ForumDie Antwort auf Terrorismus darf zu keinem Holocaust führen

Forum / Die Antwort auf Terrorismus darf zu keinem Holocaust führen
Rafah: Palästinenser inspizieren nach einem israelischen Luftangriff ein zerstörtes Haus Foto: dpa/Abed Rahim Khatib

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Viele Konflikte quer durch die Welt finden kaum Notiz in den Medien. Weshalb die „Weltmeinung“, falls es diese geben sollte, sich kaum manifestiert. Wer interessiert sich schon für den blutigen Bürgerkrieg in Sudan, für die Kämpfe im Jemen oder in Myanmar? Selbst die gewalttätige Vertreibung der Armenier aus Bergkarabach findet kaum Erwähnung. Wichtiger ist wohl die Belieferung Europas mit Erdgas aus Aserbaidschan. Als Ersatz für russische Energie.

Selbst bei der Ukraine ist die Anteilnahme rezenter. Während 2014 die Einverleibung der Krim in Putins Russlands nur zu einer begrenzten Empathie führte, beschäftigte der achtjährige Bürgerkrieg im Donbass vornehmlich die Diplomaten.

Dagegen geriet der russische Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 zumindest in Europa zu einem nachhaltigen Weckruf. Brutaler Krieg gehört seitdem zu der neuen Realität, mit der die seit 70 Jahren friedensverwöhnten Europäer leben müssen. Wobei im Rest der Welt der Ukraine-Krieg oft als eine „rein europäische“ Affäre bagatellisiert wird.

Nicht so bei den Ereignissen in Israel und Gaza. Der mörderische Überfall von Hamas-Aktivisten auf friedliche Kibbuz-Bewohner sowie auf Teilnehmer einer Rave-Party hat die gesamte Weltöffentlichkeit aufgerüttelt. Und gespalten. Israel, Palästina, die Situation im Nahen Osten entzünden in vielen Teilen der Welt eine seltene emotionale Sprengkraft.

Zwei „Katastrophen“

Da mahnt zuerst die „Shoah“. Die „Katastrophe“, so das hebräische Wort für die von Hitler und den Nazis organisierte Massenvernichtung der europäischen Juden. Dieser „Holocaust“, das systematische Morden von sechs Millionen Juden während des Zweiten Weltkrieges belastet weiterhin das kollektive Gewissen der Europäer und Amerikaner.

Es waren nicht Araber, nicht Muslime, welche Auschwitz bauten und die Tötungsorgien durchführten. Es waren Christen: Katholiken, Protestanten, Orthodoxe. Es waren Deutsche, Österreicher, auch Polen, Rumänen, Ungarn, Balten oder Ukrainer, die sich an den Pogromen beteiligten. Es waren Franzosen, Italiener und andere „gute“ Europäer, welche der Liquidierung der Juden durch die Nazis zuarbeiteten.

Die Besieger des Deutschen Reiches, Amerikaner, Briten, Russen, sahen viel zu oft weg. Zwischen 1933 und 1945 nahmen die USA 350.000 jüdische Emigranten auf. 1941 erteilten sie bloß 4.000 Visen. Obwohl der polnische Außenminister im Exil, Edward Raczynski, die Alliierten mit einer detaillierten Schilderung der Juden-Massaker in Polen befasste, wurde die Thematik bei den Gipfeln der zukünftigen Sieger nicht behandelt. Selbst für das Nürnberger Tribunal über die deutschen Kriegsverbrechen war die Shoah nur ein Randthema. (Alles nach Olivier Wieviorka, „Histoire totale de la Seconde Guerre mondiale“).

Das schlechte Gewissen der Alliierten führte 1946 zur Gründung des Staates Israel. Eine Mehrheit der Vereinten Nationen, angeführt von den USA und der UdSSR, bei Enthaltung Großbritanniens, stimmte für eine Zweistaatenlösung. Weder die Palästinenser noch die Israelis akzeptierten die beschlossene Teilung Palästinas. Es kam 1949 zum Krieg. Den das neue Israel gewann. Auch dank Waffenlieferungen aus Russland und der Tschechoslowakei. Die siegreichen Israelis vertrieben Zehntausende Palästinenser und eigneten sich deren Land an. Die „Nakba“, das arabische Wort für „Katastrophe“, war geboren. Die zwei „Katastrophen“ führten zu einem nachhaltigen Konflikt, der seit über 70 Jahre immer wieder entflammt.

Schuld daran tragen viele. Extremistische Islamisten, die wie die Hamas Israels Existenz nicht akzeptieren. Auch in Israel gibt es Kräfte, welche ein friedliches Nebeneinander von Israelis und Palästinensern ablehnen. Ultraorthodoxe Juden, für die laut Bibel ganz Palästina ihr von Gott geschenktes „heiliges Land“ ist.

