Am Vorabend des „14 juillet“ streifte Andy Schleck gestern in Saint-Jean-de-Maurienne das „Maillot jaune“ des Spitzenreiters der Tour de France über. Neben dem Luxemburger bleibt nur noch Alberto Contador im Rennen um den Gesamtsieg. Cadel Evans büßte mit gebrochenem Ellbogen über 8 ein.
Aus St-Jean-de-Maurienne berichten „T“-Redakteur Kim Hermes (khe) und „T“-Radsport-Experte Petz Lahure (P.L.)
Andy Schleck hat aufgeräumt bei der Tour de France. Dank einiger blitzartiger Angriffe im Col de la Madeleine, diesem schweren Anstieg in der Savoie, sorgte er für eine Vorentscheidung bei der Rundfahrt, die er 2010 unbedingt gewinnen will. Seit 41 Jahren wird der „gefürchtete“ Berg bei der Tour gefahren. Seitdem stand er 22 Mal auf dem Etappenplan. Der Anstieg ist mit 25,5 km unendlich lang. Durchschnittlich müssen 6,2 Prozent bewältigt werden.
Der einzige, der Andy folgen konnte, war Alberto Contador, während Cadel Evans, der in dem Augenblick noch das „Maillot jaune“ auf den Schultern hatte, abgehängt wurde. Der Australier schleppte sich mit schmerzverzerrtem Gesicht nach oben, und nur die Eingeweihten wussten, dass er die Etappe mit gebrochenem linkem Ellbogen bestritt.
Ellbogen gebrochen
„Wir hatten beschlossen, niemandem etwas davon zu sagen“, erklärte gestern Abend BMC-Racing-Team-Präsident Jim Ochowicz. „Wir versuchten, irgendwie durch die Etappe zu kommen“, so Ochowicz: „Wir wollten es Cadels Konkurrenten nicht wissen lassen und so mögliche frühe Attacken vermeiden.“
Evans war am Sonntag wenige Kilometer nach dem Start mit einigen anderen Fahrern gestürzt. Er setzte seine Fahrt mit verschmutztem Trikot und zerrissener Hose fort, streifte in Morzine das Gelbe Trikot über und verheimlichte seine Verletzung.
Mit der Geheimniskrämerei aber war es spätestens vorbei, als der Rückstand des Australiers im Anstieg der „Madeleine“ anormale Proportionen annahm.
Nur noch zwei
Evans quälte sich ins Ziel, wo er einen Weinkrampf erlitt, als er über 8 Minuten nach Etappensieger Sandy Casar und seinen schärfsten Rivalen, Andy Schleck und Alberto Contador, eintraf. Der Sport kann manchmal grausam sein. Cadel Evans ist weg vom Fenster, und es bleiben nur mehr zwei Fahrer, die für den Gesamtsieg der Tour de France 2010 in Frage kommen.
Der eine ist Andy Schleck, Etappensieger in Morzine-Avoriaz und großer Einpeitscher gestern in der „Madeleine“, der andere Alberto Contador, Tour-Gewinner der Jahre 2007 und 2009. Andy (geb. am 10.6.1985) ist fast auf den Tag genau 30 Monate jünger als sein Gegner (geb. am 6.12.1982).
Für ihn sprechen seine Unbekümmertheit und der Umstand, dass er in der Gesamtwertung 41 Sekunden vor Contador liegt. Diesen Rückstand kann der Spanier allerdings beim Einzelzeitfahren am zweitletzten Tag in Bordeaux wettmachen, falls es bis dahin „pari“ bleiben sollte. So weit aber sind wir noch nicht.
Bleiben wir vorerst also beim gestrigen Tag, der in die Geschichte des Luxemburger Sports eingeht. In Saint-Jean-de-Maurienne, wo zum ersten Mal in der Tour-Geschichte eine Etappenankunft gewertet wurde (2006 gab es dort einen Etappenstart), klassierte Andy Schleck sich auf dem 7. Platz, nachdem er zusammen mit Alberto Contador auf den letzten 30 km über 5 Minuten auf den Rest einer Spitzengruppe wettgemacht hatte, die seit der Mittagstunde unterwegs war.
Schleck wollte sich sogar in den Schlussspurt einmischen, sah dann aber bald ein, dass dies keinen Sinn hatte und nur unnötige Kraft im Hinblick auf die nächsten Tage kosten würde.
Der 10. Luxemburger
Die Belohnung für Andys Kraftakt war das „Maillot jaune“, das der 25-Jährige übergestreift bekam. Andy Schleck ist nach François Faber, Nicolas Frantz, Jäng Majerus, Arsène Mersch, Bim Diederich, Jang Goldschmit, Charly Gaul, Kim Kirchen und Bruder Frank Schleck der zehnte Luxemburger, der das Generalklassement bei der Tour de France anführt.
Zu François Fabers Zeiten gab es das „Maillot jaune“ noch nicht, so dass Andy der neunte Fahrer aus dem Großherzogtum ist, der ins „Gelbe Trikot“ schlüpfen durfte.
Die Tatsache, dass Andy Schleck sich nach Kim Kirchen (2008) und Frank Schleck (2008) als dritter Luxemburger innerhalb kurzer Zeit in Gelb kleidete, beweist, auf welch hohem Niveau unser Radsport sich zurzeit bewegt. Als einer der Ersten gratulierte Premier Jean-Claude Juncker zur Eroberung des „Maillot jaune“.
Die Saxo-Bank-Mannschaft hatte sich eine fast perfekte Taktik zurechtgelegt, um Andy Schleck auf die Leaderposition zu fahren. Mit Jens Voigt platzierte Bjarne Riis einen Helfer in die erste Ausreißergruppe. Der Deutsche wartete im letzten Anstieg auf seinen Kapitän und geleitete ihn mit Alberto Contador eine Weile lang nach oben. Erst als Voigt die Kräfte verließen, ergriff Schleck wieder die Initiative.
Andy Schleck und Alberto Contador lieferten sich gestern während längerer Zeit ein Duell auf Biegen und Brechen mit Vorteilen mal für den Angreifer (Schleck), mal für den Verteidiger (Contador). Und sie machten sogar gemeinsame Sache.
Das verspricht für die Zukunft. Man hofft nun, auf den nächsten elf Etappen ein „Mano-a-mano“ zu erleben, wie es sie zu legendären Zeiten zwischen Jacques Anquetil und Raymond Poulidor oder auch Eddy Merckx und Luis Ocana, um nur diese zu nennen, gab. Wobei natürlich ganz Luxemburg hofft, dass Andy es am Ende schafft.
P.L.
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