ForschungDie „Darmpolizei“ braucht gutes Essen: Mahesh Desai über das menschliche Immunsystem

Forschung / Die „Darmpolizei“ braucht gutes Essen: Mahesh Desai über das menschliche Immunsystem
Der menschliche Darm spielt eine wichtige Rolle für das Immunsystem Foto: Editpress/Alain Rischard

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Im Kampf gegen die Ansteckung durch Covid-19 scheint jedes Mittel willkommen. Massenhaft in die Pharmaindustrie gepumpte Gelder sollen die Entwicklung von Medikamenten und eines Impfstoffs fördern. Die Tatsache, dass der Mensch mit seinem Darm über ein natürliches System zur Abwehr von Krankheiten verfügt, gerät dabei vielfach aus dem Blick. Im Escher „Luxembourg Institute of Health“ laufen Forschungsarbeiten dazu.

Mahesh Desai (38) ist Mikrobiologe und lebt in der Welt der Kleinstlebewesen. „An der Spitze einer Nadel leben Tausende von Mikroorganismen“, sagt er. Darauf hat ihn ein Lehrer in seinen Schultagen in Pune, Indien aufmerksam gemacht. Die Zehn-Millionen-Einwohnerstadt liegt im Nordwesten des Kontinents. Es war einer dieser Sätze, die das Leben ändern. Seitdem bestimmen die Winzlinge und ihr Lebensstil Desais Leben.

Lange Zeit wissenschaftlich unbeachtet, weiß man heute: Mikroorganismen erfüllen im menschlichen Darm lebenswichtige Funktionen. Es sind Billionen, Desai spricht sogar von Trillionen, die in dem bis zu sieben Meter langen Organ wohnen und nicht nur das erledigen, was man gemeinhin „Stoffwechsel“ nennt: Unser Essen in Energie und Kraft umzuwandeln. Eine andere Gruppe der Mikroorganismen entgiftet den Körper, pflegt die Darmschleimhaut und hält sie gesund.

Pflanzliche Kost ist das Richtige 

Das ist besonders wichtig, denn: „Nur eine gesunde Darmschleimhaut kann Krankheitserreger abwehren“, sagt der Forscher. Menschen wie ihm ist es zu verdanken, dass heute vom Wissenschaftler bis zum Mediziner niemand mehr bezweifelt, dass der Darm eine entscheidende Rolle für das Immunsystem spielt. Die Voraussetzung ist, dass die Bakterien das richtige Futter bekommen.

Müsli- oder Leinsamenmuffel werden jetzt schlucken, denn ballaststoffreiche Kost ist genau das Richtige für die kleinen Helfer. Deshalb predigt Desai den Verzehr von pflanzlicher Nahrung, wohl wissend, dass die Welt außerhalb seiner Labors mehrheitlich durch andere Ernährungsgewohnheiten geprägt ist. Wenn viel Gemüse, Obst, Nüsse, Bohnen, Linsen oder Samen bestimmter Pflanzen auf den Speisezettel stehen, laufen die Mikroorganismen zu Topform auf.

Er selbst hat an diesem Tag einen Salat zu Mittag gegessen. In dem Gebäude in der Escher rue Henri Koch gibt es eine Kantine, die ganz offensichtlich hält, was die grüne Fassade verspricht. „Quinoa, Salatblätter, Samen, Nüsse und Käse“, sagt er über die mittägliche Komposition auf dem Teller. Das dürfte seinen Darmbewohnern sehr gefallen haben.

Schlechte Darmschleimhaut schwächt den Körper 

Der Forscher ist zum Star der Szene avanciert. Begonnen hat alles damit, dass er in Tierversuchen nachgewiesen hat, wie die Mikroorganismen untereinander funktionieren. Seine Doktorarbeit untersucht den Stoffwechsel von Termiten. Die Insekten ernähren sich von Holz. Also müssen sie es in ihrem Körper irgendwie zerlegen und umwandeln. Das war 2008 an der Philipps-Universität Marburg (D). Desai versteht das deutsche Wort „Vollkornbrot“.

Seine und andere Forschungen haben noch einen anderen wichtigen Zusammenhang zwischen Ernährung und Immunsystem zutage gebracht. Seit den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts haben sich Diabetes mellitus, Darmkrebs, Schlaganfall oder koronare Herzschwäche aufgrund ihrer Häufigkeit zu „Volkskrankheiten“ entwickelt. Davon betroffenen Menschen galten in der Covid-19-Krise als Risikogruppe – unabhängig vom Alter. Eine Vermutung liegt nahe: Sie haben möglicherweise eine schlechte Darmschleimhaut.

Als eine der Ursachen dafür gilt der seit dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts stark gestiegene Fleischkonsum. Massentierhaltung, der Einsatz von Antibiotika bei Masttieren und ein fragwürdiger Umgang mit dem Lebewesen Tier befriedigen die große Nachfrage. Schnell verzehrtes Junk- oder Convenience-Food als Teil des westlichen Lebensstils kommt hinzu.

Personalisierte Therapien sind das Ziel 

„Bei afrikanischen Naturvölkern sehen die Darmflora und die Darmschleimhaut ganz anders aus“, sagt Desai. „Anders“ heißt in diesem Fall gesünder. Die Darmschleimhaut dieser Menschen hat keine Löcher, was einen Grund hat: Sie essen kaum Fleisch. „Wir wissen heute ebenfalls, dass eine schlechte Darmflora die Lunge schwächt“, sagt Desai. „Vor allem bei diesen Risikopatienten.“

Seine aktuelle Arbeit beschäftigt sich mit diesen Zusammenhängen und versucht die Ursachen zu ergründen. Die große Frage dahinter ist: Macht der westliche Lebensstil mit den eingeübten Essgewohnheiten einer schnelllebigen Arbeitswelt uns auf Dauer anfälliger für Krankheiten? Und ist es nicht in Covid-Zeiten geradezu fahrlässig, nicht darüber nachzudenken, wie die eigene Immunabwehr gestärkt werden kann? Es würde den Gesundheitskassen viele Kosten ersparen.

Der „Fonds national de la recherche“ fördert Desais Arbeit. Er hat gerade wieder einen neuen Antrag formuliert und abgeschickt. Am Ende seiner wissenschaftlichen Arbeit sollen personalisierte Therapiemöglichkeiten stehen, die nicht nur an Volkskrankheiten leidenden Patienten helfen, gut weiterzuleben. Ohne eingeschränkte Lebensqualität. Desais Thesen reichen weit. „Parkinson und Multiple Sklerose können ihren Ursprung im menschlichen Darm haben“, sagt er.

Sein Ansatz ist gleichzeitig präventiv. Dass er sich damit in der Pharmaindustrie keine Freunde macht, ist ihm bewusst. „Weil ich Menschen Hinweise gebe, wie sie gesünder leben können?“, fragt er zurück und lacht. „Sollte das nicht das Ziel sein?“ In fünf bis zehn Jahren – so seine Schätzung – gibt es überprüfbare Ergebnisse, die er aus seinem Büro im vierten Stock in die Welt entlassen kann. Für viele Patienten kommen sie dann immer noch gerade recht. Und vielleicht haben gesunde Menschen dann schon Covid-21 hinter sich. Wer weiß.