Für vier Millionen Ukrainer sind die akuten Todesgefahren vorerst vorbei. Sie haben in den EU-Staaten eine sichere Aufnahme gefunden – aber noch keine Ruhe. Vor allem die Kinder nicht, die fast die Hälfte aller Flüchtlinge ausmachen. Bei einem Treffen in Brüssel berichteten die Gesundheitsminister der EU-Mitgliedstaaten von vielen schwer traumatisierten Mädchen und Jungen, die von den Bildern und Erlebnissen des Krieges überfordert seien. „Sie haben ein furchtbares Trauma erlitten“, sagte EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides. Was die Flüchtlinge berichteten, sei herzzerreißend.
Nach ihren Angaben sind bereits über 16.000 ukrainische Patienten in die EU-Mitgliedsländer verlegt worden. Bei weiteren 10.000 laufe dies gerade. Aus Luxemburgs Gesundheitsministerium hieß es auf Nachfrage hin, hierzulande sei das noch nicht der Fall. Luxemburg habe sich aber bereit erklärt, Patienten aus der Ukraine aufzunehmen. Die Rettungskette läuft von der Ostukraine über die Westukraine in die EU, wo dann die Weiterverteilung durch ein nun aufgebautes Kommunikationssystem laufen soll.
Polen machte mit zehn weiteren, von der Flüchtlingsaufnahme besonders betroffenen Staaten einen Vorstoß zu einem besonderen Gesundheitsfonds, den die Kommission per Notfallmechanismus bilden könne. Nach den Schätzungen des polnischen Gesundheitsministers Adam Niedzielski bräuchten die Mitgliedstaaten je eine Million Ukraine-Flüchtlinge 50 bis 70 Millionen Euro an Unterstützung nur für die Gesundheitsversorgung. Die Slowakei warnte in Brüssel bereits vor einer absehbaren Überlastung des Gesundheitssystems. Luxemburg hält einen solchen Fonds zurzeit für nicht nötig und verweist auf bereits bestehende Strukturen, die eine Finanzierung möglich machten, wie es von der „Santé“ heißt.
Impfung der Flüchtlinge im Blick
Die Ministerkonferenz befasste sich zugleich mit der Vielzahl an Medikamenten, die jetzt für die Flüchtlingsversorgung nötig seien. Dabei handelt es sich vor allem um Impfstoffe gegen Tuberkulose, Polio, Masern, Diphtherie, Tetanus und nicht zuletzt auch Covid-19. Da sich die Gesundheitsminister in Brüssel auch mit der Frage befassten, was mit den Bergen von Corona-Impfstoffen geschehen soll, die angesichts der extremen Impfmüdigkeit der Bevölkerung entstanden seien, geriet eine verstärkte Impfung der Flüchtlinge umgehend in den Blick.
Deutschlands Gesundheitsminister Karl Lauterbach war zudem mit dem Vorschlag einer europäischen Empfehlung zur vierten Impfung für alle über 60-Jährigen nach Brüssel gereist. Luxemburg hält diese Empfehlung zurzeit nicht für nötig, so die „Santé“ gegenüber dem Tageblatt. Neue Studien aus Israel belegten, sagte Lauterbach, dass mit der zweiten Booster-Impfung die Sterblichkeit in dieser Altersgruppe um 80 Prozent gesenkt werden könne. Die Verfügbarkeit von Impfstoffen, die speziell auf die Omikron-Variante ausgelegt seien, verzögere sich bis zum Herbst. Der September sei hierfür ein „Zielmonat“. Dann aber liege die erste Booster-Impfung für viele bereits ein Jahr zurück und das sei zu lang für einen wirksamen Schutz.
Die Lage sei schlechter als das Gefühl der Menschen. Das zeigten auch die „sehr hohen Sterbezahlen“, so Lauterbach. Er erwartet nach dem Ministerrat von der EU-Kommission, zusammen mit der Arzneimittelbehörde eine europaweite Empfehlung zur Viertimpfung auszusprechen. Dies werde nach seiner Einschätzung „innerhalb kürzester Zeit auf Basis wissenschaftlicher Expertise“ geschehen. (G.M., A.B.)
Angst vor Atomkrieg: Viele wollen Jodtabletten
Welche Sorgen sich die Menschen im Zusammenhang mit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine machen, geht aus einer Mittelung von Emer Cooke, der Geschäftsführerin der europäischen Arzneimittelbehörde EMA, im Ministerrat hervor. Danach sei die Nachfrage nach Jodtabletten stark gestiegen. Derzeit laufe eine Bedarfsabfrage bei den Mitgliedstaaten, sagte Cooke in Brüssel.
Das ukrainische Nachbarland Rumänien wird die Bevölkerung bereits ab der kommenden Woche kostenlos mit Jodtabletten versorgen, um sie für einen atomaren Zwischenfall zu wappnen. Die Gefahr sei nicht „vollständig auszuschließen“, und bei einem Atomunfall bleibe keine Zeit, die Pillen zu verteilen, sagte Gesundheitsminister Alexandru Rafila am Dienstag.
Bei einem radioaktiven Fallout als Folge eines schweren Reaktorunglücks oder Einsatz taktischer Atomwaffen verhindern diese Tabletten, dass sich radioaktives Jod in der Schilddrüse ansammelt. Allerdings müssen sie rechtzeitig eingenommen werden. Wie Cooke weiter berichtete, befasst sich ihre Behörde derzeit vermehrt auch mit Alternativ-Medikamenten, um die Behandlung ukrainischer Patienten sicherzustellen, deren aus der Ukraine gewohnten Arzneimittel in der EU nicht zugelassen seien.
De Maart
Ja, bevor der Stoff schlecht wird sollte man eine Willkommensspritze für die Flüchtlinge organisieren.Und boostern nicht vergessen.Wohin mit dem ganzen Rest? Welch eine Verschwendung. Irre....
Genau, das Wochenende über bis Montag Abend hatten wir nur 10 Tote, Pippifax.