„Der nächste MFR (mehrjährige Finanzrahmen, Anm.) wird der ehrgeizigste sein, der jemals vorgeschlagen wurde“, sagte die gerne auf Superlative zurückgreifende EU-Kommissionschefin bei dessen Präsentation am Mittwochnachmittag. Mit Verspätung hatte diese begonnen, noch um drei, vier Uhr in der Nacht sei daran gearbeitet worden, sagte der EU-Haushaltskommissar Piotr Serafin bei einer Anhörung zum Thema vor dem zuständigen EP-Ausschuss. Nun aber kann das große Feilschen um die Milliarden beginnen.
Rund 800 Milliarden Euro mehr als im bisherigen MFR – 1,2 Billionen Euro – veranschlagt, will die EU-Kommission für die Jahre 2028 bis 2034 vorsehen. Damit wird der EU-Haushalt von bisher 1,13 auf 1,26 Prozent des europäischen Bruttoinlandsproduktes steigen. Die EU-Kommission hat das Budget neu strukturiert, in vier (vorher sieben) Bereiche, wovon drei als „Pfeiler“ bezeichnet werden. Der erste Pfeiler, „Nationale und regionale Partnerschaftspläne“ verschlingt die Hälfte des Budgets. In ihm ist alles Mögliche untergebracht, von der gemeinsamen Agrarpolitik (GAP), der Migrations- und Grenzschutzpolitik, über die Kohäsion- und Regionalpolitik bis hin zur Wirtschafts-, Sozial- und Wettbewerbspolitik. Zudem sollen aus diesem Topf jene als „Next Generation EU“ bezeichneten Kredite in Höhe von rund 800 Milliarden Euro zurückgezahlt werden, die nach der Corona-Pandemie an die EU-Mitgliedstaaten zur Wiederankurbelung der Wirtschaft vergeben wurden. 168 Milliarden Euro sind für die ab 2028 fällig werdenden Rückzahlungen vorgesehen – die sich bis 2058 hinziehen werden.
Rund 300 Milliarden sind für die GAP vorgesehen, was weniger sein wird, als bisher. „Die Einkommen der Landwirte werden garantiert“, betonten allerdings sowohl Ursula von der Leyen als auch Piotr Serafin. Die EU-Staaten können jedoch die regionalen Fördertöpfe aus dem EU-Haushalt anzapfen, um die Landwirte zu unterstützen, hieß es gestern in Brüssel.
400 Milliarden Euro schwerer Krisenhaushalt
Der zweite Pfeiler bildet den „Europäischen Fonds für Wettbewerbsfähigkeit“, dem auch „Horizont Europa“ anhängt, dem Forschungs- und Innovationsprogramm der EU. Rund 590 Milliarden werden für das siebenjährige Budget für diesen Pfeiler veranschlagt, in dem ebenfalls Investitionen in Höhe von 131 Milliarden für Verteidigung und Raumfahrt enthalten sind. Zudem sollen die Fördermittel für das Erasmus-Plus-Programm, über das Auslandsaufenthalte von Studierenden finanziert werden, verdoppelt werden.
Der dritte Pfeiler ist dem „Globalen Europa“ und seiner gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik gewidmet, wobei in einer Kommissionsmitteilung explizit auch Grönland genannt wird. Dieser Budgetposten dient unter anderem dazu, die EU-Beitrittskandidaten auf ihre Mitgliedschaft vorzubereiten. Die EU-Kommissionspräsidentin betrachtet die EU-Erweiterung als „eine strategische Investition in die europäische Stabilität“. Abseits davon sind für die bereits bestehende sogenannte Ukraine-Fazilität bis zu 100 Milliarden Euro für den Wiederaufbau der Ukraine vorgesehen. „Wir wissen, das ist eine Herausforderung, die uns bevorsteht“, sagte der polnische EU-Haushaltskommissar. Auf die Frage, warum für den Wiederaufbau der Ukraine nicht auf die in der EU eingefrorenen russischen Guthaben zurückgegriffen werde, meinte Piotr Serafin, dass diese Diskussion sicherlich noch vor dem Jahr 2028 geführt werde.
Neben dem vierten Bereich, den Ausgaben für die EU-Verwaltung, wird im MFR ein bis zu 400 Milliarden Euro schwerer Krisenhaushalt eingerichtet. Der werde allerdings nur in Fällen aktiviert, die der Corona-Pandemie oder dem Krieg in der Ukraine gleichkommen, versicherte Ursula von der Leyen. Dieser Haushalt unterliege der Einstimmigkeit im Rat sowie der Zustimmung des EP, so die Kommissionschefin.
Neue Eigenmittel für den EU-Haushalt
Trotz des größeren Budgets sollen die Zuwendungen der Mitgliedstaaten stabil bleiben, versprach Ursula von der Leyen. Das kann jedoch nur gehen, wenn neue Eigenmittel für die EU erschlossen werden. Dazu schlägt die EU-Kommission fünf Ansätze vor. So sollen Abgaben aus dem CO2-Emissionshandel, dem CO2-Grenzausgleichmechanismus (dabei werden Abgaben auf den CO2-Emissionen von bestimmten in die EU importierten Waren erhoben), sowie auf Elektroschrott erhoben werden. Der EU-Kommission zufolge soll dies jährlich im Durchschnitt 25 Milliarden Euro einbringen.
Weiter soll eine Abgabe auf Tabak und neuen Rauchwaren erhoben werden. Die allerdings noch geschaffen werden muss. 16 Finanzminister hätten die EU-Kommission gebeten, gemeinsame und harmonisierte Regeln für die Besteuerung neuer Raucherprodukte auszuarbeiten, erklärte Piotr Serafin gegenüber den EP-Abgeordneten. Die EU-Kommission erwartet sich damit jährlich rund 11 Milliarden Euro einzunehmen. Schließlich sollen Unternehmen mit einem jährlichen Umsatz von mindestens 100 Millionen Euro einen Pauschalbeitrag an die EU-Kasse entrichten. Betroffen davon seien in der EU rund 20.000 Unternehmen, sagte der EU-Haushaltskommissar. Eine Digitalsteuer, wie sie bereits diskutiert wurde, ist nicht in diesem Paket enthalten. Piotr Serafin meinte jedoch, dass dieses künftig noch ergänzt werden könne.
Rund zweieinhalb Jahre haben die Mitgliedstaaten sowie das EU-Parlament Zeit, sich auf den MFR zu einigen. Vier EP-Fraktionen – EVP, S&D, Liberale und Grüne – haben in einer gemeinsamen Stellungnahme am Mittwoch erklärt, dass sie darauf „bestehen“, dass ihre „Gesetzgebungs-, Haushalts- und Entlastungsrechte in jeder Phase des Prozesses uneingeschränkt geachtet werden“. Zudem sollte der nächste MFR „der vollständigen parlamentarischen Kontrolle und Rechenschaftspflicht unterliegen“, fordern die vier Fraktionen, womit sich die EU-Parlamentarier gegenüber den Mitgliedstaaten in Stellung bringen wollen. Denn diese haben bei den Verhandlungen als Zahlmeister das gewichtigere Wort. Sofern sie unter sich einig werden. Bei den Verhandlungen zum MFR für die Jahre 2021-2027 wurde erst nach viertägigen Verhandlungen der EU-Staats- und Regierungschefs in den letzten Dezemberwochen 2020 eine Einigung zwischen den 27 gefunden.
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