Die Tageblatt-Klangwelten: Rrrote Rrrosen, minimalistische Songs und die besseren Dream Theater

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Rrrote Rrrosen

HEINO: Und Tschüss

Seit der als Heino berühmt-berüchtigte Heinz Georg Kramm Angst und Schrecken in der deutschen Popbranche verbreitet, weil er weithin gefeierte Bands wie Die Ärzte, Sportfreunde Stiller oder Die Fantastischen Vier nachsingt, sind die Verhältnisse etwas durcheinandergeraten. Wo ist das Original, wo nur die Kopie? Was macht den Unterschied zwischen cool und uncool aus? Auch auf dem neuen Album knöpft sich der einst schlagernde Volksmusiker unerbittlich weitere Opfer vor. Immerhin: Es ist sein letzter Streich. Danach ist Schluss.

Hatte es auf dem Album „Mit freundlichen Grüßen“ von 2013 eher banale zeitgenössische Hits erwischt, sind jetzt sogar einige relevante Klassiker vergangener Zeiten dran. Ob Trios „Da Da Da“ mit dem eingeschobenen englischsprachigen Vers, auch von Heino artig mitgesungen, oder Karats „Über sieben Brücken musst du gehn“ in einer eher sterilen Version.

Das Problem: Die ausgewählten Songs sind widerspenstiger als gewünscht, sie haben einen komplexeren Charakter, der sich nicht so leicht ohne Komplikationen austreiben lässt. Kraftwerks lässig groovendes „Model“ wird von der schweren Bariton-Stimme förmlich erstickt, die monotone Leierkastenmusik von „Mackie Messer“ im massiven Orchestersound ertränkt.

Die eingestreuten eigenen Lieder „Wenn das Glück vom Himmel fällt“ oder „Und Tschüss“ erzittern im Hossa-Schlager mit angeheitertem Disco-Beat, dass beinahe ulkig schon wieder kultig wird. Winkewinke darf schließlich die Familie machen: erst Enkel Sebastian als Giesinger-Bendzko-Forster-Verschnitt, dann zum Abschied Frau Hannelore auf den Spuren Hildegard Knefs. Ohne großes Mitleid wird deren reflektierte Bitte „Für mich soll’s rote Rosen regnen“ zur simplen Wünsch-dir-was-Grußbotschaft umgedichtet. Wie Frauchen dabei die „rrroten Rrrosen rrregnen“ lässt, ist ein beeindruckendes Geschenk an ihren Göttergatten, der am 13. Dezember schließlich seinen 80. Geburtstag feiert.

Nach der Tour zum Album kann die einst wackere germanische Ikone aus tiefschwarzer Sonnenbrille und hellblonder Perücke dann mit Enkel und Frau ausschließlich die Lieder singen, die ihm wirklich gefallen, ganz privat. Das ist für alle eine versöhnliche Perspektive.
Oliver Seifert

WERTUNG: 5/10 

ANSPIELTIPPS: Da Da Da, Das Model, Mackie Messer

Minimalistische Songs

WILL OLDHAM: Songs Of Love And Horror

Der 48-jährige Singer-Songwriter Will Oldham veröffentlicht seit Anfang der Neunziger Soloalben – mal unter seinem bürgerlichen Namen, mal als Palace, Palace Brothers oder Bonnie „Prince“ Billy. Wer all seine Alben und auch die nicht wenigen Kooperationsalben und -EPs (u.a. mit Faun-Fables-Mitglied Dawn McCarthy) besitzen will, hat einiges zu tun.
Wohl dem, der dabei nicht den Überblick verliert. Denn Oldham veröffentlicht fortwährend Werke. Sein neuestes erschien unter dem Titel „Songs Of Love And Horror“. Es enthält hauptsächlich Songs, die er früher schon mal unter einem seiner Aliase veröffentlicht hat.

Er eröffnet die Platte, auf der nur seine Akustikgitarre und seine Stimme zu hören sind, mit einem eigenen Song aus dem Jahr 1999: „I See A Darkness“, erschienen auf dem gleichnamigen, seinerzeit von der Kritik umjubelten Bonnie-„Prince“-Billy-Album. Fast 20 Jahre alt, hat der Song nichts an seiner Genialität eingebüßt. Er handelt von der Volkskrankheit Depression und der Hoffnung, mithilfe einer eng verbundenen Freundschaft einen Ausweg aus dieser zu finden: „Did you know how much I love you/Is a hope that somehow you/You can save me from this darkness.“

Das oben beschriebene Setting der Aufnahmen garantiert minimalistische Songs. Das Skelett aus Melodie und Gesang reicht Oldham auch vollkommen aus, zumal er eine Stimme mit hohem Wiedererkennungswert sein Eigen nennen darf.

