Dienstag28. Oktober 2025

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Naher OstenDie Hisbollah verliert ihren Kopf

Naher Osten / Die Hisbollah verliert ihren Kopf
Ein Plakat mit dem Bild des getöteten libanesischen Hisbollah-Führers Hassan Nasrallah ist, zwei Tage nach seiner gezielten Ermordung durch israelische Streitkräfte, in Teheran zu sehen Foto: AFP/Atta Kenare

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Die schiitische Miliz Hisbollah hat durch den israelischen Militärschlag auf Beirut ihren charismatischen Anführer Hassan Nasrallah verloren. Er galt als eine der wichtigsten Figuren in der „Achse des Widerstands“, mit der der Iran Israel bekämpft – und sogar als Nummer zwei hinter Ayatollah Ali Khamenei, dem obersten Führer in Teheran.

Es sah nach einem Zweifrontenkrieg aus, als die Miliz Hisbollah einen Tag nach dem terroristischen Großangriff der Hamas auf den Süden Israels am 7. Oktober 2023 vom Libanon aus Ziele im Norden des Nachbarlandes unter Beschuss nahm. Die Organisation, von vielen Ländern als Terrororganisation bezeichnet, wollte die israelischen Streitkräfte ablenken und damit die palästinensischen Islamisten unterstützen. Und spätestens seit sich Hisbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah am 3. Januar dieses Jahres in einer Ansprache an die Öffentlichkeit wandte, wird von der Gefahr eines Flächenbrandes im Nahen Osten gesprochen. Dabei handelt es sich längst um einen Schwelbrand. Wie bei vielen Konflikten im Nahen Osten führten auch diesmal zahlreiche Spuren nach Iran.

Außenpolitisch ist der Mullah-Staat eine regionale Großmacht. Von der Hamas bis zur Hisbollah, von den jemenitischen Huthi-Rebellen am Roten Meer bis zu seinen schiitischen Verbündeten in Irak und Syrien: Das Regime in Teheran hat ein Netz aus Milizen, Terrororganisationen und politischen Vasallen geknüpft. Als am 7. Oktober vor einem Jahr die Terroristen der Hamas vom Gazastreifen aus nach Israel stürmten, wahllos über 1.200 Menschen ermordeten, mehr als 240 Geiseln verschleppten und eine verheerende israelische Militäraktion provozierten, war es für viele Beobachter schnell klar, dass Geld, Waffen und politische Unterstützung für die Hamas aus dem Iran stammten.

Das Regime in Teheran führt die sogenannte Achse des Widerstands an. „Die Gruppen sind unterschiedlich stark von Iran abhängig und lassen sich unterschiedlich stark von den Revolutionswächtern lenken“, schreibt der in Beirut lebende Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Christoph Ehrhardt. „Aber sie haben gemeinsame Feinde: Israel und die Vereinigten Staaten.“ Zwar hat die „Achse des Widerstands“ gleich einer Hydra, jenem vielköpfigen Ungeheuer aus der griechischen Sagenwelt, mit dem Tod Nasrallahs einen weiteren Kopf abgeschlagen bekommen, so wie zuvor Saleh Al-Arouri, einen wichtigen Führungskader der Hamas, der durch einen israelischen Angriff aus der Luft getötet worden war, und andere zuvor und danach. Bislang wuchsen immer wieder neue Köpfe nach. Und in der Mythologie bleibt der Kopf in der Mitte der Hydra bestehen. Deren Hauch ist tödlich.

Eine destruktive Allianz

Jahrzehntelang hat Iran eine Schattenarmee von bewaffneten Gruppen aufgebaut. Als deren Architekt galt Qasem Soleimani. Der iranische General wurde am 2. Januar 2020 auf dem Gelände des Flughafens von Bagdad durch einen US-amerikanischen Drohnenangriff getötet. Er wird über seinen Tod hinaus verehrt. Seine Tochter heiratete im Sommer 2020 den Sohn eines hohen Kaders der Hisbollah. Milizen wie diese sind Werkzeuge des Iran. Einen offenen, konventionellen Krieg hat Teheran seit dem Ersten Golfkrieg (Irak-Iran-Krieg 1980-1988) nicht mehr geführt, sondern sich zunehmend auf eine hybride Kriegsführung verlegt.

