Montag29. Dezember 2025

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Forum von Robert GoebbelsDie notwendige Entrümplung der EU: Plädoyer für ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten

Forum von Robert Goebbels / Die notwendige Entrümplung der EU: Plädoyer für ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten
Das „Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten“ muss die treibende Kraft werden, schreibt Robert Goebbels im Forumsbeitrag Foto: Kiril Kudryavtsev/AFP

Die Europäische Union wird von weiten Teilen der Welt als ein Erfolgsmodell angesehen. Eine politische Einheit, welche die Menschenrechte beispielhaft absichert. Zudem sie die Europäer mit einem anderswo unerreichten Sozialnetz versorgt. Schon der Tourismus belegt die Attraktivität Europas. Der kleinste Kontinent ist mit 40 Prozent der globalen Reisebewegungen das beliebteste Reiseziel. Selbst die vielen legalen wie illegalen Einwanderer zeugen von der Anziehungskraft des „Alten Europas“!

Dennoch ist die EU in vielen Mitgliedstaaten bei einer steigenden Zahl von Mitbürgern in Misskredit geraten. Wovon nicht nur der EU-Austritt des Vereinigten Königreiches zeugt. Schon die Volksentscheide über den gescheiterten Verfassungsvertrag verdeutlichten eine latente Hassliebe gegenüber den Europäischen Institutionen. Selbst in Luxemburg wollten damals fast 44 Prozent aller Luxemburger Europa den Rücken kehren.

Konstruktionsfehler

Die Europäischen Institutionen leiden unter einem von den Gründerstaaten gewollten Konstruktionsfehler. Es gibt eine Union der Staaten Europas, aber nicht die Vereinigten Staaten von Europa. Es gibt keine gemeinsame Verteidigungs-, keine gemeinsame Finanzpolitik. Das eigentliche Rückgrat jeden Staates.

Die Verträge erlauben der Kommission die Kontrolle ganzer Bereiche des Außenhandels, der Konkurrenz, der Industrie, der Landwirtschaft, des Umweltschutzes. Mit Verboten, Vorschriften und Normen-Setzung greift die Kommission in nationale wie internationale Politik ein. Sie beschränkt die Aktionsmöglichkeiten der Nationalstaaten. Ohne den Vorteil einer verstärkten europäischen Souveränität!

Die Machtlosigkeit der EU wird offenkundig bei internationalen Krisen. Ukraine, Israel, Gaza, Libanon, Iran. Flüchtlingsdramen, Währungskrisen, Handelskriege? Was macht Europa? Der wirtschaftliche Riese gerät automatisch zum politischen Zwerg.

Die Nationalstaaten entscheiden weiterhin über Krieg und Frieden. Jeder für sich allein. Selbst eingebunden in den NATO-Vertrag. Finanzen – damit Steuern wie Ausgaben – erfordert ebenfalls Einstimmigkeit.

Deshalb verharrt der EU-Haushalt auf minimalistischer Höhe. Etwas mehr als ein Prozentpunkt des Sozialproduktes der 27 Länder. In Bundesstaaten wie der Schweiz beträgt das nationale Budget um die 15 Prozent des BIP. In Australien oder Kanada sind es rund 20, in den USA einige 30 Prozent. Der Kleinegroß Europa: 1 Prozent.

Überreglementierung

Die EU-Kommission ist keine Regierung Europas. Obwohl sie sich als eine solche sieht. Zur Demonstration ihrer Wichtigkeit multipliziert sie die Auflagen für die Staaten und die Wirtschaft. EU-Direktiven schreiben den nationalen Parlamenten bis ins kleinste Detail vor, wie die „harmonisierte“ Gesetzgebung für alle Lebensbereiche auszusehen hat. Eine Direktive, selbst nicht umgesetzt von einem nationalen Parlament, hat vor den europäischen Gerichten dennoch Bestand. EU-Reglemente haben ohnehin Vorrang vor nationalen Gesetzen.