Ihm fällt es nicht schwer, aus dem Duett „Strange Affair“, das 1978 auf „First Light“, dem Album des englischen Folkrock-Duos Richard & Linda Thompson, erschienen war, eine A-cappella-Version zu zaubern.

Übrigens ist soeben auch ein Buch namens „Songs Of Love And Horror“ erschienen – mit Songtexten aus der Feder Oldhams, die er in den mittlerweile 25 Jahren seines Schaffens verfasst hat. Kai Florian Becker

WERTUNG: 8/10
ANSPIELTIPPS: I See A Darkness, So Far And Here We Are, Strange Affair

 

Immer noch besser als Dream Theater …

HAKEN: Vector

Die britische Progressive-Rock/Metal-Band Haken, 2007 gegründet, wurde insbesondere auf ihren ersten Alben immer wieder gerne mit den Progmetal-Übervätern Dream Theater verglichen. Doch der Vergleich hinkt – denn Dream Theater, die seit ihrem 1999er-Meisterwerk „Scenes From A Memory“ nur noch Langeweile verbreiten, können froh sein, wenn sie überhaupt noch Hakens Staub fressen dürfen … Insbesondere das 2013 veröffentlichte Magnum Opus der Briten, „The Mountain“, fasziniert mich ob seines Ideenreichtums, der technischen Finesse und des spannenden Songwritings – nach dem Motto: Es kann nicht genug „Twists“ und „Breaks“ geben – immer noch von Anfang bis Ende und dürfte bis an mein Lebensende zu meinen ewigen Top-10-Lieblingsalben zählen – auch weil der angesprochene Wendungsreichtum immer natürlich und songdienlich klingt und nicht nach einer Art „l’art pour l’art“. Das Nachfolgealbum „Affinity“ (2016) konnte dieses Niveau nicht ganz halten, aber damit hatte ich offen gestanden auch nicht wirklich gerechnet. Neun Punkte ist es mir trotzdem immer noch wert.

Was ich jedoch von der neuesten LP „Vector“ leider nicht ganz behaupten kann. Dass es mit einer knappen Dreiviertelstunde Spielzeit mit weitem Abstand das kürzeste Album der Bandgeschichte ist – geschenkt. Aber selbst über diese relativ kurze Laufzeit geht Haken gegen Ende hin die Puste aus. Dabei beginnt die erneut fett und glasklar produzierte Platte mit dem kurzen, knackigen „The Good Doctor“, dessen Mittelteil mit den von Haken bekannten Breaks und fast schon „djentigen“ Riffs mitzureißen vermag. Haargenau dasselbe könnte man über das folgende Stück „The Puzzle Box“ sagen, das nach etwa der Hälfte schön abgeht und auch den bandcharakteristischen mehrstimmigen Gesang aufbietet.

Mit „Veil“ folgt das mit fast 13 Minuten längste Stück der Platte. Wer jedoch einen Parforceritt wie „The Architect“, den Longtrack auf „Affinity“, erwartet, wird vielleicht enttäuscht. Nach langsamem Klavierbeginn und recht unspektakulärem „Normalo-Geprogge“ dauert es etwa vier Minuten, bis langsam Spannung und Tempo erhöht werden und z.B. Keyboarder Diego Tejeida ordentlich zu tun bekommt. Schnelle, vertrackte Gitarrenriffs duellieren sich mit Hammondorgel und Doublebass – und dann wieder eines dieser Breaks, wie sie zurzeit nur Haken schreiben können: aus dem Nichts ein schneller, (w)irrer Basslauf, dann Stille, ein leises Gitarrensolo, Orgel … übergehend in einen balladesken Part, in dem sich, nebenbei bemerkt, auch der einzige (leichte) Schwachpunkt der Band offenbart: Ross Jennings ist zwar kein schlechter Sänger, aber seine hohe Stimme ist viel zu uncharismatisch. Doch das nimmt man gerne hin, wenn dafür Richard Henshall und Charlie Griffiths wieder ihre wahnwitzigen Gitarrensoli spielen.

„Nil By Mouth“ bildet mit harten, rhythmisch vertrackten Gitarren das letzte Albumhighlight, bevor dann leider gleich zwei – zumindest für Haken-Verhältnisse – relativ höhepunktarme Songs eine Platte abschließen, die viel zu wenige wirklich verspielte, mitreißende Momente enthält – was aber trotzdem noch gerade so für knappe acht Punkte reicht. Steve Rommes

WERTUNG: 8/10
ANSPIELTIPPS: The Good Doctor, Veil, Nil By Mouth

roger wohlfart
3. Dezember 2018 - 14.14

Es gibt Schlimmere als Heino, auch wenn man nicht unbedingt ein Fan von ihm ist.