StandpunktDie Kraken der Künstlichen Intelligenz

Standpunkt / Die Kraken der Künstlichen Intelligenz
 Foto: AFP/Lionel Bonaventure

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Die langwierigen Kartellverfahren gegen Google, Apple und Amazon tragen nun endlich Früchte. Deshalb glauben viele Beobachter, 2024 könnte für die großen Technologiekonzerne zu einem Wendepunkt werden. Aber obwohl die Behörden diese Verfahren vorantreiben, laufen sie Gefahr, sich vom Aufstieg der Künstlichen Intelligenz überrumpeln zu lassen – durch die die Dominanz dieser Konzerne über die Wirtschaft noch verstärkt werden dürfte.

* Zum Autor

Eric Posner ist Professor an der Law School der Universität von Chicago und Verfasser von „How Antitrust Failed Workers“ (Oxford University Press 2021).

Dass OpenAI-CEO Sam Altman kürzlich gefeuert und wieder eingestellt wurde, wurde als Konflikt zwischen vorsichtigen, über die Gefahren der KI besorgten Aufsichtsratsmitgliedern, und Enthusiasten wie Altman interpretiert. Aber die wirkliche Bedeutung dieser Episode lag darin, was sie über die Beziehung von OpenAI zu Microsoft, dem größten Investoren in OpenAIs Geschäftstätigkeit, enthüllte. Obwohl OpenAIs Non-Profit-Struktur eigentlich bedeutet, dass nur der Verwaltungsrat das Unternehmen kontrolliert, wurde dieser gezwungen, Altman wieder einzustellen – nachdem Microsoft Bedenken geäußert hatte, die zu einer Mitarbeiterrevolte beigetragen hatten.

Microsoft ist gegenüber OpenAI nicht nur Investor, sondern auch Wettbewerber. Beide Unternehmen entwickeln und verkaufen KI-Produkte, und Microsoft hat eine Komplettübernahme von OpenAI gescheut, um kartellrechtliche Probleme zu vermeiden. Sollte Microsoft OpenAI aber kontrollieren oder teilweise kontrollieren, könnten zwischen den beiden Unternehmen eine illegale verdeckte Beziehung bestehen. Deshalb wird dieser Fall sowohl von der US-Kartellbehörde als auch von der britischen Wettbewerbsbehörde untersucht.

Die Beziehung zwischen OpenAI und Microsoft ist nur ein kleiner Teil eines schnell wachsenden KI-Oligopols. Wie eine aktuelle Studie der Juraprofessoren Tejas Narechania von der Universität von Kalifornien in Berkeley und Ganesh Sitaraman von der Vanderbilt-Universität zeigt, besteht entlang der gesamten KI-Angebotskette eine erhebliche Marktmacht. Der Monopolist Nvidia stellt die meisten der Prozessoren her, die für die Entwicklung von KI benötigt werden. Und Amazon, Google und Microsoft dominieren das Cloud-Computing, das für die Speicherung der Daten, mit denen die KI-Modelle trainiert werden, unerlässlich ist.

Da diese Unternehmen gemeinsam mit Meta (dem Mutterunternehmen von Facebook und Instagram) ziemlich die einzigen sind, die solche Daten sammeln und speichern können, sind sie auch diejenigen, die die wichtigsten KI-Modelle und -Anwendungen entwickeln und von ihnen profitieren. Während Microsoft nicht nur seine eigenen KI-Apps, sondern auch ChatGPT kontrolliert, verfügt Google über Bard und investiert – gemeinsam mit Amazon – Milliarden in Anthropic (den Entwickler von Claude).

So gut wie alle großen Technologieunternehmen und ihre Führungskräfte sind über Institutionen und professionelle Netzwerke miteinander verbunden. Dazu gehören der Startup-Inkubator Y Combinator (wo Altman vor seinem Wechsel zu OpenAI Präsident war); gemeinsame Forschungsprojekte (wie eine KI-bezogene Partnerschaft zwischen Google, Facebook, Amazon und Microsoft); Aufsichtsräte von Unternehmen; sowie soziale Verbindungen. Auch in OpenAIs eigenem gemeinnützigen Verwaltungsrat gibt oder gab es Menschen mit Verbindungen zu anderen Firmen, die ebenfalls KI-Produkte entwickeln. Eins seiner Gründungsmitglieder war beispielsweise Elon Musk, der vor einigen Jahren ausgestiegen ist.

Enge Verknüpfungen

Dieses Netz enger Verknüpfungen erzeugt erhebliche Möglichkeiten für geheime Absprachen (die illegal sind) oder Abstimmungen (die legal, aber trotzdem schlecht für die Kunden sind). Aber während sich die öffentliche Aufmerksamkeit größtenteils auf den Missbrauch der Monopolmacht einzelner Technologieunternehmen richtet, werden die vielen Möglichkeiten übersehen, wie sich die Konzerne zusammenschließen können, um ihre Marktmacht zu vergrößern.

