allem da nicht absehbar ist, wann wir wieder in die Normalität zurückkehren dürfen“, heißt es aus den Reihen der Nachtlokal-Betreiber. In einem einminütigen Video appellieren die Geschäftsführer an Bürger und Politik, sie nicht zu vergessen.

Eigentlich ist der Appell jedoch eine Forderung nach Taten, denn so kann es in der Branche nicht weitergehen. „Die erlaubten Öffnungszeiten müssen unbedingt erweitert werden, so wie es in unseren Nachbarländern der Fall ist, damit die Leute sich überhaupt vorstellen können, in einen Klub in Luxemburg zu gehen“, meint Edvin Huremovic, Geschäftsführer des M Club. Ein funktionierendes Beispiel sei die Schweiz, in der Tracing-Listen in Nachtlokalen geführt werden, damit diese zwar überwacht werden, der Betrieb sich aber weiterhin lohnt. Auch die Brüder de Toffol, Betreiber des Nachtrestaurants und Stripklubs Saumur Crystal Club, verweisen auf die Handhabung in anderen Ländern: „In vielen Städten wurden die Öffnungszeiten zwar jetzt wieder auf maximal 1.00 Uhr reduziert, in Metz, Saarbrücken und Trier haben die Diskotheken aber teilweise bis 3.00 oder 5.00 Uhr geöffnet. Wir müssen demnach unsere Kunden um Mitternacht nach Hause schicken, diese feiern dann aber entweder Zuhause weiter oder aber gehen über die Grenze und kommen am Tag danach dann wieder zu uns etwas trinken.“

Über 1.500 Betroffene im Nachtleben

Ungerecht und sinnlos, bedenke man die Freiheiten in den benachbarten Regionen und das viele „va-et-vient“ zwischen den Ländern – so bezeichnen die Lokalbetreiber die aktuelle Situation in Luxemburg, denn während die eigenen Verluste tagtäglich wachsen, wird im Ausland munter weitergefeiert. Laufende Kosten wie Steuergelder, Gebühren für „Nuits blanches“ oder aber Mieten schlagen schwer ins Gewicht – vor allem, wenn der Klub bis dato komplett geschlossen bleiben musste. Besonders die prekäre Lage der eigenen Mitarbeiter bereitet den Geschäftsführern Kopfzerbrechen, denn an einer Disko hängende Dutzende Existenzen. Vom DJ, Barmann, Kellner, Tontechniker bis hin zu den Zulieferern, Küchenpersonal und Security ist die Liste der Arbeitsplätze, die das Luxemburger Nachtleben generiert, lang. Alleine in der Facebook-Gruppe zur „dontforgetus“-Bewegung befinden sich aktuell über 800 Mitglieder, die reelle Zahl der Betroffenen beläuft sich auf über 1.500. Genau aus diesem Grund sei man auch der internationalen Bewegung „Sound of Silence“ aus Holland und Belgien beigetreten, um so gemeinsam mehr Unterstützung zu fordern.

Es würde mich nicht wundern, wenn manche den Kampf nicht schaffen, denn langsam fängt es an, richtig lange zu dauern

Edvin Huremovic, Geschäftsführer des M Club

„Ein Restaurant läuft auch mit den aktuellen Restriktionen. Wenn eine Stunde früher geschlossen werden muss, dann verliert man eben dieses Geld, aber der Betrieb an sich läuft. Bei einer Disko ist dies eine ganz andere Sache, Öffnungszeiten bis 0.00 Uhr haben einfach keinen Sinn, da unsere Gäste noch bis 23.00 Uhr am Esstisch sitzen und sich dann nicht mehr für eine knappe Stunde die Mühe machen, noch in die Stadt zu fahren“, beklagt Erik de Toffol. Mit gezielten Voraussetzungen habe man kein Problem, doch das Arbeiten müsse erst einmal überhaupt möglich gemacht werden. Die Bar aus der städtischen rue Dicks ist ein Kultbetrieb, der seit Generationen jedes Wochenende eine Vielzahl an Gästen anlockt. Doch die Kundschaft erscheint normalerweise erst zu später Stunde, denn das Saumur ist bekannt für seine Gastfreundschaft bis zum Morgengrauen. „Unser Metier besteht darin, die Leute zu empfangen, die aus normalen Bars und Diskotheken rauskommen. Es ist wie beim Afterwork nach 18.00 Uhr, nur dass es bei uns erst nach 3.00 Uhr losgeht. Das ist unsere Klientel“, so de Toffol.