Shlomo Sand, Professor an der Universität von Tel Aviv, widerspricht diesem Ansinnen. Mit solch historischen Ansprüchen könnten die Araber ihre Rückkehr nach Andalusien beanspruchen. Wo sie nach 700 Jahren Präsenz gegen Ende des 15. Jahrhunderts vertrieben wurden.

Kein „leeres“ Land

Nach Ende des Ersten Weltkrieges stellten die Juden etwa neun Prozent der Bevölkerung Palästinas. Unter der Herrschaft des Sultans von Istanbul lebten Juden, Araber, Beduinen, Drusen, Christen und andere ohne viele Probleme zusammen. Das änderte sich mit dem britischen Mandat über Palästina. Mit den zunehmenden Judenverfolgungen in Osteuropa emigrierten in den 30er Jahren und nach Kriegsbeginn immer mehr verfolgte Juden nach Israel. Verstärkt nach Kriegsende durch Überlende des Holocaust.

Leider fand das „Volk ohne Land“ in Palästina kein „Land ohne Volk“ vor. Der Konflikt um den Besitz des Landes führte immer wieder zu Waffengängen. Aus dem ursprünglichen israelischen David wurde ein waffenstrotzender Goliath. Mit den USA als Schutzherr. Wobei die größten Ferventen der israelischen Vorherrschaft über Palästina nicht die etwa drei Prozent Juden der US-Bevölkerung sind, sondern Millionen bibelgläubige Evangelisten. Für die der „Erlöser“ erst nach dem Wiederaufbau des Tempels in Jerusalem zurückkehrt. Leider steht an dieser Stelle die Al-Aqsa-Moschee, die drittheiligste Stätte des Islam.

Religiöse Konflikte sind die schlimmsten. Siehe die Religionskriege in Europa. Die blutigen Fehden zwischen Hindi und Muslimen im indischen Subkontinent. Die päpstlichen Kreuzzüge oder die heiligen Kriege der Islamisten. Wer glaubt, im Namen eines Gottes zu handeln, ist nicht empfänglich für Rationalität und Ethik. Es zählen nur die eigenen „Gebote“, die eigenen „Moral-Vorstellungen“.

Rache ist keine Strategie

Das macht den Konflikt um Gaza so explosiv. Die von Hamas-Aktivisten am 7. Oktober verübten Morde und Entführungen israelischer Bürger sind unentschuldbare Gräueltaten, sind Terrorismus pur. Es sind Kriegsverbrechen, die das angegriffene Israel zu Recht ahnden will.

Doch für den US-General David Petraeus ist „Rache keine Strategie“: „Ohne eine Vision für die Zeit danach werden die Terroristen wiederkommen.“

Netanjahu will die Hamas zerstören. Es mag den israelischen Streitkräften dank ihrer totalen Lufthoheit gelingen, alle wirklichen oder vermeintlichen Hamas-Stützpunkte zu zerbomben und die Hamas-Führung physisch zu liquidieren. Doch die Probleme bleiben. Welche Zukunft haben 2,2 Millionen Palästinenser in Gaza? Was geschieht mit drei Millionen Arabern und Beduinen im Westjordan? Völkerrechtlich palästinensisches Land, aber durchsetzt mit illegalen Siedlungen durch nahezu eine halbe Million oft radikaler israelischer Siedler.

Ein jüdischer Intellektueller, Daniel Schiffer, forderte in einem „offenen Brief“ an Netanjahu (Tageblatt vom 31.10.23) Mitleid für die unschuldigen Gaza-Bewohner: „Dans cette immense prison à ciel ouvert“ (…) „vous ne pouvez décemment punir ainsi deux millions de civils, démunis et désarmés, affamés et assoiffés, manquant de tout (…)“. „Pitié pour les innocents: l’existence d’un Palestinien, en tant qu’être humain, ne vaut pas moins que celle d’un Juif!“

Israels Armee hat in Gaza laut The Economist schon über hunderttausend bauliche Strukturen zertrümmert. Wohl kaum alles Stützpunkte der Hamas, mit angeblich 30.000 Kombattanten.

Nicht allein die Bomben auf Gaza sind das Problem für 2,2 Millionen Palästinenser. Israel hat ihnen die Wasser- und Energieversorgung abgeschnitten, lässt kaum noch Nahrung und Medikamente in den Landstreifen. Mit 350 km2 gerade so groß wie die Kantone Luxemburg und Remich zusammen!

Ein Armeesprecher beteuerte, seit dem 21. Oktober und bis in die erste Novemberwoche habe Israel 3.000 Tonnen Nahrung und 1,15 Millionen Liter Wasser an die Zivilbevölkerung verteilt. Laut The Economist waren das in 18 Tagen täglich 76 Gramm Nahrung und 29 Milliliter Wasser pro Kopf Bevölkerung.

