Donnerstag30. Oktober 2025

Demaart De Maart

EU-ParlamentarierDie rechtsstaatliche Situation in Ungarn verschlechtert sich

EU-Parlamentarier / Die rechtsstaatliche Situation in Ungarn verschlechtert sich
Die EP-Delegation (v.l.) in Ungarn: Michał Wawrykiewicz (EVP), Sophie Wilmès (Renew), Tineke Strik (Grüne), Krzysztof Śmiszek (S&D), nicht auf dem Bild ist der Linken-Politiker Pernando Barrena Arza Foto: Ferenc Isza/European Union 2025/EP

Jetzt weiterlesen!

Für 0,99 € können Sie diesen Artikel erwerben:

Oder schließen Sie ein Abo ab:

ZU DEN ABOS

Sie sind bereits Kunde?

Am Mittwoch endete eine dreitägige Mission von EU-Parlamentariern des Innenausschusses, die sich in Budapest ein Bild über die Entwicklungen in Sachen Rechtsstaatlichkeit in Ungarn gemacht haben. Ihre vorläufige Feststellung: Die Lage verschlechtert sich.

Gegen Ungarn, das seit nunmehr fast 15 Jahren von Premierminister Viktor Orban und dessen Fidesz-Partei regiert wird, läuft seit 2018 ein Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrages. Dieses Verfahren wird eingeleitet, wenn das Risiko besteht, dass ein EU-Staat dauerhaft gegen die EU-Grundwerte wie die Demokratie, die Menschenrechte oder die Rechtsstaatlichkeit verstößt. Am Ende des Verfahrens kann dem betreffenden EU-Land das Stimmrecht im Ministerrat entzogen werden. Darüber und über die einer solchen Entscheidung vorausgehenden Etappen des Artikel-7-Verfahrens entscheiden die EU-Staaten.

Doch seit fast sieben Jahren hat sich in dieser Hinsicht quasi nichts getan. Das bedauerten die fünf Mitglieder der Delegation aus dem EU-Parlament (EP), die nach ihren Unterredungen in Budapest eine erste Bilanz zogen. Die alles andere als positiv ausfiel. So wurden die EU-Parlamentarier weder vom Regierungschef noch von den Justiz- und Innenministern empfangen. Die Richter des Verfassungsgerichts und des obersten Gerichts sowie der ungarische Kommissar für fundamentale Rechte verweigerten der EP-Delegation das Gespräch. Die Minister hätten ihnen nicht einmal mitgeteilt, warum sie die EP-Abgeordneten nicht sehen wollten. Das sei „sehr besorgniserregend“, meinte die Delegationsleiterin Tineke Strik. „So entsteht leider kein Dialog“, bedauerte die niederländische Grünen-Politikerin.

Die Delegation habe keine Verbesserungen in Bezug auf die EU-Grundwerte im Vergleich zur Situation, wie sie in vorigen Entschließungen des EU-Parlaments geschildert worden seien, gefunden. Vielmehr gebe „es einen beunruhigenden Trend zur weiteren Erosion“, erklärte Tineke Strik. Das betreffe etwa das Justizsystem, aber auch die Medien- und akademische Freiheit. Zudem werden die Räume für die Zivilgesellschaft immer enger. Erst vor wenigen Wochen wurde im ungarischen Parlament eine Verfassungsänderung gestimmt, die unter dem Vorwand des Kindesschutzes die Versammlungsfreiheit einschränkt. Diese Änderung zielt darauf ab, die „Budapest Pride“ zu verhindern, eine Straßenparade der LGBTQ-Gemeinschaft in Ungarn. Die Gemeinschaft sei bereits mit legalen Restriktionen konfrontiert, etwa durch das sogenannte Gesetz gegen Homosexuellen-Propaganda, erklärte der EP-Abgeordnete Krzysztof Śmiszek. All das habe eine „feindliche Atmosphäre“ gegenüber der LGBTQ-Gemeinschaft geschaffen, die bereits zu physischen Angriffen geführt habe, so der polnische S&D-Abgeordnete weiter.

Sie hätten eine „offene Ablehnung der Rechtsstaatlichkeit“ bei ihren Gesprächen festgestellt, sagte seinerseits Michał Wawrykiewicz. Die ungarische Regierung setze sich etwa über den Europäischen Gerichtshof (EuGH) hinweg und entscheide selbst, welche Urteile des EuGH sie umsetzen wolle und welche nicht. Dabei sei Ungarn laut EU-Vertrag dazu verpflichtet, alle Urteile des EuGH umzusetzen, betonte der polnische EVP-Abgeordnete. 

Notstand gilt weiter

Die liberale EU-Parlamentarierin Sophie Wilmès wiederum zeigte sich besorgt über den Mangel an Pluralismus und Diversität in der ungarischen Medienlandschaft. 80 Prozent aller Markteinnahmen würden an Pro-Regierungsmedien geleitet. Dies würde die unabhängigen Medien wirtschaftlich destabilisieren und schwächen, so die belgische Renew-Politikerin. Es gebe zudem keine „Transparenz und Fairness bei der Vergabe von staatlicher Werbung“. Unabhängigen Journalisten werde es zudem schwergemacht, an Informationen zu kommen, an Versammlungen teilzunehmen oder mit Politikern zu reden. Regierungspropaganda würde immer wieder Falschinformationen sowie eine „sehr aggressive Rhetorik“ enthalten, stellte Sophie Wilmès weiter fest. 

Pernando Barrena Arza schließlich findet es „zutiefst besorgniserregend“, dass die fundamentalen Rechte der Menschen in Ungarn weiter angegriffen werden. Die Regierung halte den Notstand weiter aufrecht, so der spanische Linken-Politiker. Das erlaubt es der Orban-Regierung, Gesetze leichter und schneller durchzusetzen. Dadurch erhalten etwa zivilgesellschaftliche Organisationen keine Gelegenheit, sich zu den entsprechenden Gesetzen zu äußern, gab Tineke Strik zu bedenken.

Mehrmals berichteten die Delegationsmitglieder – denen sich keine Abgeordneten der drei rechtspopulistischen und rechtsextremen Fraktionen im EP angeschlossen hatten –, dass ihnen Regierungs- und manche Behördenvertreter bei ihren Gesprächen mit einer „feindlichen“ und „aggressiven“ Haltung begegnet seien. Ihre Feststellungen während ihrer Mission werden die EP-Abgeordneten in einem Bericht zusammenfassen, der später im Jahr im EP zur Diskussion gestellt wird und sowohl der EU-Kommission als vor allem auch dem EU-Rat bei der Fortsetzung des Artikel-7-Verfahrens gegen Ungarn dienen soll.