Zusätzlich gibt es die „delegierten Verordnungen“, die, ähnlich wie Trumps „executive orders“, oft auf dürftigen Vertrags-Grundlagen stehen. Durch solche Verordnungen oder andere „Durchführungsbestimmungen“ greift die Kommission entscheidend in viele Politikbereiche ein.

Theoretisch können Rat oder Parlament sich „delegierten Verordnungen“ widersetzen. In den Jahren 2023 bis 2024 erließ die Kommission 552 Verordnungen. Das EP erhob 5 Einsprüche, der Rat keinen einzigen. Die im gleichen Zeitraum erlassenen 1.565 Durchführungsbestimmungen passierten ohne Widerstand.

Neben der Kommission mit ihren 32.000 direkten Mitarbeitern gibt es noch 42 europäische Agenturen mit 23.000 Beschäftigten. Die Agenturen besitzen oft weitgehende Befugnisse.

Das Resultat ist ein wachsendes, nicht mehr lesbares Regelwerk, das wie göttliche Verfügungen auf den Europäern lastet. Da die nationalen Regierungen und Parlamente, die eigentlich alles veranlassten und billigten, sich zu oft hinter „Brüssel“ verstecken, steigt bei vielen Bürgen der Unmut über die sich in zu viele Einzelheiten verlierende Bevormundung durch die Eurokraten.

Man muss sich beispielsweise die „Glöz“-Verordnungen anlesen, mit denen Landwirte sich herumplagen müssen. Mit dem hehren Ziel, Bodenerosion zu vermeiden und Biodiversität zu schützen, regeln 9 Verordnungen den „Guter Landwirtschaftlicher und Ökologischer Zustand“ aller Äcker und Weiden. So darf etwa Grünland nur mit Sondergenehmigung „umgewandelt und gepflügt“ werden. Bodenwendungen dürfen nicht tiefer als genau „30 Zentimeter“ sein. Das Pflügen von Ackerflächen ist untersagt vom „1. Dezember bis zum 15. Februar“. Bei Reihenkulturen besteht Pflugverbot ab 45 Zentimeter Abstand der Pflanzen. Vom 15. November bis zum 15. Januar muss eine Mindestbedeckung der Böden von genau 80 Prozent gewährleistet sein. Um den Brüsseler Agrar-Bürokraten gerecht zu werden, müssen die geplagten Bauern mit einem Zentimeter-Band bewaffnet ihre Äcker und Wiesen bewirten.

Muss Europa wirklich alles regeln? Es gibt Vorschriften über die Tiefe eines Schwimmbeckens, falls ein Sprungbett vorhanden ist. Und ähnliche Dummheiten mehr, die nichts mit der notwenigen Gewährleistung eines möglichst freien und fairen Wettbewerbes zu tun haben.

Präsident Jacques Delors pochte auf das „Subsidiaritäts-Prinzip“. Ein grauenvolles Wort, das eigentlich besagt, dass Europa erst aktiv werden sollte, falls ein Problem nicht auf lokaler, regionaler oder nationaler Ebene zu lösen ist. Der Rat der Regionen wurde geschaffen, um eine Überregulierung zu verhindern. Doch die Gutachten des Rates sind nicht bindend und werden deshalb ignoriert.

Laut den EU-Verträgen hat nur die Kommission das Recht, gesetzgeberische Initiativen zu unterbreiten. Das ist auch gut so. Könnten die europäischen Parlamentarier Gesetzes-Vorschläge einbringen, würde es nur schlimmer. Denn jeder Lobbyist, ob aus der Welt der Finanzen, der Industrie, der Umwelt, des Tierschutzes bis hin zur Esoterik, würde einen Abgeordneten zum Einbringen seiner Anliegen finden. Die Regierungen würden rein nationale Interessen vorbringen.

Was die mühsame Beschlussfassung noch verlängern würde. Die EU-Abgeordneten sehen sich ohnehin als Besserwisser. Mit der zunehmenden Zersplitterung der Parteien-Landschaft führt dies oft zu Zufallsresultaten bei Abstimmungen. Immer problematischer wird in diesem Kontext ein weiterer Konstruktionsfehler der Verträge: Die Abgeordneten haben das Recht, die Kommission abzulehnen oder abzusetzen. Bei sich wiederholenden Blockaden sind Auflösung und Neuwahl des Parlaments nicht möglich.