Das Regime in der iranischen Hauptstadt bleibt jedoch Drahtzieher. Mit seiner destruktiven Allianz gelingt es ihm immer wieder, die Region zu destabilisieren. Die Elitetruppen und Raketen der Hisbollah im Libanon sind zu einer ernsthaften Bedrohung für Israel geworden.

Im Irak nutzte Teheran das blutige Chaos nach der US-Intervention und dem Sturz des Diktators Saddam Hussein im Jahr 2003. Die Verbündeten der Islamischen Republik haben den irakischen Staat und die Wirtschaft des Landes durchdrungen. Zudem trug Iran neben Russland in Syrien entscheidend dazu bei, dass Teherans Verbündeter Baschar al-Assad noch an der Macht ist. Nicht zuletzt wurde ein Landkorridor geschaffen, auf dem Waffen und Raketentechnik bis in den Libanon geliefert werden, von wo sie Israel bedrohen. Im Jemen setzt Iran unterdessen auf die Huthi-Rebellen und hat dadurch dem Dauerrivalen Saudi-Arabien erheblich zugesetzt. Auch wurden saudische Ölanlagen attackiert. Saudi-Arabien hat dadurch seine Verwundbarkeit zu spüren bekommen. Außerdem haben die Huthi mit ihren Raketen und Drohnen dem Handel im Roten Meer geschadet.

Ein „Kronjuwel“ der Mullahs

Hisbollah-Anführer Nasrallah gab zwar in seiner Rede Anfang des Jahres zu verstehen, dass seine Organisation und deren Verbündeten keine willfährigen Erfüllungsgehilfen seien. Doch die Strippen zieht nach wie vor Teheran und hat das letzte Wort. Für die Mullahs ist die Hisbollah ein „Kronjuwel“, erklärt Christoph Ehrhardt. Sie gilt als verlängerter Arm des Teheraner Regimes und hat sich in der libanesischen Politik als mächtiger Akteur und „Staat im Staate“ etabliert. Die Organisation verfügt über mindestens 130.000 Raketen. Die israelische Raketenabwehr „Iron Dome“ wäre nicht in der Lage, alle abzufangen, wenn es zu einem Krieg kommen würde. In Propaganda wird immer wieder damit gedroht. Darüber hinaus verfügt die Radwan-Brigade, eine offensiv ausgerichtete Spezialeinheit der Hisbollah, über viel Kampferfahrung durch ihre Einsätze im Irak und in Syrien.

Mit der Hamas verhält es sich anders. Im Vergleich zu den anderen Gruppen der „Achse des Widerstands“ ist sie vom sunnitischen Islamismus der Muslimbruderschaft geprägt. Sie hat den Fokus auf die eigene, palästinensische Sache gerichtet. Mit der Hamas verbindet Iran vor allem eine Zweckgemeinschaft. Sie soll bei dem Tunnelsystem von Gaza von Soleimani beraten worden sein. Zudem erhielt sie Unterstützung bei der Herstellung eigener Raketen. Aber auch hierbei spielt die Hisbollah eine entscheidende Rolle. Die Hamas unterhält zum Beispiel Büros in Beirut. In Syrien standen beide Gruppen jedoch auf verschiedenen Seiten. Mittlerweile scheint die Beziehungskrise überwunden zu sein.