Fatalerweise weckt das Erinnerungen auf die inhumane Behandlung der Juden im Warschauer Ghetto. Wo 500.000 Juden auf engstem Raum eingepfercht wurden. 1.300 Menschen pro 100 Quadratmeter. Wobei die Nazis ihnen „gnädig“ 700 Gramm Brot per Kopf und Woche zugestanden.

Gerade weil das jüdische Volk eine traumatische Geschichte durchlebte, müsste der Staat Israel von seinem Recht auf Verteidigung mit mehr Bedacht Gebrauch machen. Ein demokratischer Staat darf nicht mit der gleichen Blindwut agieren wie Terroristen.

Zwei Millionen Zivilisten können nicht auf dem engen Gazastreifen hin und her bewegt werden, um täglich Tausenden von Bomben- und Granaten-Einschlägen zu entgehen. Man stelle sich vor, die zehnfache Zahl der 200.000 Einwohner des Kantons Luxemburgs würde aufgefordert, sich im Kanton Remich in „Sicherheit“ zu bringen. Zu Fuß, ohne viel Wasser und Nahrung!

Die beabsichtigte Ausradierung der Hamas darf nicht zur Tötung von Abertausenden zivilen Opfern führen. Kein Wunder, dass selbst in Europa und in den USA der Protest gegen das brutale Vorgehen von Tsahal in Gaza (und radikaler Siedler im Westjordan) sich steigert.

Laut Daniel Barenboim, jüdischer Chef des West-Eastern Divan Orchestera, der israelische und palästinensische Jungmusiker vereint, „werden die Israelis dann Sicherheit haben, wenn die Palästinenser Hoffnung spüren können, also Gerechtigkeit“.


Robert Goebbels ist ein ehemaliger LSAP-Minister und Europaabgeordneter
Robert Goebbels ist ein ehemaliger LSAP-Minister und Europaabgeordneter Foto: Editpress/Didier Sylvestre
den trottinette josy
7. Dezember 2023 - 9.10

Klar doch Herr Goebbels, wie gewohnt haben Sie immer recht. Die Israëlis dürfen sich alles erlauben bis hin zum Völkermord.

luxmann
7. Dezember 2023 - 6.04

@Goebel Was soll diese negative anspielung an al Husseini? Der mann war ein arabisch palaestinensicher nationalist der sich im 2.weltkrieg mit Deutschland verbuendete in der hoffnung die britische kolonialmacht aus Palaestina zu verdraengen...ausserdem widersetzte er sich logischerweise der massiven einwanderung von juden nach Palaestina. In Asien gab es viele politiker die sich zu der zeit auch mit der achsenmacht Japan verbuendeten um den europaeischen kolonisator zu verjagen...etliche davon sind heute nationalhelden wie Soekarno in Indonesien oder SC Bose in Indien. --------------- Herr Luxmann, warum ich mich negativ auf einen Mann beziehe, "der sich im 2.weltkrieg mit Deutschland verbuendete" werde ich nicht weiter ausführen. Schauen Sie in ein Geschichtsbuch. Mit besten Grüßen Frank Goebel

Frank Goebel
6. Dezember 2023 - 16.08

Natürlich kann und darf man kritisierten, was Israel tut. Aber hätte es nicht gereicht, zu schreiben: Die Handlungen Israels sind maßlos, überzogen oder ähnliches? Muss man, ausgerechnet, Israel bezichtigen, demnächst "einen" Holocaust zu begehen? Muss man darüber den Zufluchtsort der Juden nach der Shoah, die einzige Demokratie und offene Gesellschaft im Nahen Osten, ausdrücklich in die Nähe dieses größten und wahnhaftesten Menschheitsverbrechens zu rücken, das überhaupt zur Gründung Israels geführt hat. Es ist auch unzulässig, Shoah und "Nakba" gegeneinander aufzuwiegen. Dafür muss man auch nicht erst Leichenberge abmessen oder Eisenbahnkilometer zählen. Zu achten sind auch keine Gefühle der Verletztheit, sondern Fakten. Apropos: Was, bitte, soll die Feststellung, "nicht Araber, nicht Muslime" seien es gewesen, "welche Auschwitz bauten und die Tötungsorgien durchführten". Da der Autor wohl kaum ausschließlich den Betrieb des einzelnen KZs meint, ist die Aussage extrem irritierend. Muss man ihn wirklich über Amin al-Husseini aufklären oder die "Kaukasisch-Mohammedanische Legion"? Der Historiker David Motadel schätzt: „In Hochzeiten standen etwa 250.000 Muslime im Dienst der Nazis“. (https://www.deutschlandfunk.de/islam-im-nationalsozialismus-fuer-fuehrer-und-prophet-100.html)

luxmann
5. Dezember 2023 - 12.51

E gudde beitrag vum RG, dee versicht duerch de rappel vun historeschen tatsachen eng gewessen objektiviteit an d diskussioun ze brengen.