PräsidentschaftswahlenDie russische Opposition hat einen Plan

Präsidentschaftswahlen / Die russische Opposition hat einen Plan
Teilnehmer demonstrieren im Rahmen der weltweiten Aktion „Russland ohne Putin“ gegen die Wiederwahl des russischen Präsidenten Putin in Berlin Foto: Carsten Koall/dpa

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Eine Diskussion mit russischen Oppositionellen im Europäischen Parlament (EP) am Mittwoch befasste sich mit der Frage, inwiefern die im März anstehenden Präsidentschaftswahlen von Bedeutung sind. Der Sieger steht bereits fest, doch die russische Opposition will den Wahlgang

„Wir brauchen keine Kristallkugel, um das Ergebnis voraus zu sagen“, sagt Natalia Arno, Präsidentin der „Free Russia Foundation“, worin sich alle Diskussionsteilnehmer einig sind. Vertrauen in das Wahlsystem haben sie keines. Seit 2000 sei keine einzige Wahl in Russland von internationalen Beobachtern als „frei und fair“ beurteilt worden, fährt sie fort. Dem stimmt Vadim Prokhorov zu. Der Anwalt des inhaftierten Oppositionspolitikers Wladimir Kara-Murza war eigenen Bekundungen nach einst Mitglied der zentralen russischen Wahlkommission. Für ihn habe der „Prozeß des offensichtlichen Zerfalls des russischen Wahlsystems“ in den 2000er Jahren begonnen. Dieser Zerfall sei nun in einer „absoluten Imitation eines Wahlsystems“ gemündet, so der Menschenrechtsanwalt. Auch der Europäische Menschenrechtsgerichtshof habe wiederholt auf fundamentale Verletzungen des Wahlrechts in Russland hingewiesen, weshalb Vadim Prokhorov die europäischen Institutionen dazu aufruft, die Wahlen in Russland nicht anzuerkennen.

Wladimir Milov, Vize-Präsident der „Free Russia Foundation“ und ehemaliger stellvertretender russischer Energieminister, macht darauf aufmerksam, dass bei den anstehenden Wahlen vermehrt auf ein elektronisches Wahlsystem zurückgegriffen werde. Rund 40 Millionen Wähler müssten dieses System nutzen, bei dem kein Stimmzettel mehr zur Anwendung komme. Dies sei „absolut intransparent“ und biete alle Möglichkeiten zur Wahlfälschung, so der Oppositionspolitiker. Daher werde das elektronische System der Stimmabgabe vor allem in Regionen und Städten wie Moskau, St. Petersburg und Nowosibirsk eingesetzt, wo viele Putin-Gegner lebten.

Wir werden der Wahlfälschung nicht entkommen

Leonid Wolkow, Vertrauter von Alexej Nawalny

Auch wenn die Diskussionsteilnehmer sich darin einig sind, dass die Präsidentschaftswahlen, die vom 15. bis 17. März stattfinden, bereits jetzt entschieden sind, stellt sich dennoch die Frage: Warum werden die Wahlen abgehalten? Eine Erklärung liefert der litauische EP-Abgeordnete Andrius Kubilius in seiner Einführung zur Diskussion mit Bezug auf den russischen Philosophen und Faschisten Iwan Iljin, auf den sich die derzeitige russische Führung gerne bezieht. Iljin habe gemeint, dass Russland keine Wahlen brauche, sondern lediglich eine Prozedur, bei der die Menschen alle vier Jahre der Führung ihre Loyalität bezeugen, so Andrius Kubilius. Und das werde nun im März in Russland stattfinden.

„Anti-Krieg-Flashmob“

Leonid Wolkow, Stabschef des inhaftierten russischen Kreml-Kritikers Alexej Nawalny, hat eine andere Erklärung: „Weil es ein sehr wichtiges PR-Manöver ist.“ Das Regime habe alle Instrumente, die es brauche, um das Ergebnis zu bestimmen. „Wir werden der Wahlfälschung nicht entkommen“, meint Leonid Wolkow. Vielmehr sollen die Wahlen zeigen, „dass viele hinter Putin stehen und er deshalb nicht bezwungen werden kann“, so der Oppositionelle weiter, der wie manch andere der Diskussionsteilnehmer mittlerweile im Exil lebt. Diese Botschaft richte sich aber vor allem nach außen, an die internationale Gemeinschaft. Doch es gebe auch eine Botschaft nach innen zu vermitteln, nämlich dass jene, die gegen Putin, aber auch gegen den russischen Krieg in der Ukraine seien, in der Minderheit sind, so der Nawalny-Vertraute weiter. Diese Menschen sollten den Eindruck erhalten, dass sie isoliert sind, sie sollten sich in der Unterzahl fühlen.

Das sei aber längst nicht der Fall, sagt Sergei Boiko, ein Abgeordneter des Stadtrats von Nowosibirsk, und verweist auf die große Beteiligung bei der Unterschriftensammlung für Boris Nadeschdin. Für den mittlerweile abgelehnten oppositionellen Präsidentschaftskandidaten standen viele Menschen in Russland Schlange, damit er die für die Wahlregistrierung nötige Anzahl an Unterschriften zusammenbekommt. Für Sergei Boiko war diese Unterstützungsbekundung für Nadeschdin, der sich gegen den Krieg ausgesprochen hat, ein „Anti-Krieg-Flashmob“. Dieser habe gezeigt, dass die Kriegsgegner durchaus keine Minderheit seien, so wie es die russischen Staatsmedien gerne darstellten.

Nicht verboten

Wladimir Milov seinerseits warnt die westlichen Medien vor Schlagzeilen, die behaupten würden, Putin habe die Wahlen gewonnen. „Es gibt keine Wahlen, Putin wird nichts gewinnen“, sagt er. Jedes Resultat sei „total bedeutungslos“. Wladimir Milov verweist dabei auf eine in Russland gemachte Umfrage, bei der die Leute gefragt wurden, welchen Kandidaten sie bei den Wahlen wählen würden, ohne jedoch Namen vorzugeben. Putin sei dabei auf 29 Prozent gekommen. Er sieht daher Potenzial dafür, die öffentliche Meinung in Russland zu drehen, auch wenn es schwierig werde, das zu tun. Die Wahlkampagne und die Wahl würden dazu jedoch einen Raum eröffnen, meint Wladimir Wolkow. Und dazu besteht auch ein Plan.

So werde die gesamte russische Opposition all jene, die gegen den Krieg in der Ukraine und gegen Putin sind, dazu aufrufen, sich am 17. März um exakt 12 Uhr mittags bei ihren Wahllokalen einzufinden, erklärt Leonid Wolkow. Dabei sei es ganz egal, was sie da tun, ob sie nun wählen wollten, oder nicht – Hauptsache, die Putin-Gegner seien präsent. Dann würde sich zeigen, wie viele es sind. Diese politische Aktion sei in Russland nicht verboten, sagt der Nawalny-Mitarbeiter und hofft, dass sich viele daran beteiligen. Auch wenn er nicht ausschließt, dass die Staatsduma noch etwas dagegen unternehmen könnte. Dennoch könnte dies eine Art Demonstration gegenüber der politischen Führung werden, die zeige, dass die Putin-Gegner durchaus keine Minderheit ist, hofft Leonid Wolkow. Wie erfolgreich die Aktion werde, würde man dann sehen. Es sei ebenfalls ein interessanter Test für die Opposition, bei dem sie erfahre, wie populär sie sei.