„Seated Clubbing“ statt freiem Tanzen

Nach dem Lockdown hatte das Team des Klubs versucht, den Betrieb im hauseigenen Restaurant wieder aufzunehmen. Die fehlende Kundschaft machte ihnen jedoch schnell einen Strich durch die Rechnung und auch die Ausweichmöglichkeit auf die Rooftop-Bar in der rue Nennig kann die entstehenden finanziellen Verluste nicht auffangen. „Würde man uns sagen, dass wir nur eine gewisse Anzahl an Leuten hereinlassen dürfen, damit könnten wir arbeiten. In Österreich wird es beispielsweise so gehandhabt, dass der Einlass nur bis Mitternacht gewährt wird, anschließend aber alle anwesenden Gäste normal bleiben dürfen“, so die Geschäftsführung. Ohne eine ähnliche Anpassung der Richtlinien oder weitere Hilfen vom Staat können viele nicht länger durchhalten und die Szene riskiert, bis zum Ende der Krise zahlreiche Schließungen vermerken zu müssen. „Die Stimmung in der Branche ist nicht gut, wir kämpfen alle. Es würde mich nicht wundern, wenn manche den Kampf nicht schaffen, denn langsam fängt es an, richtig lange zu dauern“, meint auch Edvin Huremovic.

Die Absage wichtiger Events in eben den vier Monaten, die im Nachtleben mit als die beliebtesten gelten, sowie die stetige Ungewissheit darüber, wie es denn nun weitergehen soll, sind für die meisten schlichtweg untragbar. Einziger Lichtblick sind Alternativen, die zwar keinesfalls den regulären Betrieb ersetzen, kurzweilig aber für Abhilfe sorgen. Dank des Ausnahme-Sommers konnte so mancher Klub seine Party nach draußen verlagern und so wenigstens mit Terrassenbedienung etwas Geld in die nach fünfmonatiger Schließung leeren Kassen bringen. Zu den wenigen Glücklichen, die bereits vor Corona einen relativ funktionellen Open-Air-Bereich besaßen, zählt die Kultdisko Melusina in Clausen. Schon vor der Pandemie trafen sich Gäste und Personal für die Zigarette dazwischen oder eine mitternächtliche Grillwurst auf der Terrasse des Lokals. Für die Krise umdisponieren musste das Team von Manager Dan Crovisier dennoch, denn auch in Luxemburgs Nightlife-Hotspot war man nicht auf Party im Sitzen ausgerichtet. „Wir haben viel mehr Kosten laufen als zuvor, da wir alles neu einrichten mussten und nun mehr Personal zum Kellnern benötigen, sodass wir mittlerweile nicht mehr nur zehn Mitarbeiter mit festen Verträgen beschäftigen, sondern insgesamt 25, die auch größtenteils mehr Stunden arbeiten, da wir jetzt auch unter der Woche geöffnet haben“, erklärt Crovisier.

Am 18. September feiert der M Club in „Hollerech“ Wiedereröffnung, und dies mit Tischreservierung und strengem Sitzplan
Am 18. September feiert der M Club in „Hollerech“ Wiedereröffnung, und dies mit Tischreservierung und strengem Sitzplan Foto: M Club

Ein Lichtblick für einige wenige

Um sich auch während der Krise finanziell über Wasser halten zu können, hat das Melusina sein Konzept gänzlich geändert und ist zum „Seated Clubbing“ anstelle des wilden Tanzens auf der Piste gewechselt. „Wir hatten nach der Quarantäne die Idee, draußen einen Biergarten für den Sommer zu errichten. Als dann die ,Schueberfouer‘ definitiv abgesagt wurde, haben wir beschlossen, mit dem Stall und Stübli zusammenzuarbeiten und das Melu zu einer Almhütte umzuwandeln“, so der Manager. Seit dem 20. August dürfen die Gäste des Nachtlokals nun ihr Bierchen auf den Bänken des Klubs genießen. Und auch im Innenbereich hat sich so einiges gewandelt: Wo früher enger Körperkontakt in rhythmischer Bewegung zur Diskomusik an der Tagesordnung stand, wird nun schön brav im Sitzen gefeiert. Wer Party machen will, der muss im Vorfeld einen Tisch reservieren und sich an die strikten Covid-Regeln halten. Bis zu 180 Gäste finden so nun im Melusina Platz, und dies noch mindestens bis Dezember.

