EditorialDer Westen muss Israel zur Deeskalation drängen

Editorial / Der Westen muss Israel zur Deeskalation drängen
Ein Junge reitet im südlichen Teil der Negevwüste an einem israelischen Raketenabwehr-System vorbei Foto: AFP/Ahmad Gharabli

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Der am Wochenende erfolgte direkte iranische Angriff auf Israel hat zwar eine nie dagewesene Dimension erreicht, zuvor aber hatte Israel am 1. April mit einem Luftangriff auf eine diplomatische Vertretung des Iran in der syrischen Hauptstadt Damaskus die Eskalationsspirale in der Region erst so richtig in Schwung gebracht. Dabei ist es unerheblich, was für Teheran schwerer wiegt: der Angriff auf eine durch das Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen aus dem Jahr 1961 geschützte Einrichtung, die demnach den internationalen Status der Unverletzlichkeit hat, oder die Tatsache, dass dabei zwei Generäle und andere Mitarbeiter der iranischen Revolutionswächter ums Leben kamen, die ein wesentlicher Bestandteil des Machtapparates im Mullah-Regime sind. Es ist wohl die Kombination von beidem, die die iranische Führung zum Handeln veranlasste. Das musste den israelischen Strategen ebenso bewusst gewesen sein wie der Umstand, dass das Teheraner Regime die Ausführung des Gegenschlags nicht mehr allein seinen Helfern im Libanon oder anderswo überlassen konnte, sondern selbst eingreifen musste. Die vorherige Ankündigung der Angriffe gegenüber den USA, die Auswahl der Ziele – offenbar wurden keine israelischen Städte anvisiert – und die Ankündigung, dass für den Iran die Vergeltung nun abgeschlossen sei, weisen aber darauf hin, dass der Eskalation auch eine gewisse Zurückhaltung innewohnte. Immerhin: Von der großen Zahl – mehr als 300 – an Raketen und Drohnen konnten israelischen Angaben zufolge 99 Prozent abgewehrt werden und es sind keine Verluste von Menschenleben zu beklagen. Unter dem Strich waren die Israelis in dieser Auseinandersetzung erfolgreicher.

Die israelische Regierung sollte es daher auch dabei belassen und nicht noch mehr Öl ins Feuer gießen, so wie es die Regierung von Benjamin Netanjahu vorhat. Zumal das Land ohnehin weiterhin der von den Iranern gesponsorten Hisbollah-Milizen ausgehenden Gefahr ausgesetzt ist. Auch wenn, wie die vergangenen Monate gezeigt haben, der mäßigende Einfluss der US-Regierung auf Netanjahu offensichtlich sehr begrenzt ist, sollte sie gemeinsam mit anderen westlichen, aber auch arabischen Staaten, Israel nicht nur in dieser Angelegenheit entschiedener zur Deeskalation bewegen. Dazu hätten sie nicht nur allen Grund, sondern nach diesem Wochenende auch gute Argumente. Denn dass der iranische Angriff, so beispiellos er auch sein mag, derart glimpflich abgelaufen ist, hat zu einem guten Teil ebenfalls mit dem direkten Eingreifen nicht nur der USA, sondern auch Großbritanniens, Frankreichs, Jordaniens und Saudi-Arabiens zu tun. Was zeigt, dass Israel trotz seines großen militärischen Abschreckungspotenzials bei einem massiven Angriff dennoch auf Hilfe von Verbündeten angewiesen ist. Diese Hilfe sollte Israel zur Mäßigung verpflichten, denn niemand in der Region, mit Ausnahme einiger Radikaler, will, dass sich der Konflikt ausweitet.

Zudem hat die Regierung Netanjahus auch nach mehr als einem halben Jahr Krieg im Gazastreifen noch nicht einmal einen Ansatz für eine eventuelle Lösung ihres Konflikts mit den Palästinensern vorgelegt. Auch das würde deeskalierend wirken. Stattdessen setzt Netanjahu weiter auf Gewalt, nicht nur im Gazastreifen. Denn auch im Westjordanland nimmt die Gewalt gegen die Palästinenser zu, wo jüngst unter den Augen der israelischen Armee bewaffnete jüdische Siedler in ein palästinensisches Dorf eindrangen und dort Häuser und Autos in Brand setzten. Bei aller Verbundenheit mit dem israelischen Staat sollten die westlichen Staaten mehr Druck auf die Führung des Landes ausüben. Dieses Wochenende hat gezeigt, dass die Lunte für einen Flächenbrand kleiner wird.