EU ist alternativlos

Bei aller Kritik muss glasklar unterstrichen werden, dass es für die Staaten Europas keine Alternative zur europäischen Integration gibt. Der Brexit brachte den Briten keine Rückkehr zu imperialen Zeiten. Die Probleme des Landes wurden größer. Eine Mehrheit der Briten sieht heute den Austritt des Vereinigten Königreiches als politischen Fehler an.

Kein europäischer Staat, nicht einmal der ehemalige „Export-Weltmeister“ Deutschland, kann auf sich allein gestellt den USA, China, Russland, Indien und anderen aufsteigenden Nationen Paroli bieten. Nur gemeinsam, und mit Staaten wie Norwegen oder Schweiz im Schlepptau, haben die EU-Staaten noch Gewicht auf der Weltbühne.

Robert Goebbels ist ehemaliger LSAP-Minister und Europaabgeordneter
Robert Goebbels ist ehemaliger LSAP-Minister und Europaabgeordneter Foto: Editpress/Julien Garroy

Umso dringender wäre eine Reform des Hauses Europa in einer komplexeren und vor allem nationalistisch-egoistischeren Welt. Doch was tun? Ein vertraglicher Umbau, ein neues Verfassungskonvent haben keine Chance.

Es war ein Fehler, die EU immer wieder zu erweitern, ohne vor den verschiedenen Beitrittswellen eine strukturelle Vertiefung und vor allem einen adäquaten finanziellen Unterbau der Union herbeizuführen. Nun sollen weitere Staaten aufgenommen werden. Was die Beschlussfassung nur verkompliziert.

Die einzige Möglichkeit, Europa zu festigen, bleiben „Koalitionen der Willigen“. Die größten Fortschritte in der europäischen Integration, etwa der Euro oder Schengen, beruhen auf Initiativen außerhalb der Verträge.

Der Aufbau einer wirklichen Verteidigungsfähigkeit der Europäer kann nur durch ein Zusammenwirken aller gewichtigen Staaten Europas erreicht werden: Deutschland, Frankreich, Polen, Italien, Spanien sowie Großbritannien. Luxemburg ist nicht entscheidend. Ungarn und ähnliche unsichere Kantonisten auch nicht.

Das „Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten“ muss die treibende Kraft werden. Nachzügler sind immer willkommen. Aber das Tempo darf nicht vom langsamsten Kahn bestimmt werden.

In der Zwischenzeit soll die Kommission ihre Nützlichkeit durch Entbürokratisierung und Entrümplung unter Beweis stellen. Da sind nicht nur „Omnibus“-Gesetze zum Abbau der reglementarischen Korsette notwendig. Schnellzüge müssen möglichst breite Schneisen in den Dschungel der EU-Überreglementierung schlagen. Viel weniger ist mehr! Die Bürger werden danken.


Anmerkung: Das Tageblatt schätzt den Austausch mit seinen Leserinnen und Lesern und bietet auf dieser Seite Raum für verschiedene Perspektiven. Die auf der Forum-Seite geäußerten Meinungen sollen die gesellschaftliche Diskussion anstoßen, spiegeln jedoch nicht zwangsläufig die Ansichten der Redaktion wider.

LeCze
29. Dezember 2025 - 19.32

Werden die Oligarchen aus der Ukraine bald die marode EU aufkaufen und ihren Präsidenten zum König von Europa krönen?....

Uppa
29. Dezember 2025 - 19.11

" Wovon nicht nur der EU-Austritt des Vereinigten Königreiches zeugt."
Das es auch schon bitter bereut. Und wenn sie demnächst den Hetzer Farage auf den Mond geschickt haben werden,können sie nachdenken und wieder zu uns stoßen. Das Ende der EU ist das Ende für alle.
Wir brauchen keine Orbans,LE Pens oder Bardellas. Verwöhnte Kinder des EU-Segens. Nehmen und nichts geben. Warum denke ich gerade an den PIS-Restzwilling aus Polen?