Disco Dinner, Neunziger-Party und „Thé dansant“ können so allerdings trotz Krise stattfinden und sind verhältnismäßig gut besucht, teilweise sogar mit kompletter Ausbuchung. Doch auch hier ist um 23.30 Uhr Schluss, denn gen Mitternacht heißt es Türen schließen. Der Manager ist jedoch guter Dinge, denn im Gegensatz zu Branche-Kollegen kann er sein Lokal unter dieser alternativen Form wenigstens weiterführen. „Ab Ende September stehen drei Wochen Oktoberfest an, danach wird alles etwas mehr in Richtung ‚Chalet‘ für die Weihnachtszeit gehen. Es ist immer relativ gefüllt und die Leute amüsieren sich, unser Konzept scheint also gut anzukommen“, so Crovisier.

Von 1.100 Gästen auf knappe 350

Auch im M Club in Hollerich hat sich die Geschäftsführung etwas einfallen lassen, um die Diskothek irgendwie am Leben zu erhalten und nicht Opfer der Krise zu werden. Ähnlich wie in Clausen wird hier künftig auch nur noch im Sitzen gefeiert, das offizielle „Comeback“ ist auf kommenden Freitag datiert. Aber auch hierfür musste erst Geld fließen, damit die Disko überhaupt Covid-freundlich werden konnte. „Wir haben unseren ganzen Klub umgebaut. Es gibt keinen Dancefloor mehr, sondern nur noch Sitzplätze“, erklärt Huremovic. Auch öffnet das M Club nun bereits ab 19.00 Uhr seine Türen und schließt, wenn normalerweise die ersten Gäste hereintrudeln. Vor allem aber die Anzahl an Personen im Inneren hat sich drastisch verändert: „Unsere mögliche Kapazität ist von 1.100 Leuten auf 350 gesunken. Dies ist für uns eine schwere Tatsache, denn wir leben eben gerade von den Massen auf der Tanzfläche.“

Ähnlich sieht die Lage im Saumur aus, wo die nötigen Veränderungen nur teilweise umsetzbar sind und akute Einbußen fordern. „In einem Nachtlokal gibt es nicht viel Spielraum. Wir haben im Vorgarten eine Lounge erstellt, in die wir viel Geld investiert haben, aber wenn es im November wieder einen Lockdown gibt, dann sind wir doppelt gestraft“, so de Toffol. Den Stripbereich kann das Lokal zwar durch Plexiglas vom restlichen Raum trennen, feiern, wie man es bisher kannte, ist allerdings aufgrund der kleinen Fläche nicht möglich. Hinzu kommt, dass Nachtprämien und Trinkgeld fehlen, sodass große Teile des Personals mittlerweile mit viel weniger Einnahmen auskommen müssen als zuvor. Die Situation ist dramatisch, dessen sind sich alle Betroffenen eins. Man verstehe die Rangordnung auf der Prioritätenliste der Politik, in der das Nachtleben nun mal eher hintenansteht, dennoch benötige auch die Partybranche Hilfe – und zwar akut. Vor allem aber gelte es nun, den Dialog zu suchen und gemeinsam Lösungen zu finden, die für alle tragbar sind. Denn bei einer Sache sind sich die Diskobetreiber sicher: „Covid hin oder her, die Leute feiern, auch wenn sie es nicht bei uns tun dürfen.“

wv
wv Foto: Saumur Crystal Club
H.Horst
16. September 2020 - 23.51

Die legendäre Beauforter Discothek FLYING DUTCHMAN, älteste Disco des Landes, hat nach einem Spendenaufruf binnen 36 Stunden ùber 15000 Euro an Spenden von den Fans erhalten.

grenzgegner
16. September 2020 - 17.59

@günther An wen die ausländischen Disco-Besitzer wohl ihre Mieten zahlen?

Günther
16. September 2020 - 14.29

Ja, da haben wohl ein Dutzend ausländische Disco-Besitzer Probleme.