Massud Peseschkian ist erst seit zwei Monaten im Amt, doch hat der iranische Präsident schon mit innen- und außenpolitischen Krisen zu kämpfen. Außenpolitisch droht ein Krieg mit Israel, im Innern begehren die Menschen gut zwei Jahre nach dem Beginn der jüngsten größeren Protestwelle wieder gegen die repressiven Moralvorschriften des Mullah-Staates auf. Im September 2022 starb die Kurdin Jina Mahsa Amini, zwei Tage nachdem sie wegen eines vermeintlichen Verstoßes gegen die Kleiderordnung festgenommen worden war, in Polizeigewahrsam. Nach einem Krankenhausbericht erlitt sie ein Schädel-Hirn-Trauma und lag zweieinhalb Tage im Koma – bis sie am 16. September 2022 für tot erklärt wurde.

Tiefer Graben zwischen Regime und Bevölkerung

Danach gingen im ganzen Land abertausende Menschen gegen die Machthaber auf die Straße, Frauen nahmen ihren Hidschab ab und demonstrierten unter dem Motto „Frau, Leben, Freiheit“. Das Regime reagierte wie gewohnt ultrabrutal und ließ mindestens 520 Menschen auf der Straße erschießen und einige hinrichten, darunter viele Jugendliche. Zigtausende landeten im Gefängnis. Peseschkian versprach, den Verhüllungszwang weniger streng durchzusetzen. Der Hidschab ist ein Symbol des Regimes, und ihn abzunehmen ein Symbol des Protestes. Erst kürzlich wurde die 31-jährige Mutter von zwei Kindern von Polizeischüssen verletzt, weil sie vermutlich kein Kopftuch trug. Arezoo Badri, so ihr Name, liegt im Krankenhaus und ist Berichten zufolge von der Hüfte abwärts gelähmt. Familienangehörigen sind nur Kurzbesuche erlaubt, die Handys müssen sie vorher abgeben.

Protestkundgebungen gab es in vielen Ländern außerdem, so auch in Luxemburg. Die Menschen gingen im November 2023 erneut auf die Straßen, als Iran den Vorsitz eines Forums des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen antrat. Ein blanker Hohn, ebenso die Worte, mit denen Massud Peseschkian kürzlich seine Rede vor der UN-Generalversammlung in New York begann: „Lassen Sie uns eine gerechte und blühende Zukunft für unsere Kinder bauen.“ Dabei könne der Graben zwischen Bevölkerung und Regime nicht tiefer sein, weiß die in Frankreich lebende Kulturwissenschaftlerin und Menschenrechtlerin Mahboubeh Moradi. Sie streitet seit Jahren für eine säkulare Demokratie und leistete Widerstand, nachdem im November 2019 bei der Niederschlagung von Unruhen etwa 1.500 Menschen getötet wurden. Moradi kritisiert bei einer Gedenkfeier im vergangenen Jahr an der Universität Luxemburg für die vom Teheraner Regime verfolgten Anhänger der Bahai-Glaubensgemeinschaft, „dass die westlichen Länder nach wie vor das Regime unterstützen“.

Zurzeit sind die Aussichten auf einen politischen Wandel wieder geschwunden. Mittlerweile scheint das Regime seine Macht konsolidiert zu haben. Zugleich fehlt eine starke einheitliche Oppositionsbewegung und haben die jüngsten außenpolitischen Entwicklungen, die Beschwichtigungspolitik des Westens sowie die Nähe zu Russland und China zu einem neuen Selbstverständnis Teherans auf globaler Ebene geführt. Damit versuchen die Machthaber, die innenpolitischen Krisen zu kompensieren. Ali Khamenei, religiöses Oberhaupt der Schiiten und inzwischen 85 Jahre alt, herrscht seit 1989. Mit Hassan Nasrallah ist einer seiner wichtigsten Gefolgsleute gestorben.

Stark beschädigte Häuser in der Umgebung von Gebäuden, die durch israelische Angriffe, bei denen der Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah getötet wurde, dem Erdboden gleichgemacht wurden
Stark beschädigte Häuser in der Umgebung von Gebäuden, die durch israelische Angriffe, bei denen der Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah getötet wurde, dem Erdboden gleichgemacht wurden Foto: AFP