Dies praktizieren diese Giganten bereits seit langer Zeit. Einen vom Justizministerium eröffneten Fall, in dem sie wegen einer Absprache angeklagt wurden, sich gegenseitig keine Softwareentwickler abzuwerben, beendeten sie 2010 mit einem Vergleich. In E-Mails hatte Steve Jobs (von Apple) Eric Schmidt (von Google) beschimpft, er habe es zugelassen, dass Anwerber Apple-Mitarbeiter abgeworben hätten, und Schmidt hatte einen Mitarbeiter beauftragt, einen Anwerber „mündlich“ zu feuern, um „Spuren zu vermeiden“.

In einem laufenden Verfahren gegen Googles Dominanz im Suchmaschinenbereich wurde vor Gericht ausgesagt, der Konzern habe Apple dafür bezahlt, Google auf dem iPhone als Standard einzurichten – mit dem möglichen Ziel, Apple vom Suchmarkt, auf dem Google quasi ein Monopol hat, auszuschließen. Und in einem weiteren Fall gegen Google wegen der Monopolisierung digitaler Werbung behauptet das Justizministerium, der Suchmaschinengigant bezahle Facebook dafür, Googles Dominanz über diesen Markt nicht anzugreifen.

Vor Jahren wurde Apple dabei erwischt, illegale Absprachen zwischen Buchverlagen zu koordinieren. Und als die Mitarbeiter von OpenAI drohten, nach Altmans Entlassung zu Microsoft zu wechseln, lief dies letztlich auf einen Versuch hinaus, OpenAI an Microsoft zu verkaufen. Also kann dies als eine Art Absprache zwischen ihnen betrachtet werden, um eine Fusion zwischen beiden Unternehmen zu ermöglichen, die prinzipiell – und möglicherweise auch formell – das Kartellrecht verletzt hätte.

Die engen Beziehungen zwischen den Technologiechefs erinnern an die „Geldpartnerschaft“ („Money Trust“) während der Blütezeit der US-Wirtschaft Ende des 19. Jahrhunderts zwischen wichtigen Banken und Finanzinstitutionen. Diese haben die damaligen Industriegiganten nicht nur mit Kapital versorgt, sondern sich auch mit ihnen und untereinander illegal abgesprochen. Die außerordentliche Macht dieses Bündnisses führte zum Kartellrecht (von 1890 und 1914), zu Regulierungsmaßnahmen (darunter die Gründung der US-Notenbank Federal Reserve 1913) und schließlich zu Gesetzen, mit denen die Banken aufgespalten, ihre Beteiligungsmöglichkeiten an Unternehmen eingeschränkt und ihre Tätigkeitsbereiche begrenzt wurden (in den 1930ern). Im Gegensatz zu Öl- oder Eisenbahnunternehmen haben Banken enorme Möglichkeiten, volkswirtschaftliche Konsolidierungen zu fördern, da sie ihre Finanzmacht gegen fast alle Unternehmen in verschiedenen Sektoren einsetzen können, um deren Verhalten zu kontrollieren oder sie sogar zu Fusionen zu drängen.

Mehr Reichweite als Banken

Was ihren wirtschaftlichen Einfluss betrifft, erinnern die großen Technologiekonzerne heute sehr an Banken – aber mit noch mehr Möglichkeiten. Durch ihren Zugang zu Daten wissen sie mehr über Verbraucher- und Unternehmensverhalten, als es bei den Banken jemals der Fall war – und sie haben noch mehr Kontrolle über dieses Verhalten. Sie liefern nicht nur Waren und Dienstleistungen für fast alle Kunden, sondern auch wichtige Vorprodukte für Unternehmen aller Sektoren. Keine Bank hatte jemals eine derartige Reichweite.

Da überrascht es nicht, dass die Technologiekonzerne auch in die Kommandozentralen eindringen, die bisher den Finanzinstituten vorbehalten waren. Wie ein reumütiger Geldgeber in der Financial Times kommentierte, haben die Konzerne in der Bieterschlacht um KI-Unternehmen die Finanzinstitute weitgehend verdrängt. Nicht nur sind die (nach Marktkapitalisierung) sechs größten US-Unternehmen Technologiekonzerne, sondern sogar das kleinste von ihnen (Meta) ist immer noch doppelt so groß wie die Bank JPMorgan. Die sieben größten Technologiekonzerne vereinen heute 30% der gesamten Marktkapitalisierung des S&P 500 auf sich, während das gesamte Bankensystem sogar auf dem Höhepunkt seiner Marktdominanz in den 1920ern nur auf 16 bis 19% kam.

Karikaturisten aus der Frühzeit des Kartellrechts stellten die finanziellen Verflechtungen zwischen den Banken und den Monopolisten der Realwirtschaft als Arme von Kraken dar, die Politiker und Verbraucher umschlingen und erdrücken. Wenn KI die Erwartungen erfüllt und – als Zulieferer sämtlicher Unternehmen von Kanzleien bis hin zu Produzenten – zur Lebensader aller wirtschaftlichen Sektoren wird, können wir eine Zukunft erwarten, die hinsichtlich wirtschaftlicher Konzentration und Konzernmacht alles Bisherige in den Schatten stellt.

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff / © Project Syndicate, 2024