Samstag25. Oktober 2025

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GroßbritannienDie ersten 100 Tage von Premier Starmer:  viel guter Wille, schwere handwerkliche Fehler

Großbritannien / Die ersten 100 Tage von Premier Starmer:  viel guter Wille, schwere handwerkliche Fehler
Der britische Premierminister Keir Starmer verlässt 10 Downing Street  Foto: AFP/Adrian Dennis

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„Things can only get better“ – das Labour-Wahlkampflied von 1997 drückt die Hoffnung des britischen Premierministers Keir Starmer am Ende der ersten 100 Tage seiner Regierung an diesem Samstag aus. Denn schwere handwerkliche Fehler, falsche Personalentscheidungen und eine unklare Kommunikationsstrategie trüben die bisherige Amtszeit in der Downing Street. Bilanz und Ausblick in vier Stichworten.

Gelungen ist dem neuen Mann die Neuorientierung in der Außen- und Europapolitik. Starmer machte sich auf diversen Gipfeln mit den engsten Verbündeten bekannt, reiste zu Monatsbeginn auch erstmals nach Brüssel zu EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen. Der neuen Freundlichkeit zwischen Brexit-Insel und dem Kontinent müssten nun aber konkrete Schritte folgen, mahnen Diplomaten in London.

Der Chef der Europa-freundlichen Liberaldemokraten legte im Unterhaus den Finger in eine Wunde: Ob Labour nicht für junge Briten mehr Möglichkeiten zum Austausch mit gleichaltrigen Dänen, Deutschen und Spaniern schaffen wolle, fragte Edward Davey unschuldig. Genau dies gehört zu den EU-Kernforderungen: Zwei bis drei Jahre sollten junge Leute unter 30 in den jeweiligen Partnerländern leben und arbeiten können, ohne dass wie seit dem Austritt des Königreichs umfangreiche Bürokratie sowie teure Visa- und Gesundheitsgebühren fällig werden. Aus Angst vor mehr Immigranten weist Labour bisher alle Avancen ab; das Thema hat in den kommenden Monaten hohes Konfliktpotenzial.

Was das politische Umfeld angeht, lässt sich von Keir im Glück sprechen. Als Oppositionsführer wuchs Starmers Ansehen schon dadurch, dass er die langweilige Gegenfigur abgab zu den Dauer-Turbulenzen der konservativen Regierungschefs Boris Johnson, Liz Truss und Rishi Sunak. Dessen Entscheidung für die Unterhauswahl Anfang Juli stellte sich als verheerend für die eigene Partei heraus, weil das Wählerlager der Torys von der Reform-Bewegung des Nationalpopulisten Nigel Farage kannibalisiert wurde. Im britischen Mehrheitswahlrecht gewann Labour mit 34 Prozent der Stimmen beinahe zwei Drittel der Mandate.

Über Sunaks Nachfolge haben die brutal dezimierten Torys noch immer nicht entschieden, es kommt nach langen Ausscheidungsrunden nun zum Zweikampf zwischen zwei mediokren Ex-Ministern, beide auf dem weit rechten Flügel der Partei angesiedelt. Schon jetzt steht also fest, dass sich die größte Oppositionspartei in die Wohlfühlecke ideologischer Gewissheit zurückzieht. Schon scherzen Witzbolde bei Labour: „Müssen wir diese Wahl offiziell als Geschenk deklarieren?“

Schlechte Popularitätswerte

Größere Gefahr droht der alten Arbeiterpartei von Farage. Der Reform-Parteitag stand ganz im Zeichen der Organisation von Ortsvereinen und Regionalverbänden, rechtzeitig für die englische Kommunalwahl im kommenden Mai. Bei diesem ersten Stimmungstest für die neue Regierung wollen, ebenso wie die Reformer von rechts, die Liberaldemokraten und die Grünen von links Mandate erobern.

Wer das verhindern soll? Die Schlüsselfigur in Starmers Umfeld ist seit vergangenem Sonntag der frühere Wahlkampfleiter Morgan McSweeney. Als Stabschef löste der gebürtige Ire, 47, die frühere Spitzenbeamtin Sue Gray ab, deren drei Monate im Amt für Starmer aus einer Abfolge von Pleiten bestand. Dabei hatte Grays Berufung als brillanter Schachzug und Symbol für jene ethischere Herangehensweise an Politik gegolten, die Starmer gern predigt.

Ob er sie aber auch praktiziert? Längst steht der Ex-Staatsanwalt in dieser Hinsicht mit hässlichen Flecken auf dem Anzug da, Kritiker sprechen sogar von heruntergelassenen Hosen. Wochenlang geisterten fünfstellige Beträge durch die Medien, mit denen der Oppositionsführer Designer-Anzüge und -Brillen gekauft hatte, gesponsert von einem schillernden Geschäftsmann und Labour-Lord. In der Downing Street schien niemand zu wissen, wie sich die anrüchige Geschichte aus der Welt schaffen ließe. Halbherzige Beteuerungen, solcherlei Vorkommnisse werde es zukünftig nicht mehr geben, schürten die Ratlosigkeit. Starmers Popularitätswerte sind mittlerweile schlechter als die des in weiten Teilen der Bevölkerung verhassten Nigel Farage.

Wachstum durch Investitionen

McSweeney brachte zu seiner ersten Besprechung mit sämtlichen Ministerberatern demonstrativ zwei Parteifunktionärinnen mit. Zudem geht ihm eine neue Abteilung für „strategische Kommunikation“ zur Hand. Die schweren handwerklichen Fehler im Umgang mit den Medien sollen in Zukunft der Vergangenheit angehören.

Ob das auch für das Kernthema gilt? Wachstum mittels staatlicher und privater Investitionen hat Starmer versprochen. Stattdessen erschreckte Finanzministerin Rachel Reeves die Bevölkerung Ende Juli mit der Behauptung, in der Staatskasse klaffe ein 22 Milliarden Pfund großes Loch, das gestopft werden müsse. Als Erstes strich sie Millionen von Rentnern den Heizkostenzuschuss, ohne gleichzeitig darauf hinzuweisen, dass die Renten diesen Herbst um einen höheren Betrag steigen. Außerdem kündigte sie höhere Steuern an. Die Folge war ein Konsumverzicht der sonst stets Ausgabe-freudigen Briten.

Inzwischen werden arme Rentner gezielt angesprochen und auf bestehende Zusatzförderungen hingewiesen; auch für die öffentliche Infrastruktur will Reeves nun doch Geld in die Hand nehmen. Statt Schwarzmalerei ist ökonomischer Optimismus das Gebot der Stunde. An diesem Montag soll ein Treffen der Regierungsspitze mit wichtigen Geschäftsleuten, angeführt von Ex-Google-Boss Eric Schmidt, Privatfirmen zu mehr Investitionen auf der Insel ermuntern.